COVID-19-Pandemie und der drohende Klimawandel: Der Frage, welche gesellschaftlichen Implikationen sich daraus ergeben gingen Fachleute auf einem Symposium beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) nach. Als große Krise bezeichnete Prof. Dr. Harald Lesch die Vertrauenskrise gegenüber der Wissenschaft. Er machte einen "Schmetterlingseffekt der Informationen" aus, der zu Überlegungen anregen sollte, wie schnell und in welcher Form Fachinformationen einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden können. Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit der Informationen.
Dass ÄrztInnen in der Krise auch eine soziale Verantwortung haben, machte Prof. Dr. Urban Wiesing, Medizinethiker an der Universität Tübingen, deutlich. Das Arztethos, so Wiesing habe sich über lange Zeit entwickelt und sei primär den individuellen PatientInnen verpflichtet. Dazu gehöre zu nutzen, nicht zu schaden, die Selbstbestimmung von PatientInnen zu respektieren und gerecht zu verfahren. Durch die Schweigepflicht ist der Patient geschützt, er darf nicht diskriminiert werden. Sowohl der hippokratische Eid als auch das Genfer Gelöbnis bestätigen die Patientenzentriertheit des ärztlichen Handelns.
Beeinflussen äußere Umstände die Gesundheit, dann nehmen ÄrztInnen eine soziale Verantwortung wahr, betonte Wiesing. Denn die Berufsordnung sieht vor, dass ÄrztInnen: "an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitwirken".
Sowohl die Corona-Pandemie als auch die Folgen des Klimawandels weisen medizinische Aspekte auf. Unstrittig sei auch, dass ÄrztInnen ihre Expertise dazu einbringen müssen, so Wiesing. Denn Medizin könnte die Auswirkungen wissenschaftlich untersuchen (Wissen) und Gegenmaßnahmen entwickeln (Handeln). Allerdings nähmen ÄrztInnen verschiedene Rollen ein, die wichtigste Rolle sei die Arzt-Patienten-Beziehung. Ergänzende Rollen seien: Fachleute für Gesellschaft und politische Institutionen oder Public Health, Beratende, Dienstleistende, GutachterInnen. Das führe zu Konflikten zwischen verschiedenen Rollen.
In ihrer wichtigsten Rolle sieht Wiesing ÄrztInnen von weiterer sozialer Verantwortung entlastet. Begrenzungen der Medizin aufgrund von Umweltschutz oder in Katastrophen-Situationen (Triage, Impfpriorisierung) müssen vorab geregelt und mit gesellschaftlicher Legitimation ausgestattet werden.
Dr. Sylvia Hartmann, stellvertretende Vorsitzende von KLUG (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.) und Projektleiterin der Health Academy, erinnerte daran, dass eine Krise nicht nur gesundheitliche Folgen hat, sondern auch Wege aufzeigt, die sich zum Guten verändern können. Schaue man sich die Klimadebatten der vergangenen Jahre an, dann ging es um Verkehr, Landwirtschaft und Energie. Sehr lange sei aber nicht angesprochen worden, welche gesundheitlichen Implikationen daraus resultierten. "Als Ärzte müssen wir da eingreifen, denn wir haben jetzt die Chance, Prävention großflächig umzusetzen. Gesunde Menschen kann es nur auf einem gesunden Planeten geben", betonte Hartmann.
Hartmann sieht 3 Bereiche, in denen jeder Mensch Dinge verändern kann: Den persönlich-individuellen, den als politische BürgerInnen und das berufliche Umfeld. Persönlich könne man sein Verhalten klimafreundlicher gestalten, dadurch wirke man als Rollenmodell für Familie, FreundInnen, "als Arzt vielleicht auch für meine Patienten". Klimaschutz sei aber keine individuelle Angelegenheit. Als BürgerInnen sollten sich alle Menschen politisch einsetzen, Vereine und Bürgerinitiativen gründen und Bundestagsabgeordnete und BürgermeisterInnen fragen, was sie dafür tun, damit Prävention großflächig umgesetzt wird.
ÄrztInnen sollten aus Hartmanns Sicht für Klimaschutz einsetzen, weil sie gesellschaftlich ein hohes Vertrauen genießen. "Was wir sagen zählt und hat Bedeutung für die Menschen, mit denen wir sprechen. Wir sind im nicht-digitalen Sinne eine Art Influencer." Die Berufsordnung, so Hartmann verpflichte Ärztinnen und Ärzte dazu, den Gesundheitsschutz weiter zu denken. Deshalb sei es an der Zeit, dass sich ÄrztInnen stärker positionieren zum Klimaschutz.
Im ärztlichen Alltag umsetzen könne man das z.B. im Rahmen einer Klimasprechstunde, in der man PatientInnen über Luftverschmutzung und ihre Folgen aufklärt, deutlich macht, wie sich Hitze und verlängerte Allergieperioden auswirken und aufzeigt, welche Vorteile mehr Bewegung und gesunde Ernährung bringen.
Wo möglich könnte man Medikamente wählen, die klimafreundlich sind – Voraussetzung ist, dass diese den gleichen Effekt aufweisen. Beispiel Dosieraerosole und Inhalatoren: Da beide den gleichen Effekt hätten, Dosieraerosole aber Treibhausgase enthalten, sollten Inhalatoren gewählt werden. "Es geht nicht darum, Patienten schlechter zu behandeln, sondern darum, die Umwelt zu schützen", so Hartmann.
Auch das Gesundheitswesen selbst muss klimaneutral werden, denn 5% der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland stammen aus dem Gesundheitssektor. Nehme man "nicht schaden" ernst, sei es die Pflicht zu prüfen, wo sich Emissionen reduzieren lassen. Gesundheit müsse in jedem Gesetzgebungsprozess mitgedacht werden. Mit der Initiative Gesundheit braucht Klimaschutz versuchen Kliniken und Praxen bis 2035 eine klimaneutrale Gesundheitsversorgung zu schaffen.
Referenzen:
127. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
Interdisziplinäre Sitzung: Gesellschaftliche Implikationen der Krise, 17.4 2021, 10.45 bis 12.15 Uhr
https://healthforfuture.de/ (Initiative Gesundheit braucht Klimaschutz)