Adipositas und die Rolle der plastischen Chirurgie

Zum Thema "Aktuelle Entwicklungen in der (post)bariatrischen Chirurgie" sprach auf dem 135. Kongress der DGCH Prof. Dr. Dr. Adrian Dragu vom Universitätsklinikum Dresden über eine bessere Integration der plastischen Chirurgie in die Behandlungskonzepte der Adipositas.

Eine Operation kommt seiten allein?

Zum Thema "Aktuelle Entwicklungen in der (post)bariatrischen Chirurgie" sprach auf dem 135. Kongress der DGCH Prof. Dr. Dr. Adrian Dragu vom Universitätsklinikum Dresden über eine bessere Integration der plastischen Chirurgie in die Behandlungskonzepte der Adipositas.

Prof. Dragu betont, dass diese Sitzung auf dem Chirurgie-Kongress sehr wichtig ist, weil genau das, was in den letzten Jahren mit den Brustzentren erreicht wurde, in der Bariatrie bisher versäumt wurde. Die Zertifizierung und die Integration der plastischen Chirurgie in die Adipositas-Zentren bekommt jetzt eine zentrale Bedeutung.

Die stationäre Fallzahlentwicklung der Diagnosen, die mit Adipositas oder Überernährung zu tun haben, ist sprunghaft angestiegen. 2.000 lag sie bei 10.000, 2016 sind wir bei fast 23.000 Fällen. Das zeige, wie rasant diese Erkrankungen voranschreiten. Und daraus ergibt sich auch, dass sie dringend der interdisziplinären Behandlung bedürfen. Besorgniserregend erscheint die hohe Zahl der Patienten zwischen 15 und 45 Jahren. Auf 100.000 Einwohner kommen 32 stationäre Behandlungen.

Bei solchen Fallzahlen sind die Kosten ein zentraler Punkt. 2015 wurden fast 400 Millionen Euro für die Adipositas-Behandlung ausgegeben. Und sehr bedauerlich erscheine, so Prof. Dragu, dass gerade die jungen Menschen, die 15- bis 45-jährigen, die eigentlich der produktive Teil der Bevölkerung sind, mit 150 bis 200 Millionen einen erheblichen Anteil an diesen Kosten verursachen.

Nicht jede OP mit hohen Folgekosten

Die Sorge der Kostenträger sei nun, dass eine genehmigte bariatrische Operation immer weitere Operationen nach sich ziehen würden, die dann ebenfalls bezahlt werden müssten. Aber diese Sorge ist unberechtigt, denn nicht bei jedem Patienten, der einen bariatrischen Eingriff hat, ist eine körperformende Operation notwendig und medizinisch indiziert. Eine aktuelle französische Studie  mit 17.000 Patienten hat analysiert, wie viele Patienten medizinisch indiziert gestrafft oder körperformend rekonstruiert werden. Sie kamen auf rund ein Fünftel der Patienten. Das heißt, nur 21 Prozent konvertieren in eine medizinische Indikation für eine körperformende Operation. Auch wenn deutschen Zahlen dazu nicht vorliegen, kann die Studie die Sorge entschärfen, dass jede Genehmigung einer bariatrischen Operation automatisch vier, fünf Straffungs-Operationen nach sich zieht.

Es gibt 58 durch die DGAV zertifizierte Adipositas-Zentren. Bei der DGAV werden jeweils entsprechende Referenz-, Kompetenz- und Exzellenzzentren beantragt. Erstaunlich nennt Prof. Dragu die Tatsache, dass die plastische Chirurgie im Zertifizierungsbogen fehlt, obwohl unter Punkt 8 die interdisziplinären Kooperationen abgefragt werden. Es sei aber ganz wichtig, dass in die Abfrage auch dieser Fachbereich integriert wird. Denn die Vorteile eines Adipositaszentrums unter Beteiligung der plastischen Chirurgie liegen auf der Hand. "Es ist nicht sinnvoll, dass bariatrisch operierte Patienten für die straffende Operation in andere Kliniken abwandern", sagt Prof. Dragu und ergänzt: Zu den Leistungen gehöre auch die Unterstützung bei der Einholung einer Kostenübernahmeerklärung.

"Ganz klar ist ja auch", betont der Referent, "dass es sich um Hochrisikopatienten handelt." Die Körperformung bringe auch eine hohe Morbidität mit sich. "Das ist nicht einfach Fett wegschneiden. Sondern man braucht Ressourcen, Vorhalteleistungen wie eine Intensivstation."

Präzisere Leitlinie und mehr Lebensqualität 

Die neue S-3-Leitlinie der Chirurgie der Adipositas und metabolischen Erkrankungen ist brandaktuell. Denn man hat erkannt, dass ein bariatrischer Eingriff auch Veränderungen des Metabolismus mit sich bringt. Deswegen sind schon im Titel der neuen Leitlinie jetzt auch metabolische Erkrankungen integriert. Hier zeigt sich bereits, wie viel sich in der Adipositas-Behandlung ändert.

Die plastische Chirurgie war in der alten Leitlinie von 2010 schon integriert. Prof. Dragu: "Da stand bereits mit einer hohen Evidenzstärke, dass es eine gute Aufklärung des Patienten geben muss. Es geht um die Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes und die damit verbundenen medizinischen und psychologischen Folgen. Darüber muss vor der bariatrischen Operation mit dem Patienten gesprochen werden. Der Patient soll wissen, was mit ihm passiert und er soll auch wissen, dass seine Odyssee damit oft noch nicht beendet ist, dass beispielsweise die Körperform immer noch funktionelle Einschränkungen haben kann. Die plastischen Korrekturen sollten laut Leitlinie integraler Bestandteil des Behandlungskonzeptes sein - das allerdings mit einer Evidenzstärke von "mäßig". Es gilt stets: Plastische Maßnahmen erfordern physische und psychische Rehabilitation zur Besserung der Lebensqualität.

Die Datenlage zu diesen Fragen sei immer noch extrem dürftig, bedauert Prof. Dragu. Es wurde noch nicht erreicht, dass die Zentren die Daten zusammenbringen. "Wichtig wäre aber zu überblicken, was für Techniken, welche Komplikationen und Morbiditäten es gibt."

In der neuen S-3-Leitlinie hat die plastische Chirurgie nun ein eigenes Kapitel. Das nennt Prof. Dragu einen großen Schritt für die steigende Qualität der interdisziplinären Adipositaszentren. "Denn erst das Mosaik des Ganzen kann dem Patienten umfassend zugutekommen." Es gibt nun die Empfehlung, der Patient soll von einem Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie gesehen werden. Und das Fazit in der neuen S-3-Leitlinie zu dieser Frage: Das Fachgebiet der plastischen Chirurgie ist ein wichtiger interdisziplinärer Baustein in der Behandlung der Adipositas. Hierzu ist ein evidenzbasierter Behandlungsalgorithmus notwendig.

Wie geht es nun weiter? Um die Integration der Fachgebiete noch zu vertiefen, werden die 58 Zentren durch die DGAV angeschrieben. Dabei werden sieben Fragen gestellt, bei denen es um die Art und Weise der Kooperation mit der plastischen Chirurgie geht. Das wird der weiteren Datenerhebung nützen.

Als Fazit betont Prof. Dragu: "Wir behandeln keine Symptome, wir sind integraler Bestandteil der Adipositaszentren und wir behandeln die Grunderkrankung. Das wertet unsere Arbeit auf. Darum sollten wir immer sagen: Wir straffen nicht einfach, wir rekonstruieren. Und wir holen schwer erkrankte Menschen zurück in die Gesellschaft."

Quelle:
135. Kongress der DGCH, Prof. Adrian Dragu in der Session: Aktuelle Entwicklungen in der (post)bariatrischen Chirurgie, 19.4.2018.