Psychischer Stress und Virusinfektionen gelten als mögliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Typ-1-Diabetes bei Kindern. Muss man daher mit einem Anstieg der Inzidenz durch den COVID-19-bedingten Lockdown rechnen? In Deutschland wurde dazu eine Untersuchung gemacht, die den Fachleuten aus der Epidemiologie und der Diabetologie neue Erkenntnisse geliefert hat.1
Nach katastrophalen Ereignissen wie dem Atomunfall in Tschernobyl 1986 oder dem Erdbeben 1994 in Los Angeles wurde ein Anstieg der Inzidenz an Typ-1-Diabetes beobachtet. Auch die COVID-19-Pandemie mit den dadurch bedingten sozialen und ökonomischen Einschränkungen könnte solch ein Ereignis sein. Dies gilt insbesondere auch für Kinder und Jugendliche, die durch die Schließung von Kindergärten und Schulen sowie die Einschränkungen bei Hobbys und Treffen mit Freunden sozial isoliert wurden. Zudem ist das Auftreten eines Typ1-Diabetes auch mit viralen Infektionen verbunden, die die Immunreaktion verändern und zu einer direkten Schädigung der β-Zellen führen können.
Sascha René Tittel vom Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie an der Universität Ulm hat zusammen mit 216 pädiatrischen Diabetes-Zentren in der Bundesrepublik geprüft, ob es einen Zusammenhang zwischen der Inzidenz des Typ-1-Diabetes und dem COVID-19-Lockdown zwischen März und Mai 2020 gibt. Dazu wurde die Rate an neu diagnostizierten Fällen von Typ-1-Diabetes bei Kindern von sechs Monaten bis 18 Jahren zwischen dem 13. März und dem 13. Mai mit dem gleichen Zeitraum in den Jahren 2011 bis 2019 verglichen.
Insgesamt bestätigte sich, dass die Inzidenz des Typ-1-Diabetes bei Kindern in den letzten Jahren zugenommen hat – von 16,4 pro 100.000 im Jahr 2011 auf 22,4 pro 100.000 im Jahr 2019. Im Frühjahr 2020 lag die Inzidenz bei 23,4/100.000 – beruhend auf 532 Fällen unter 13,7 Millionen Kindern unter 18 Jahren. Damit wurde kein signifikanter Anstieg zu den Vorjahren beobachtet. Dies galt auch nach Stratifizierung nach Altersgruppen oder Geschlecht. Allerdings war eine nicht-signifikante höhere Rate bei männlichen Kindern zu verzeichnen (28,1 im Vergleich zu den erwarteten 23,1/100.000) – bei Mädchen war die Rate mit 18,6/100.000 eher niedriger als zu erwarten (20,9).
Damit folgt die Inzidenz der Typ-1-Diabetes bei Kindern dem Trend der letzten Jahre - ein kurzfristiger Einfluss der COVID-19-Pandemie ist nicht zu beobachten. Ein starker direkter diabetogener Effekt erscheint damit unwahrscheinlich, schwache Effekte können aber aufgrund der relativ geringen COVID-19-Rate in Deutschland nicht ausgeschlossen werden, schreiben die AutorInnen. Es bleibt auch unklar, ob sich die möglichen negativen Effekte durch erhöhte Stress-Level mit dem verstärkten Schutz vor Virusinfektionen durch den Lockdown gegenseitig aufheben.
Quelle:
1. Sascha René Tittel et al; Did the COVID-19 Lockdown Affect the Incidence of Pediatric Type 1 Diabetes in Germany? Diabetes Care (2020); DOI: https://doi.org/10.2337/dc20-1633