Pro oder Contra Low-Carb - Was ist die richtige Diät für Diabetes-Patienten?

Ernährung ist für Diabetes-Patienten naturgemäß ein zentrales Thema – und kein ganz einfaches. Selbst Experten und Ärzte sind in diesem Punkt nicht immer ganz sicher – und auch nicht immer einer Meinung.

Remis für Low Carb und Low Fat?

Ernährung ist für Diabetes-Patienten naturgemäß ein zentrales Thema – und kein ganz einfaches. Selbst Experten und Ärzte sind in diesem Punkt nicht immer ganz sicher – und auch nicht immer einer Meinung. Auf dem Symposium "Praxisdialog Pro und Contra Low Carb" diskutierten Experten auf dem Diabetes Kongress 2018 Ernährungs-Tipps für ihre Patienten

Prof. Dr. Anette Buyken, Ernährungswissenschaftlerin an der Universität Paderborn, sprach sich für Low Carb aus

Umstritten sei, was Low Carb überhaupt ist, leitet die Wissenschaftlerin ihren Vortrag ein. Wir sprechen von einer "very low carb diet", wenn unter 50g Kohlenhydrate am Tag gegessen werden. Die "Low-Carbohydrate diet" hingegen geht von unter 130g aus, die "moderate carbohydrate diet" erlaubt 130g, und die "High-carbohydrate diet" mehr als 225g.

Der Normalbevölkerung in Deutschland wird empfohlen, mehr als 50 Prozent der Energie mit Kohlenhydraten zu sich zu nehmen. Die WHO empfiehlt 55 bis 75 Prozent.

Die Beobachtung sei, dass man mit Low Carb besser an Gewicht verlieren kann. Dazu gibt es sehr viele Studien. Eine greift die Referentin heraus (hashimoto et al. Obes rev 2016), sie zeigt nach 12 Monaten mit 50g KH, bzw. "very low carb" mit kleiner als 10 Prozent KH versus Kontrollkost eine deutliche Gewichtsabnahme, insbesondere der Fettmasse, was einhergeht mit einer Erhöhung der Muskelmasse. Auch nach über einem Jahr bleibt die Verbesserung erhalten.

Wenn allerdings über Diabetiker gesprochen wird, gehe es nicht unbedingt um Körpergewicht an sich, sondern um die Körperfettverteilung, so die Referentin. Hier gibt eine neue Studie interessante Hinweise.

Adipöse Personen und Patienten mit Dyslipidämie haben sich jeweils Low-Fat- beziehungsweise Low-Carb-Diäten unterzogen.

Die Low-Fat-Gruppe bekam maximal 30 Prozent Fett, weniger als 10 Prozent gesättigte Fettsäuren. Ihre KH-Zufuhr betrug 53 Prozent nach 6 Monaten, nach 18 Monaten blieb der Wert gleich.

Das wurde einer Gruppe mit Low-Carb-Diät mit einem mediterranen Ernährungsmuster gegenübergestellt. Sie nahmen anfangs unter 40g KH am Tag zu sich, was später auf 70g erhöht wurde. Dazu gehörten viel Gemüse, Hülsenfrüchte, Geflügel, Fisch und 28g Walnüsse am Tag. Ihre KH-Zufuhr war nach sechs Monaten bei 32 Prozent, nach 18 Monaten bei 38 Prozent.

Was den Gewichtsunterschied anbetrifft, gab es keine signifikanten Unterschiede  zwischen beiden Gruppen. Doch es kam zu einer signifikanten Abnahme des intrahepatischen, des pankreatischen und des intrapericardialen Fetts. Das bedeutet, die Low-Carb-Kost mit mediterranem Einschlag erreicht eine deutliche Verbesserung der Körperfettzusammensetzung bei den metabolisch wirksamen Fetten.

Andere Metaanalysen zeigen bei Low Carb eine signifikante Verbesserung des HbA1c-Wertes im Verlauf von 3 bis 24 Monaten. Weitere Studien weisen Verbesserung beim Triglycerid- und des HDL-Spieles durch Low Carb nach. Zu Effekten auf LDL-Cholesterin gibt es noch zu wenige Studien. Erwartbar wären aber ähnlich positive Effekte, meint die Referentin.

Oft werde vorgetragen, dass Low Carb zu einer schlechteren Nährstoffdichte führen kann. Da ist etwas dran: Die Proteinzufuhr ist um etwa 5 Prozent höher, die gesättigten Fette sind auch etwas höher und der Ballaststoffanteil ist etwas niedriger.

Es gibt auch Bedenken, Low Carb könnte zu einer höheren Inzidenz an kardiovaskulären Erkrankungen führen, doch das widerlegen einige Studien.

Fazit

Prof. Buyken  schließt dagegen mit einer anderen Aussage: "Die Empfehlung einer kohlenhydratreichen Kostform ist wissenschaftlich nicht begründet."

Eine andere Sichtweise legte Prof. Dr. Hans Hauner vom Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin dar

Low Carb ist eine ziemlich alte Idee aus den 60er und 70er Jahren, beginnt er seinen Vortrag. Damals habe es die so genannten ketogenen Diäten mit dem Ziel der Gewichtsabnahme gegeben.

Eine systematische Literaturrecherche von 1966 bis 2003 hat dazu 94 Interventionsstudien ausgewertet. Die Unterschiede von Low-Carb- (kleiner 60g KH am Tag) und Low-Fat-Diäten waren bei Gewichtsverlusten gering, es wurde jeweils ein vergleichbarer Gewichtsverlust erzielt. Auch die gemessenen Blutfette, der mittlere Blutzucker, Insulin und Blutdruck waren vergleichbar. Schlussfolgerung der Autoren: Gewichtsverluste hingen eher von der Dauer als von der Art der Diät ab.

Anfang des neuen Jahrtausends seien die ketogenen Diäten wieder aufgekommen, so der Referent – und zwar beflügelt durch wirtschaftliche Interessen der amerikanischen Fleischindustrie. Das habe dazu geführt, dass sich die Wissenschaft intensiver damit beschäftigte. Prof. Hauner zitiert eine neuere Metaanalyse zur Gewichtsabnahme unter verschiedenen Diät-Formen aus 48 Interventionsstudien mit übergewichtigen und adipösen 7.286 Teilnehmern. Auch hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied der Gewichtsabnahme zwischen den verschiedenen Diät-Formen.

Etliche Studien deuten aber darauf hin, dass es auf die Dauer kaum klappt, sich kohlenhydratarm (unter 60g/Tag) zu ernähren. Dafür steigt der Verzehr von gesättigten Fettsäuren. Und die Ballaststoffaufnahme sinkt deutlich. Das sei eine klare Verschlechterung der Nährstoffqualität, meint Prof. Hauner.

Speziell zum Typ 2 Diabetes wurde eine Metaanalyse mit 152 Studien zur Frage der Wirksamkeit und Sicherheit von Low-Carb-Diäten gemacht. Ergebnis: keine signifikanten Unterschiede zwischen Low Carb und Low Fat bei metabolischen Parametern.

Zwei Kohortenstudien aus den USA (Nurses Health Studie mit 85.168 Frauen und Health Professionels Follow-up Studie  mit 44.548 Männern) vergleichen Low Carb  mit tierischen Quellen von Fett und Eiweiß versus pflanzliche Low-Carb-Diät. Fazit: eine Low-Carb–Kost  aus tierischem Quellen war bei Männern und Frauen mit höherer  Gesamtmortalität verbunden, während eine pflanzliche Kost eine niedrigere Gesamt- und kardiovaskuläre Mortalität  aufwies.

Eine weitere Metaanalyse mit 54 Interventionsstudien zeigt in der Summe eine Senkung der Gesamtmortalität nach Gewichtsreduktionsprogrammen mit überwiegend Low-Fat-Diäten. Für Low Carb liegen diese Daten nicht vor, erklärt Prof. Hauner. "Da sind wir einfach noch unsicher."

Fazit

Quelle: A.Buyken, H. Hauner "Praxisdialog Pro und Contra Low Carb", Diabeteskongress, 11.5.2018