Herausforderungen und Forderungen in der Verhältnisprävention: Ein Interview mit Barbara Bitzer

DANK kritisiert gescheiterte Präventionspläne und fordert umfassende Maßnahmen gegen ungesunde Lebensmittel, zum Schutz der Kindergesundheit.

Interview mit Barbara Bitzer

esanum: Die Deutsche Allianz für Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) bedauert, dass Vorhaben zur Verhältnisprävention durch das Ende der Ampelregierung nicht mehr umgesetzt werden können. Welche Vorhaben meinen Sie konkret, und was bereitet Ihnen Sorge?

Frau Bitzer: Es gibt einige ernährungs- und präventionspolitische Pläne der Bundesregierung, die vermutlich in der Schublade verschwinden. Am wichtigsten wäre uns der Schutz von Kindern vor ungesunder Lebensmittelwerbung gewesen. Im Koalitionsvertrag war festgehalten: „Werbung für ungesunde Lebensmittel soll es für Kinder unter 14 Jahren nicht mehr geben.“ Das hatte uns optimistisch gestimmt. Der Minister legte einen mutigen Entwurf vor, der Kinder umfassend vor schädlicher Werbung hätte schützen können. Doch dieser Entwurf fand innerhalb der Koalition keine Mehrheit. Die FDP blockierte, und die SPD bezog keine klare Position. Wir befürchten nun, dass dieser wichtige Ansatz nicht weiterverfolgt wird.

Skepsis gegenüber der nächsten Regierung

esanum: Innerhalb der Ampelkoalition gab es also schon Schwierigkeiten. Was macht Sie so skeptisch gegenüber der nächsten Regierung?

Frau Bitzer: Wir hatten noch bis zuletzt gehofft, dass der Entwurf mit Zugeständnissen umgesetzt werden könnte. Es gab mehrfach Kompromissvorschläge, z. B. an der geplanten Uhrzeitenregelung, die Werbung für ungesunde Lebensmittel im Fernsehen nur noch außerhalb bestimmter Zeitfenster erlaubt hätte. Dennoch fand der Entwurf keine Zustimmung. Mit dem Ende der Ampelkoalition fürchten wir nun, dass er vollständig vom Tisch ist. Wir appellieren an die nächste Regierung, Verhältnisprävention ernst zu nehmen und endlich aktiv zu werden, obwohl das sicherlich nicht leicht wird.

esanum: Eine zentrale Forderung von DANK ist die Einführung einer Herstellerabgabe auf gesüßte Getränke, wie sie in Großbritannien bereits existiert. Warum ist das in Deutschland noch nicht umgesetzt?

Frau Bitzer: Das fragen wir uns auch. Großbritannien hat eine gestaffelte Herstellerabgabe eingeführt, die bei mehr als 5 % Zucker in Getränken greift. Ziel war es v.a., die Hersteller zu Rezepturanpassungen zu bewegen, ohne die Verbraucher stärker zu belasten. Die Maßnahme war sehr erfolgreich: Innerhalb kurzer Zeit wurde der Zuckergehalt deutlich reduziert. Heute enthalten Softdrinks in Großbritannien oft nur halb so viel Zucker wie in Deutschland. Wir fordern eine ähnliche Abgabe für Deutschland, ergänzt durch steuerliche Entlastungen für gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Die WHO empfiehlt solche Maßnahmen seit Jahren, und auch die Datenlage ist eindeutig: Sie reduzieren den Zuckerkonsum, ändern Kaufverhalten und können die Gesundheit verbessern. Doch hierzulande fehlt der politische Mut, sich gegen die starke Lebensmittellobby und Werbewirtschaft durchzusetzen.

Kindergesundheit und Präventionsdringlichkeit

esanum: Für die Kindergesundheit ist das ein großer Rückschlag. Warum sehen Sie das Problem als so dringlich an?

Frau Bitzer: Die Adipositasraten steigen – vor allem bei Kindern aus sozial schwachen oder bildungsfernen Schichten. Wer als Kind adipös wird, hat oft lebenslange gesundheitliche Probleme. Freiwillige Maßnahmen wie Appelle an Eltern oder Einzelprojekte und Aufklärung in Schulen und Kitas haben nicht flächendeckend gewirkt. Sie erreichen meist nur Menschen, die ohnehin gesundheitsbewusst sind. Umso wichtiger sind Maßnahmen, die die Verhältnisse ändern – etwa Werbebeschränkungen, eine Herstellerabgabe oder verpflichtende Bewegungsangebote und Ernährungsstandards in Schulen und Kitas. Solche gesamtgesellschaftlichen Ansätze erreichen alle und erleichtern es Familien, gesunde Entscheidungen zu treffen.

esanum: Sie fordern also verbindliche Maßnahmen und sprechen von „Verhältnisprävention“. Manche empfinden Verbote oder Steuererhöhungen als unsympathisch.

Frau Bitzer: Wir vermeiden Begriffe wie „Verbote“ oder „Steuern“, weil es darum nicht geht. Eine Herstellerabgabe betrifft v.a. die Produzenten, nicht die Verbraucher. Es geht darum, gesunde Entscheidungen zu erleichtern, ohne jemandem etwas zu verbieten. Eltern tragen die Verantwortung für die Ernährung ihrer Kinder, aber wir möchten ihnen helfen, indem Kinder weniger von Werbung für ungesunde Produkte beeinflusst werden.

esanum: Ungesunde Ernährung ist auch ein Risikofaktor für Diabetes. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang?

Frau Bitzer: Ein ungesunder Lebensstil mit wenig Bewegung ist ein Hauptfaktor für die Entstehung von Typ-2-Diabetes und andere Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Problemen oder bestimmten Krebsarten. Mit über 9 Millionen Diabetes-Betroffenen in Deutschland ist das eine riesige Herausforderung. Wir müssen die Versorgung sichern und gleichzeitig präventiv gegen Adipositas und Folgeerkrankungen vorgehen. Prävention ist essentiell, um diesen Tsunami aufzuhalten.

Forderungen an die nächste Regierung

esanum: Welche konkreten Forderungen haben Sie an die nächste Regierung?

Frau Bitzer: Wir sehen vier zentrale Punkte:

  1. Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung: Der vorliegende Entwurf sollte weiterverfolgt werden, um Kinder wirksam vor schädlichen Werbeeinflüssen zu schützen.
  2. Steuerliche Maßnahmen: Eine Herstellerabgabe auf gesüßte Getränke nach britischem Vorbild und die Entlastung gesunder Lebensmittel.
  3. Verpflichtende Bewegung: Mindestens eine Stunde Sport oder Bewegung täglich in Schulen und Kitas.
  4. Standards für Kita- und Schulernährung: Verbindliche Vorgaben nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.

Jede Maßnahme für sich ist wichtig, doch die größte Wirkung erzielen wir durch eine Kombination. Andere Länder wie Großbritannien, Chile oder Portugal machen es vor – das sollten wir uns zum Vorbild nehmen.

Wer ist Barbara Bitzer?

Barbara Bitzer ist Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin des Wissenschaftsbündnisses DANK Deutsche Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten.