Bricht bei den mitochondrialen Erkrankungen ein therapeutisches Zeitalter an?

Die mitochondriale Pathogenese ist bei zahlreichen v.a. neurodegenerativen Erkrankungen vorhanden. Bislang gibt es meist nur eine symptomatische Behandlung und keine Heilung. Doch wie Prof. Dr. Cornelia Kornblum hervorhob, steht ein Paradigmenwechsel an.

Mitochondriale Erkrankungen weisen – nur unter Erwachsenen – eine Prävalenz von 1:4300 auf. Die mitochondriale Pathogenese ist bei zahlreichen v.a. neurodegenerativen Erkrankungen vorhanden. Bislang gibt es meist nur eine symptomatische Behandlung (also zB. Antikonvulsiva, ketogene Diät tec.) und keine Heilung. Doch wie Prof. Dr. Cornelia Kornblum, Bonn, hervorhob, steht ein Paradigmenwechsel an: Denn erste Therapiekonzepte sind in Entwicklung oder in der klinischen Anwendung. Auch wird nach geeigneten Biomarkern und Surrogatparametern gesucht.

Bei mitochondrialen Erkrankungen führen Defekte der Mitochondrien zum Versagen des zellulären Energiestoffwechsels. Atmungskettendefekte zählen zu den klassischen untersuchten mitochondrialen Erkrankungen. Primäre Atmungskettendefekte betreffen entweder die Strukturuntereinheiten der Atmungskette selbst oder übergeordnete Faktoren. Sie bedingen einen primären zellulären Energiemangel (ATP-Mangel) und führen in vielen Fällen zu progredienten neurodegenerativen Krankheitsbildern. Dabei sind Atmungskettendefekte klinisch äußerst heterogen. Organe mit hohem Energieumsatz, d.h. ZNS, Skelettmuskel und Herz werden dabei am häufigsten in Mitleidenschaft gezogen.

Spezifische Therapiekonzepte bei mitochondrialen Erkrankungen

Präventiv kann bei Kinderwunsch die Mitochondrial Replacement Therapy (MRT bzw. "3-parent baby") eingesetzt werden. Bei der künstlichen Befruchtung werden dabei fehlerhafte Mitochondrien der Eizelle der Mutter durch intakte Mitochondrien einer anderen Frau ersetzt.

Kornblum zeigte am Beispiel der TK2-Defizienz und der mitochondrialen neurogastrointestinale Enzephalomyopathie (MNGIE) auf, welche Therapiekonzepte derzeit erprobt werden.

Therapiekonzepte zur TK2-Defizienz

Für die normale Funktion der mtDNA wird ein voll funktionsfähiges TK2-Gen benötigt. Bei der TK2-Defizienz aber entsteht durch den Mangel eine Myopathie, die zu Atembeschwerden, schlaffen Augenlider oder Kau- und Schluckbeschwerden führen kann. Zur Behandlung der TK2-Defizienz laufen derzeit folgende Studien bzw. sind in Planung:

Therapiekonzepte zur Mitochondrialen neurogastrointestinalen Enzephalomyopathien (MNGIE)

Ursache der autosomal rezessiv vererbten MNGIE ist eine Mutation im für eine Thymidinphosphorylase kodierenden TYMP Gen. Die mangelnde Funktion des Enzyms führt zu deutlich erhöhten Thymidin- und Desoxyuridinspiegeln in Blut und Urin. Das führt zur Instabilität der mtDNA und zur Anhäufung von mtDNA Mutationen in verschiedenen Geweben. Die Folge sind klinische Symptome wie gastro-intestinale Motilitätsstörungen, periphere Neuropathie, chronisch-progrediente externe Ophthalmoplegie und Leukoenzephalopathie.

Die symptomatische Therapie besteht in einer Überlauf-PEG und parenteraler Ernährung.

Spezifische Therapiekonzepte (der Ansatz ist dabei die Reduzierung der Konzentration von Thymidin/Desoxyuridin in Blut/Geweben) in klinischer Anwendung sind:

Phase 1, monozentrisch, n=12, 03/15-06/22

Elamipretid bei primärer mitochondrialer Myopathie verbessert die Gehfähigkeit

Eine multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie der Phase 1/2 (Karaa et al. Neurology, 2018) mit unterschiedlichen Dosen an Elamipretid untersuchte die Auswirkungen auf die Gehfähigkeit bei Patienten mit primärer mitochondrialer Myopathie. Die eingeschlossenen Patienten sollten weniger als einen Kilometer auf flachem Untergrund gehen können und Probleme haben, Anhöhen oder Treppen zu bewältigen. Allerdings mussten sie 6 Minuten gehen können, um den 6-Minuten-Gehtest zu bewältigen. Es wurden drei eskalierende Dosen (0,01, 0,10 und 0,25 mg) Elamipretid pro kg KG pro Stunde intravenös über zwei Stunden an fünf konsekutiven Tagen in den drei Kohorten untersucht.

Patienten, die die höchste Dosis erhielten konnten am fünften Tag 64,5m weiter gehen als die Patienten der Placebogruppe (20,4m). Zwei Tage nach Studienende gab es allerdings keinen signifikanten Unterschied zwischen Verum- und Placebogruppe. Alle anderen erhobenen Parameter waren nicht signifikant unterschiedlich. Schwere Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

Die Phase 3- Studie zu Elamipretid hat begonnen (40 mg subkutan vs. Placebo über 24 Wochen, Open Label Extension über 144 Wochen). Eingeschlossen sind 202 Patienten in 30 Studienzentren in Europa und Nordamerika. Die Studie läuft bis Januar 2019, eine Rekrutierung ist seit Ende Oktober 2018 in Bonn und München möglich.

Kornblum sieht aufgrund der vielen Therapieansätze ein "therapeutisches Zeitalter" für die mitochondrialen Erkrankungen anbrechen. Sie hob hervor, dass Partnerships zwischen Wissenschaft und Industrie notwendig sind. Die Rekrutierung von geeigneten Patienten sei der Schlüssel für Studien mit seltenen Erkrankungen. Wobei das Fehlen von Daten und fluktuierende Erkrankungsverläufe die Planung von Studien-Endpunkten erschweren. Um statistische Signifikanz zu erreichen, brauche man große Kohorten oder starke Therapie-Effekte.

Referenzen:
Neurowoche 2018. 91. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
44. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropädiatrie
68. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie,30. Oktober bis 3. November 2018