Fortschritte bei der Früherkennung von Alzheimer als einer Erkrankung schon des mittleren Lebensalters und die daraus entstehenden Konsequenzen für ein mögliches Screening sowie eine neue, vollständig überarbeitete S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Parkinson-Krankheit waren Hauptthemen des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie von Mittwoch bis Freitag in Berlin. Für beide Krankheiten wird, nicht nur demografiebedingt, eine deutlich steigende Prävalenz erwartet.
Die frühe Detektion von Alzheimer und die daraus folgenden therapeutischen Konsequenzen werden eine erhebliche praktische Auswirkung auf die ärztliche Praxis und das Gesundheitssystem insgesamt haben. "Alzheimer ist, anders als bislang angenommen, keine Alterserkrankung, sondern eine Erkrankung des mittleren Lebensalters", so Professor Michael Heneka (Luxemburg) beim Presidential-Symposion des DGN-Kongresses am Freitag in Berlin. Was man bislang als Krankheit verstanden habe, sei bereits das "Endstadium" eines langsamen, aber stetigen Abbauprozesses von Nervenzellen.
Dies erkläre, warum Therapien oft nicht wirksam seien und sich daher der Zustand der Betroffenen weiter verschlechtere. Je früher Therapie und Sekundärprävention zur Verlangsamung des Krankheitsprozesses einsetzten, desto erfolgversprechender seien sie, so Kongress-Präsidentin Professor Daniela Berg, Kiel.
Bislang fehlten dazu verlässliche Früherkennungstests – eine Diagnosestellung sei daher erst aufgrund klinischer Symptome im höheren Alter und damit zu spät erfolgt. Nun zeichnen sich mit der Entwicklung von Bluttests neue Methoden der Früherkennung ab, die in wenigen Jahren in die klinische Praxis eingeführt werden könnten. Das eröffne die Möglichkeit, bereits in Frühstadien die Behandlung zu starten und in die Erkrankungskaskade einzugreifen, so Daniela Berg.
Die neuen diagnostischen Möglichkeiten machen aber auch Entscheidungen auf politisch-gesellschaftlicher und auf der Systemebene notwendig. So müsse die Frage geklärt werden, ob in der medizinischen Praxis auf neurodegenerative Symptome getestet werden solle und ab welchem Alter dies zweckmäßig sei. Sodann sei die Frage zu klären, wie viele potenziell Betroffene medikamentös versorgt werden müssten. Die Frage ist am Ende auch, welche Entlastungen für das Gesundheits- und Pflegesystem durch eine verstärkte und systematische Früherkennung und Sekundärprävention durch frühe Therapie erreicht werden könne.
Auf die hohe Bedeutung von Prävention insbesondere durch einen gesundheitsbewussten Lebensstil wies Dr. Eva Schäffer aus Kiel hin: Bis zu 40 Prozent der neurodegenerativen Erkrankungen könnten durch Vermeidung von Risikofaktoren verhindert werden. Neben dem Lebensstil, der individuell gestaltbar ist, spielten dabei auch exogene Risikofaktoren wie die Exposition gegenüber Umwelttoxinen eine wichtige Rolle. Beispielhaft nannte Schäffer Pestizide, die nicht nur in Verdacht stehen, neurodegnerative Prozesse auszulösen, sondern sogar in der Forschung dazu genutzt werden, bei Versuchstieren Parkinson auszulösen. "Hier bedarf es eines gesellschaftlichen Umdenkens, der Einsatz solcher Gifte muss sehr viel restriktiver gehandhabt werden", so Kongresspräsidentin Daniela Berg.
Von welcher Brisanz versorgungs- und gesellschaftspolitisch, aber auch hinsichtlich der ökonomischen Auswirkungen ist, zeigt die Prävalenzentwicklung für Demenz: Betroffen von der Krankheit sind aktuell knapp 1,8 Millionen Menschen in Deutschland, davon die allermeisten – 1,7 Millionen – über 65 Jahre. Die Inzidenz lag 2021 bei 360.000 bis 440.000 und damit fast so hoch wie bei Krebs. Die Zahl der Erkrankten über 65-Jährigen wird Prognosen zufolge um rund 300.000 auf zwei Millionen im Jahr 2033 steigen.
Ein weiteres zentrales Thema war die Präsentation der neuen, vollständig überarbeiteten S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Parkinson-Krankheit. Beteiligt waren an der Neukonzeption insgesamt 19 Fachgesellschaften, Berufsverbände und Organisationen in der DACH-Region. Die wichtigsten Neuerungen:
DGN Kongress 2023: Neurodegenerative Erkrankungen im Fokus
Der DGN-Kongress 2023 findet vom 8. bis zum 11. November im CityCube Berlin statt und legt den Fokus auf neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie stellt mit ihrem Programm die neurologischen Folgen einer alternden Gesellschaft in den Mittelpunkt. esanum berichtet vom DGN Kongress. Hier finden Sie die aktuelle Berichterstattung.