Kasuistik: Kreisrunder Haarausfall

Ein 28-jähriger Student bemerkt plötzlich Kahlstellen am Hinterkopf, die schnell wachsen. Der Verdacht auf einen Pilz bestätigt sich nicht – was steckt dahinter?

Anamnese:

Der 28-jährige Informatikstudent bemerkte vor ungefähr 6 Wochen erstmals eine münzgroße Kahlstelle am Hinterkopf. Inzwischen sind weitere rundliche haarlose Areale entstanden, die auch an Größe zunehmen. Zuerst hatte man an einen „Barber-Shop-Pilz“ gedacht aber eine „Pilzsalbe“ blieb ohne Erfolg. Es besteht bei dem Patienten eine atopische Diathese mit Beugeekzem überwiegend in der Kindheit und allergischer Rhinokonjunktivitis. Der Haarausfall beschränke sich auf das Kopfhaar, die übrige Körperbehaarung sei nicht betroffen. 

Hautbefund: 

Okzipital und hochparietal rechts finden sich insgesamt drei zwischen 3 und maximal 7cm durchmessende ovaläre scharf begrenzte Kahlstellen. Die Kopfhaut ist dabei vollkommen reizfrei und das verbliebene Kopfhaar kräftig und gesund. Dermatoskopisch sind auch intraläsional noch erhaltene Haarfollikel erkennbar, daneben mehrere sogenannte „Ausrufezeichenhaare“ (Abb. 1). 

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Abb. 1: Scharf begrenzte und oval umschriebene haarlose Areale auf reizfreier Kopfhaut (a-d). In der Dermatoskopie finden sich erhaltene Haarfollikel sowie sichtbare kurze ausgefranste Haarstümpfe („Ausrufezeichenhaare“) (e,f).

Labordiagnostik:

Unauffälliges Routinelabor einschließlich HbA1c, Zink, Eisen, sowie der Schilddrüsenwerte.

Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?

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Auflösung:

Therapie und Verlauf

Schon blickdiagnostisch sind die fast kreisrunden scharf abgegrenzten haarlosen Läsionen auf reizfreier Haut als Alopecia areata zu erkennen. Der dermatoskopische Aspekt sichert die Diagnose. Sichtbar sind einzelne und gruppierte pathognomonische „Ausrufezeichenhaare“ in den Randgebieten als auch inmitten der aktiven und progredienten Alopezieherde. Diese auch „Kadaverhaare“ oder „Kommahaare“ genannten 0,2-0,6 cm kurzen Haare haben Trichorrhexis-artig aufgesplitterte freie Enden, die sich zum Follikel hin verjüngen. Sie sind pathognomonisch für die Alopecia areata.

Aufgrund des progredienten Krankheitsverlaufes und der noch sichtbar erhaltenen Haarfollikel wurde eine systemische immunsuppressive Pulstherapie mit Prednsiolon eingeleitet. Dabei wurde mit einer Dosis 1mg/kg Körpergewicht begonnen und diese dann über den Verlauf von 10 Tagen ausgeschlichen. Es wurden 3 dieser Pulse mit einem jeweiligen Intervall von 3 Wochen durchgeführt. Lokal läsional wurde unterstützend mit einer Clobetasol-haltigen Creme behandelt.

Die Alopecia areata ist definiert als plötzlich auftretender, umschriebener, unterschiedlich ausgedehnter Haarausfall ohne Entzündungszeichen und ohne Vernarbung. Es besteht eine Inzidenz von 0,03-0,1% in der Bevölkerung. Das Krankheitsbild tritt bevorzugt im 2. bis 3. Lebensjahrzehnt auf wobei geschlechtliche Gleichverteilung besteht.

Es handelt sich vermutlich um eine Autoimmunerkrankung mit einem Angriff von CD8+T-Zellen auf Melanogenese-assoziierte Autoantigene in Anagenhaarfollikeln. Zudem ist ein polygener Erbgang wahrscheinlich.

Die Alopecia areata manifestiert sich häufig im Zuge von Auslösefaktoren wie Infektionen, Operationen oder emotionalem Stress. Oft besteht eine Assoziation zu Hashimoto-Thyreoiditis, Diabetes mellitus und atopischer Diathese wie im vorliegenden Fall.

Je nach Ausmaß des Haarverlusts unterscheidet man 4 Formen: Am häufigsten (80%) ist der kreisrunde Haarausfall mit scharf begrenzten kahlen Stellen, wie im hier beschriebenen Fall. Es finden sich die scharf abgegrenzten kreisrunden Alopezieherde. Sonderformen sind ein isolierter Verlust der Augenbrauen oder Wimpern. Eine weitere Sonderform ist die Alopecia areata vom Ophiasis-Typ.

Hierbei betrifft der Haarausfall die seitlichen Areale, den Nacken und die Stirn des behaarten Kopfes bei dem sich die Alopezie-Areale meanderförmig verbinden. Bei der Alopecia totalis (10-20%) kommt es zum Verlust der gesamten Kopfbehaarung. Ist die gesamte Körperbehaarung betroffen besteht eine Alopecia universalis (<10%). Die seltene Alopecia diffusa ( <1%) ist äußerst schwer von anderen Formen des nicht vernarbenden Haarausfalls, insbesondere der androgenetischen Alopezie, abzugrenzen (Abb. 2).

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Abb. 2: Verschiedene Formen der Alopecia areata mit Ophiasis-Typ (a), Alopecia subtotalis (b), und Alopecia universalis bei eineigen Zwillingen (c).

Prognoseverschlechternde Faktoren der Alopecia areata sind insbesondere rasche Progredienz, lang vorbestehende Erkrankungsdauer, Ophiasis-Typ, positive Familienanamnese, das Auftreten vor der Pubertät und assoziierte Autoimmunerkrankungen.

Klassische Therapieansätze bestehen in der Beseitigung auslösender Faktoren wie Stress, Infektionen, Medikamente. Die Anwendung lokaler und systemischer Steroide zielt auf die rasche Suppression des fehlgeleiteten Immunsystems ab. Alternativ kann versucht werden, durch lokale Reiztherapie das Zytokinmilieu über einen Switch von TH1 zu TH2 zu modulieren. Moderne Therapieansätze sind der systemische Einsatz von Biologika und von JAK-Inihibitoren (Tab. 1).

Tab. 1: Therapieprinzipien und verfügbare Wirkstoffe in der Behandlung der Alopecia areata.

Prinzip Wirkstoffe
Unspezifische Hautirritanzien („Reiztherapie“) Dithranol
Topische Immunmodulation („Kontaktsensibilisierung“) DNCB (Dinitrochlorbenzol), DPCP (Diphenylcycloprphenin)
Unspezifische Immunsuppressiva Lokale und systemische Steroide*, PUVA
Spezifische Immunsuppressiva Ciclosporin
Calcineurininhibitoren (off label) Tacrolimus, Pimecrolimus
Follikelstimulanzien Minoxidil
JAK-Inhibitoren Baricitinib, Ritlecitinib
Experimentell Tacrolimus, Zytokine, Biologika

Unter der immunsupressiven Behandlung des Patienten mit 3 Steroidpulsen und lokaltherapeutischer Unterstützung konnte ein Stopp der Krankheitsaktivität und ein wiederkehrender Haarwuchs in den betroffenen Arealen erreicht werden (Abb. 3).

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Abb. 3: Nahezu vollständiges Nachwachsen des Termnalhaares im Bereich der zuvor alopezischen Areale nach der steroidaler Pulstherapie in Woche 12 (a-d).

Die relativ kurze Krankheitsdauer, die intakte übrige Körperbehaarung und eine negative Familienanamnese waren hier die Prognose begünstigende Faktoren. Grundsätzlich ist der Krankheitsverlauf auch unter Therapie nie mit vollkommender Sicherheit vorherzusagen. Auch Rezidive sind möglich.

Fazit

Die Alopecia areata mit plötzlich auftretendem kreisrunden Haaverlust ist im typischen Fall eine Blickdiagnose. Es handelt sich vermutlich um eine Autoimmunerkrankung, bei der genetische Prädisposition und Auslösefaktoren eine Rolle spielen. Gelegentlich ist sie auch mit anderen autoimmun-vermittelten Krankheiten assoziiert. Die Behandlung folgt den Prinzipien der Ausschaltung von Auslösefaktoren, der Immunsuppression und der Reiztherapie und ist Weitergegenstand der Forschung. Nur bei rechtzeitigem Therapiebeginn besteht die Chance auf Rückkehr der Terminalbehaarung.

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