PD Dr. Johannes Fleckenstein von der Goethe Universität Frankfurt nannte seinen Vortrag auf dem Sports, Medicine and Health-Summit 2021 "Schmerztrigger: Wenn Bewegung/Sport schmerzt". Am Anfang des Vortrags steht eine Frage: Was passiert, wenn wir trotz oder gerade wegen sportlicher Betätigung Schmerzen erleiden? Das ist der Leitfaden des Vortrages.
Grund ist die Hoffnung, Schmerzen zu antizipieren. Jeder Dritte, der zu Schmerzmitteln greift, hofft, so das Risiko, ein Training oder Spiel zu verpassen, zu reduzieren. Dahinter steht etwa die Angst, beim Mannschaftssport einen Stammplatz zu verlieren.
Es gibt Belege dafür, dass das Level des sportlichen Leistungsgrades mit anderweitigem Substanzmissbrauch wie Nikotin, Alkohol und anderen Substanzen korreliert.
Präventive Analgesie bezeichnet die Einnahme eines Schmerzmittels vor Auftreten eines Schmerzreizes.
Vergleicht man Ultramarathonläufer (160 Km) die die gesamte Dosis von 1800 mg Ibuprofen einnahmen mit einer Kontrollgruppe:
Es folgt: Die Einnahme von Schmerzmitteln erfolgt eher aus psychologischen Gründen - aus physiologischen oder leistungssteigernden Gründen gibt es keinerlei Nutzen.
Zu differenzieren sind akuter und chronischer Schmerz. Der akute Schmerz zeichnet sich durch ein plötzliches Erscheinen aus, etwa beim Marathon, er ist ein Warnsignal. Er soll zum Beenden einer bestimmten Bewegung animieren. Dazu gehört Muskelkater, definiert als kleine Schädigungen im Muskelgewebe nach ungewohnter sportlicher Belastung. Zum einen gibt es den Muskelkater, den die meisten im Breitensport kennen. Ein struktureller Schaden entsteht eher durch Belastung oberhalb der Belastungsgrenze – durch ein Übertraining, mit entsprechenden Funktionsverlusten.
Chronischer, persistierender Schmerz über Monate und länger hat die Warnfunktion des Akutschmerzes nicht mehr. Er verursacht einen erhöhten Leidensdruck und mindert die Lebensqualität.
Eine Studie (Fett et al) verdeutlich die Tragweite.
Das Grundproblem ist aber: Akuter Schmerz erfüllt eine Schutz– und Warnfunktion. Chronischer Schmerz hat diese Funktion nicht.
Das Trauma, die Verletzung, der Schlag, das Übertraining ist die initiale Belastung. Sie führt zu einer Inflammation auf neurogener und zellulärer, lokaler Ebene. Das wiederum führt zu einer peripheren Sensibilisierung, die ein erstes schmerzhaftes Gefühl verursacht (Gierthmühlen et al). Dazu entsteht ein sekundärer Prozess, der verursacht primär Stress, aktiviert das autonome Nervensystem – das führt zu einer Rückkopplung, einem sympatho-afferent Coupling, was wiederum den Inflammationsprozess unterstützt. Und wenn das vegetative Nervensystem nicht in seine Ausgangsbasis zurückkehren kann, spricht man von einem sympathisch unterstützen Schmerz. Hinzu kommen Kontextfaktoren aus dem bio-psychosozialen Bereich, also psychologisches, soziales Erleben, was die Stress-Situation zusätzlich triggern kann. Und der Schmerz verselbstständigt sich.
Laboruntersuchungen mit Ratten haben nachgewiesen, dass der Schmerz ausgeschaltet ist, wenn der Nervus Sympathiskus durchtrennt wird. Dieser ist also eminent wichtig dafür, dass eine inflammatorische Sensibilisierung des Nozizeptors überhaupt möglich ist. Doch der Nervus Sympathiskus wird im Sportbereich gebraucht. In gewisser Weise macht er die Hochleistung erst möglich. Ein Problem entsteht, wenn sich das ganze verselbständigt.
Was im chronischen Verlauf passiert ist, dass durch die Maladaption die HPA-Achse übermäßig aktiviert wird. Das Cortisol hat nicht mehr seine antiinflammatorische Funktion, es kommt zu einer Cortisol-Dysfunktion, in deren Folge die Inflammation nicht mehr kontrollierbar ist. Wir erleben den Reflex aus Schmerz und Inflammation und dazu das psychosoziale Erleben, das man als Depression bezeichnen kann. Der Teufelskreis ist geschlossen.
Das sind die Elemente, an denen man das Thema angreifen könnte.