Fluchtrisiko Tuberkulose: Unbegleitete Minderjährige besonders gefährdet

Die Symptomatik und ein mögliches höheres Risiko durch die Herkunft aus einem Tuberkulose-Land, oder aber ein Kontakt zu Erkrankten auf der Flucht, gelten als anamnestisch wichtige Hinweise auf eine mögliche Tuberkulose-Ansteckung.

Rund zwei Prozent minderjähriger Flüchtlinge mit Tuberkulose belastet

Unbegleitete Minderjährige, welche infolge der Flucht vor Krieg und humanitären Katastrophen in Deutschland ankommen, werden hierzulande nicht zentral erfasst. Daher gibt es über ihre genaue Zahl auch keine gesicherte Kenntnis. Diejenigen, die durch die Bundespolizei aufgegriffen wurden, erhalten in Gesundheitsämtern eine umfassende medizinische Erstuntersuchung. Die körperliche Verfassung dieser Kinder und Jugendlichen spiegelt vor allem die meist prekäre humanitäre Fluchtsituation wieder. Die Tuberkulose ist dabei aber sicher nur ein Aspekt unter vielen.   

Kam der überwiegende Teil der Minderjährigen 2015/16 noch aus Afghanistan, Syrien und Pakistan, ist mittlerweile ein veränderter Trend erkennbar. Es kommen derzeit nicht nur sehr viel weniger Flüchtlinge zu uns. Auch der Schwerpunkt nach Herkunftsland hat sich auf Afrika (Äthiopien, Somalia, Eritrea, …) verlagert.

Für unbegleitete Minderjährige, wenn sie in Deutschland durch die Ordnungsbehörden aufgegriffen wurden, übernimmt das Jugendamt die Vormundschaft. In einem anschließenden Erst-Screening ermitteln Ärzte den Gesundheitsstatus der Kinder und Jugendlichen, um nach den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes deren Eignung für eine Unterbringung in den Gemeinschaftsunterkünften festzustellen. Insbesondere der Tuberkulose-Status ist hierbei von Interesse. Deshalb muss in der Anamnese das Risiko für eine Ansteckung abgefragt werden, um dann eine weitergehende Diagnostik zu initiieren.

Etwa 95 % der unbegleiteten Minderjährigen sind männlich und viele bereits älter als 15 Jahre. Die Symptomatik und ein mögliches höheres Risiko durch die Herkunft aus einem Tuberkulose-Land, oder aber ein Kontakt zu Erkrankten auf der Flucht, gelten als anamnestisch wichtige Hinweise auf eine mögliche Tuberkulose-Ansteckung. Als häufigste Symptome wurden von den Kindern und Jugendlichen in der Erstuntersuchung genannt.

Husten > Bauchschmerzen > Dyspnoe, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß, Fieber > Inappetenz, Rückenschmerzen.

Tuberkulose und dann?

Daten aus Baden-Württemberg zeigten unlängst, dass circa 2 % der minderjährigen Flüchtlinge an einer behandlungswürdigen Tuberkulose leiden. Doch mit der Diagnose allein ist es noch nicht getan. Die Therapie, Nachverfolgung und Überwachung gestalten sich nicht immer so leicht. Die Sprachbarriere, ein abweichendes Krankheitsverständnis sowie das Ende der besonders engen Betreuung nach dem 18. Lebensjahr erschweren oft die Therapie. So beendet derzeit nicht einmal jeder zweite Jugendliche die einmal eingeleitete Tuberkulosetherapie. Mancher Minderjähriger hat zudem den Namenswechsel und die Neuregistrierung an anderem Ort perfektioniert. Dies macht es dann in solchen Fällen unmöglich, vorhandene Diagnosen und Therapieeinträge zuzuordnen.

Nicht selten ist der körperliche Befund unauffällig, selbst eine Röntgen-Thorax-Aufnahme liefert mitunter nur minimale Befunde.  Daneben kommt es aber zu ungewöhnlichen Beobachtungen in der Erstuntersuchung. Extrapulmonale Lokalisationen, paravertebrale Abszesse sowie verschiedene Formen der Organ- und ZNS-Tuberkulose wurden beobachtet. In Einzelfällen ist sogar mit multiresistenten Erregern als Ursache der Infektion zu rechnen.

Daneben existieren eine ganze Reihe Begleiterkrankungen, an denen Minderjährige mit Tuberkulose leiden. Die häufigste psychische Komorbidität ist beispielsweise die Depression. Darüber hinaus wurden Fälle beschrieben, bei denen die Tuberkulose mit einer HIV-Infektion vergesellschaftet war.

Die Flucht als Hauptrisikofaktor für Tuberkulose

Befragt nach ihrer Fluchtroute geben nahezu alle Minderjährigen aus Afrika an, es am Ende ihrer Flucht über Libyen nach Europa geschafft zu haben. Sie berichten von überfüllten Lagern in Libyen und von katastrophalen hygienischen Bedingungen, von Kriminalität, Misshandlungen und Übergriffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet die Lage in den libyschen Lagern als humanitäre Katastrophe. Da verwundert es nicht, dass die meisten der minderjährigen – und bei uns diagnostizierten – Flüchtlinge sich sehr wahrscheinlich in solchen libyschen Lagern mit der Tuberkulose infiziert hatten.

Libyen ist bereits seit Jahrzehnten ein typisches Einwanderungsland für Menschen aus der arabischen Welt und aus Ländern südlich der Sahara. In den vergangenen Jahren wurde es jedoch zunehmend zum Drehkreuz für Schleuserbanden, welche die Flüchtlinge aus den Krisengebieten Afrikas auf abenteuerlichen Routen übers Mittelmeer nach Europa schicken.

So erreichten im Jahr 2016 circa 168.000 Flüchtlinge aus Libyen die italienische Küste – mindestens 4.164 Menschen starben jedoch bereits bei dem Versuch auf See. 

Fazit

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unterliegen keiner systematischen Erfassung, weshalb ihre genaue Anzahl in Deutschland weiterhin unbekannt ist. Baden-Württemberg als eines der südlichen Erstkontakt-Bundesländer kann dennoch auf die Daten seiner Gesundheitsämter verweisen, wonach circa 2 % dieser Flüchtlingsgruppe mit Tuberkulose belastet sind.

Die Behandlung und Begleitung der Kinder und Jugendlichen ist z. B. aufgrund der Sprachbarriere anfangs deutlich erschwert. Daneben müssen Ärzte hierzulande im Hinterkopf behalten, dass es sich oft um durch Krieg, Hunger und erlebtes Leid traumatisierte Kinder handelt, die dann neben der Tuberkulose nicht selten auch psychische Komorbiditäten aufweisen. Diese können die Therapietreue ebenfalls negativ beeinflussen.

Quelle:
Klinisches Symposium "Tuberkulose bei Migranten in Deutschland", DGP 2018, Dresden