Der Schwindel – Diagnose eines Leitsymptoms verschiedener Erkrankungen

Schwindel ist keine Krankheitseinheit, sondern das Leitsymptom verschiedener Erkrankungen unterschiedlicher Ätiologie, die von Innenohr, Hirnstamm oder Kleinhirn ausgehen, aber auch psychische Ursachen haben können, machte Prof. Dr. Michael Strupp auf einem Symposium beim Internistenkongress in Mannheim deutlich.

Schwindel – Ein interdisziplinäres Update

Schwindel ist keine Krankheitseinheit, sondern das Leitsymptom verschiedener Erkrankungen unterschiedlicher Ätiologie, die von Innenohr, Hirnstamm oder Kleinhirn ausgehen, aber auch psychische Ursachen haben können, machte Prof. Dr. Michael Strupp vom Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum der LMU München auf einem Symposium beim Internistenkongress in Mannheim deutlich.

Die Lebenszeitprävalenz von Dreh- und Schwankschwindel liegt bei etwa 30 % und auch in der Notfallsituation ist Schwindel ein sehr häufiges Symptom. Bei reinem Drehschwindel sind internistische Ursachen unwahrscheinlich, bei Schwankschwindel sollte an eine orthostatische Dysregulation oder an Nebenwirkungen von Antihypertensiva oder Antikonvulsiva gedacht werden.

Der National Health Interview Service (NHIS) hatte 214 Millionen Erwachsene befragt, davon litten 24 Millionen in den vergangenen 12 Monaten an Schwindel. Im Mittel waren die Männer 46 Jahre, die Frauen 52 Jahre alt.

Unter 30.682 Patienten einer Spezialambulanz waren folgende Schwindelsyndrome am häufigsten: Funktioneller Schwindel und benigner peripherer paroxysmaler Lageschwindel (BPPV), gefolgt vom zentral-vestibulären Schwindel, der vestibulären Migräne und Morbus Menière.

Eine sorgfältige Anamnese ist wichtig: Handelte es sich um eine Schwindelattacke oder um Dauerschwindel? Um Drehschwindel oder Schwankschwindel? Gab es auslösende oder modulierende Faktoren (Lageänderung, Druckänderung, Tageszeit, -Aktivität)? Gab es Begleitsymptome (Tinnitus, Ohrdruckgefühl, Spiegelbilder, Ataxie, Dysarthrie, Schmerz, Licht- Lärmempfindlichkeit)?

Der zeitliche Verlauf der Schwindelattacken gibt schon wichtige Hinweise:

  1. Attacken (Sek-Min: BPPV, Vestibularparoxysmie; Min-Stunden: Vestibuläre Migräne, Morbus Menière)
  2. Akuter Beginn, Dauer: Tage bis wenige Wochen, Akute einseitige Vestibulopathie, Hirnstamm-oder Kleinhirninfarkt
  3. Persistierende Symptome > 3 Monate
    Bilaterale Vestibulopathie, funktioneller Schwindel, neurodegenerative Erkrankungen

Bei der körperlichen Untersuchung stellen sich zwei Kernfragen:

  1. Besteht ein organisches Defizit?
    Vier/fünf klinische Tests: vestibuläres System
  2. Handelt es sich um eine zentrale oder periphere vestibuläre Störung?
    Vier/fünf klinische Zeichen

Zu den klinischen Untersuchungen des vestibulären Systems gehören folgende vier Tests:

  1. Kopfimpulstest: Funktion des VOR
  2. M glasses: peripherer vestibulärer Spontannystagmus
  3.  Lagerungsmanöver: BPPV, zentraler Lagenystagmus (bei allen Patienten mit Schwindel)
  4. Romberg-Test: sensorisches Defizit

Zu den häufigsten vestibulären Schwindelsyndromen zählen BPPV, Morbus Menière, akute unilaterale Vestibulopathie, bilaterale Vestibulopathie und die Vestibularisparoxysmie.

Typisch für den benignen peripheren Lagerungsschwindel (BPPV) sind durch Kopf-oder Körperlageänderung ausgelöste Drehschwindelattacken. Dauer < 1 Minute, verbunden mit Übelkeit, Erbrechen, Oszillopsien. Bei Lagerung zum betreffenden Ohr: rotierender und vertikal zur Stirn schlagender, erschöpflicher Nystagmus mit crescendo-decrescendoartigem Verlauf

Ein sicherer Morbus Menière liegt vor bei

Therapiert wird M. Menière mit Betahistin > 3x96mg/d, > 12-24 Monate

Zentraler Schwindel kann sich akut, rezidivierend oder chronisch manifestieren:

  1. Akut
    -mit Hirnstamm-/Kleinhirnzeichen
    -ohne Hirnstamm-/Kleinhirnzeichen (>50%)
  2. Rezidivierend: Attacke/Episoden
  3. Chronisch: Monate bis Jahre

Eine vestibuläre Migräne ist gekennzeichnet durch

Therapiert wird die vestibuläre Migräne mit nicht-steroidalen Antiphlogistika: Ibuprofen 600 mg und Antiemetika (zB. Metoclopramid). Zur prophylaktischen Therapie können Betablocker, Topiramat oder Valproinsäure gegeben werden, bei Kindern Magnesium 100 bis 300 mg.

Funktioneller Schwindel weist subjektiven Schwank-und Benommenheitsschwindel mit Gang-und Standunsicherheit bei normalem neurologischen Befund auf. Hinzu kommt eine fluktuierende Unsicherheit von Stand und Gang mit Fallangst ohne Stürze. Ausgelöst bzw. verstärkt werden die Attacken in Kaufhäusern, bei Menschenansammlungen oder auf weiten Plätzen. Funktioneller Schwindel bessert sich durch leichten Alkoholgenuss und während sportlicher Aktivitäten. Häufig am frühen Morgen besser. Die Symptome führen zunehmend zu Vermeidungsverhalten, die Persönlichkeitszüge sind meist zwanghaft, im Verlauf oft reaktive Depression.

Zur Therapie empfiehlt Strupp eine komplette Diagnostik, um dem Patienten die Furcht zu nehmen, an einer schweren Erkrankung zu leiden. Ergänzt werden sollte das durch eine psychoedukative Therapie und eine Desensibilisierung durch Eigenexposition. Hält der Schwindel an kann eine Pharmakotherapie mit Antidepressiva und eine Psychotherapie erwogen werden.

Quelle:
Der Schwindel – Ein interdisziplinäres Update. Unterstützt von Heel, Baden-Baden. 15. April 2018 DGIM Mannheim