esanum: Frau Dr. Mundlos, Sie engagieren sich bei der ACHSE, der Anlaufstelle für Menschen mit seltenen Erkrankungen. Was genau tun Sie dort?
Dr. Mundlos: Die ACHSE wurde 2004 gegründet, um auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit seltenen, chronischen Erkrankungen aufmerksam zu machen. Diese sind aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen in unserem Gesundheitssystem nicht gut abgebildet. Von Anfang an wurde bei der ACHSE erkannt, dass wir eine Anlaufstelle für Betroffene benötigen. Erfahrungen aus unserer Beratung haben dann gezeigt, dass sich die Probleme der Betroffenen auch auf Seiten der Ärzte spiegeln müssen. Daher bieten wir uns seit 2008 auch als Ansprechpartner für Mediziner und Therapeuten an, um sie im Umgang mit seltenen Erkrankungen zu unterstützen.
esanum: Wie bekannt ist Ihre Organisation bei den Allgemein- und Hausärzten?
Dr. Mundlos: Leider nicht so bekannt, wie wir es uns wünschen. Oft hören wir von Ärzten, dass seltene Krankheiten nicht in ihren Praxen vorkommen. Dabei wissen sie meist nicht, dass sie tatsächlich Patienten mit seltenen Erkrankungen sehen, weil die Symptome so unspezifisch sind. Es ist wichtig, dass sie bei einer unklaren Symptomkonstellation, zu der schon viel Diagnostik erfolgt ist, die aber keine zielführenden Erkenntnisse gebracht hat, auch mal an das Vorliegen einer seltenen Erkrankung gedacht wird.
esanum: Hat sich die Zeit bis zur Diagnosestellung von seltenen Erkrankungen verkürzt?
Dr. Mundlos: Es gibt Fortschritte, zum Beispiel durch strukturierte Vorgehensweisen an Zentren für Seltene Erkrankungen an Unikliniken und durch Fortschritte in der genetischen Diagnostik. Studien deuten darauf hin, dass sich die Diagnosezeit von sieben auf etwa fünf Jahre verkürzt hat. Jedoch hängt vieles immer noch vom Zufall ab und davon, dass Patienten nicht aufgeben, eine Diagnose zu suchen.
esanum: Was ist derzeit Ihr dringendstes Problem in diesem Bereich?
Dr. Mundlos: Wir möchten die Vernetzung mit den niedergelassenen Ärzten verbessern, damit Patienten schneller Zugang zu spezialisierten Zentren erhalten. Außerdem benötigen Patienten während verschiedener Lebensabschnitte unterschiedliche Unterstützung, beispielsweise bei der Organisation von Heil- und Hilfsmitteln, Pflege, Reha und sozialer Unterstützung. Ein ”Case Manager auf Rezept“ könnte Patienten hierbei durch das komplexe Gesundheitssystem leiten.
esanum: Welche Botschaft haben Sie für Hausärzte, die seltene Erkrankungen in Betracht ziehen sollten?
Dr. Mundlos: Kein Arzt soll und kann sich mit den vielen seltenen Erkrankungen auskennen. Wenn man bei einer komplexen Symptomatik aber nicht weiterkommt, dann wäre es hilfreich, spezialisierte Zentren zurate zu ziehen, um Patienten eine umfassende Diagnostik und Versorgung zu ermöglichen. Oder sich an die ACHSE wenden, wir nutzen auch gerne unsere Vernetzung, um zu unterstützen.
esanum: Gibt es neue Entwicklungen, die Hoffnung bringen?
Dr. Mundlos: Bei Gen- und Zelltherapien tut sich einiges auch für Seltene Erkrankungen. Allerdings sind diese sehr kostspielig und müssen oft ihre langfristige Wirksamkeit noch unter Beweis stellen. Die Versorgung mit diesen Therapien muss auch organisiert werden, in Zeiten knappen Kassen werden die Herausforderungen für das Gesundheitssystem also nicht weniger.
Seit 2008 findet jedes Jahr Ende Februar der weltweite Tag der seltenen Erkrankungen statt. esanum begleitet den Tag und berichtet nicht nur über aktuelle Themen, sondern auch über mögliche Symptomkomplexe, Diagnostik, Therapieansätze und Orphan Drugs zur Behandlung von seltenen Krankheiten. Weitere Beiträge finden Sie im Themenspecial zum Rare Disease Day.