esanum: Die Charité Mayo-Konferenz findet dieses Jahr bereits zum 15. Mal statt und hat sich zu einem bedeutenden Forum für Gynäkologen und Onkologen entwickelt. Welche neuen Therapien stehen dieses Jahr im Zentrum der Diskussion?
Prof. Sehouli: Lassen Sie mich etwas anders beginnen. Die Charité-Mayo-Konferenz ist eine der wenigen langanhaltenden wissenschaftlichen Plattformen, die einen strukturierten Dialog zwischen den USA und Deutschland und den besten Zentren der Welt zu den Themen der Frauengesundheit ermöglicht. In diesem Jahr haben wir zum ersten Mal einen Pre-Kongress, der drei große Themen umfasst. Erstmals gibt es eine sogenannte Spring School in Zusammenarbeit mit der Stanford University, um jungen Studierenden und Ärzten das so wichtige Thema Frauengesundheit näherzubringen. Zusätzlich thematisieren wir am 6. Mai den Nationalsozialismus und seine Verknüpfungen mit Forschung und Medizin in der Vergangenheit. Ebenfalls am 6. Mai findet ein Arbeitsgruppentreffen zu Diskriminierung und Rassismus statt, womit wir den traditionsreichen Kongress eröffnen.
Ein weiterer neuer Aspekt ist die Zusammenarbeit mit der UNFPA, der UN-Organisation, die wichtige Themen der Frauengesundheit behandelt und momentan unter erheblichen finanziellen Kürzungen leidet.
Die 15. Internationale Charité Mayo-Konferenz findet vom 7.-10. Mai in Berlin statt.
esanum: Und welche aktuellen medizinischen Aspekte stehen im Mittelpunkt?
Prof. Sehouli: Ein großes Thema in diesem Jahr sind die Anti-Drug Conjugates, eine neue Klasse von Medikamenten, die einen Hybrid zwischen Immuntherapie und Chemotherapie darstellen. Diese spielen sowohl beim Brust- als auch Eierstockkrebs, Gebärmutterhalskrebs und zukünftig bei weiteren Tumoren eine wichtige Rolle. Wir haben kürzlich die Zulassung für ein Medikament gegen platinresistente Ovarialkarzinome erhalten, ebenso wie für ein neues Medikament bei rezidiviertem Gebärmutterhalskrebs. Diese Medikationen zeigen in Studien einen Vorteil für das Gesamtüberleben.
Ein weiteres Highlight ist, dass wir nicht nur auf Frauenkrebserkrankungen fokussieren, sondern am Samstag einen Cross-Disease-Talk veranstalten. Hierbei wird auch u.a. über Leber- und Nierenkrebs gesprochen, und wir haben Kollegen aus anderen Disziplinen eingeladen. Durch den Feiertag am 8. Mai können wir keine Live-Operationen durchführen; deshalb zeigen wir via Video komplexe gynäkologische Tumoroperationen. Wir nutzen dies, um operative Herausforderungen darzustellen, die seltene Indikationen betreffen und nur im Team gemeistert werden können. Prof. Dr. med. Peter Vajkoczy wird eine besonders anspruchsvolle Operationen bei Hirnmetastasen demonstrieren. Auch komplexe pelvine Exenterationen, Leber- und Sarkomoperationen werden präsentiert.
esanum: Die Charité-Mayo-Konferenz legt Wert auf die Übertragung wissenschaftlicher Exzellenz in die klinische Praxis. Wie wird das im Programm umgesetzt?
Prof. Sehouli: Wir bieten mehrere Workshops an, etwa zu Prehabilitation und ERAS (Enhanced Recovery After Surgery), Biomarkern und zielgerichteten Therapien sowie Komplikationsmanagement. Auch ein Anatomiekurs an Lebendspenden ist Teil des Programms. Wir diskutieren in Panels, wie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in die klinische Praxis umgesetzt werden können. So schaffen wir einen strukturierten Dialog, in dem Fragen wie „Wie kann es sein?“, „Wie sollte es sein?“ und „Wie ist es?“ thematisiert werden.
esanum: Die Trennung zwischen Gesundheit und Politik scheint manchmal schwer möglich. So haben wir beispielsweise zuletzt auch Streiks an der Charité erlebt. Wie sehen Sie das?
Prof. Sehouli: Ich stimme zu, dass Mediziner und Wissenschaftler sich stärker in die Politik einbringen sollten – sowohl international als auch lokal. Die Krankenhäuser müssen klarer miteinander kooperieren und die Diskussion über eine Neustrukturierung, etwa nach bestimmten Behandlungsleveln, fehlt noch. Das Thema ist nicht moderiert und muss vorbereitet werden.
esanum: Hat die neue Strukturierung auch Auswirkungen auf zertifizierte Kliniken?
Prof. Sehouli: Bei der Krankenhausreform spielen Zertifizierungen und wichtige Qualitätsfaktoren (z.B. Tumorfreiheitsquote und Teilnahmerate an Studien) aktuell keine Rolle. Fallzahlen bestimmen die Zulassung zur Behandlung. Studien zeigen, dass dies nicht gleichbedeutend mit Qualität ist. Unsere Zielsetzung sollte sein, eine patientenzentrierte und forschungsorientierte Zentralisierung zu fördern.
esanum: Abschließend, wie tragen Sie die Konferenz in die Gesellschaft?
Prof. Sehouli: Abends fassen wir jeweils unsere Ergebnisse für die Patienten zusammen und nutzen Social Media, um junge Menschen über Plattformen wie TikTok und YouTube zu erreichen. So binden wir die Gesellschaft aktiv in den Kongress ein. Die Charité-Mayo Conference wird wieder ein großes Ereignis sein und wird alle begeistern, da bin ich mir sicher!