Elternreaktionen auf somatisch nicht erklärbare abdominale Schmerzen ihres Kindes

Chronische funktionale Beschwerden im Gastrointestinaltrakt gehören mit einer Prävalenz von 13,5 % weltweit zu den häufigsten Diagnosen im Kindes- und Jugendalter. Sie stellen eine Ausschlussdiagnose dar, die keine spezifische Therapie nach sich zieht und von den hilfesuchenden Eltern der Patienten oft als unbefriedigend erlebt wird.

Chronische funktionale Beschwerden im Gastrointestinaltrakt (Functional gastrointestinal disorders,  FGIDs) gehören mit einer Prävalenz von 13,5 % (95 % Konfidenzintervall [CI] 11,8–15,3 %) weltweit zu den häufigsten Diagnosen im Kindes- und Jugendalter.1 Sie stellen eine Ausschlussdiagnose dar, die keine spezifische Therapie nach sich zieht und von den hilfesuchenden Eltern der Patienten oft als unbefriedigend erlebt wird.

Eine qualitative norwegische Studie ging nun der Frage nach, wie Eltern auf die Diagnose einer abdominalen funktionalen Störung bei ihrem Kind reagieren.2 Auf Grundlage ihrer Ergebnisse empfehlen die Studienautoren, die betroffenen Familien nach der Diagnose in einem spezialisierten Zentrum medizinisch weiter zu betreuen und sie über Strategien zur individuellen und familiären Schmerzbewältigung zu informieren. Gleichzeitig warnen die Autoren davor, sich angesichts der für die Familien oft unbefriedigenden Situation auf immer weitere und letztlich fruchtlose diagnostische Maßnahmen einzulassen. Neben Zeit und Zuwendung des behandelnden Arztes könnten die betroffenen Familien eventuell von kognitiver Therapie profitieren.

Wie gehen Familien mit wiederkehrenden Schmerzen eines Kindes um?

Die Wissenschaftler um Anne Brodwall von der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Vestre Viken Trust in Baerum, Norwegen, interviewten für ihre qualitative Studie 5 Väter und 10 Mütter von insgesamt 14 Patienten, die an funktionalen abdominalen Beschwerden litten. Die Patienten waren 6 bis 13 Jahre alt. Dreizehn der Patienten hatten zwischen ein und vier Geschwister.

Die Interviews wurden in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur abschließenden Diagnosestellung einer funktionellen Störung geführt und folgten einem vorstrukturierten Fragenkatalog. Alle Interviews erfolgten durch die Erstautorin der Studie, einer ausgebildeten Kinder- und Jugendpsychiaterin, die sich den Familien als ärztliche Wissenschaftlerin ohne therapeutische Verantwortung vorstellte.

In den Interviews kristallisierten sich drei thematische Schwerpunkte heraus:

  1. Der Einfluss der Erkrankung auf das Familienleben.
  2. Der Wunsch nach einer spezifischen Diagnose und der Möglichkeit, diese mit einem Facharzt zu besprechen.
  3. Die Schmerzen des Kindes interpretieren und mit ihnen umgehen zu können.

Der Umgang mit der Erkrankung des Kindes unterschied sich stark von Familie zu Familie. Dabei reichte das Spektrum von großer Rücksichtnahme auf das betroffene Kind während der Schmerzphasen bis zu weitgehendem Ignorieren derselben. Entsprechend trennten die Eltern das Familienleben während der Schmerzphasen weitgehend vom sonstigen Familienleben oder setzten das Alltagsleben auch während Krankheitsschüben unverändert fort und überließen es vollständig den erkrankten Kindern, wie diese mit ihren Schmerzen umgingen.

Dieses Spektrum von Verhaltensweisen fand sich entsprechend auch bei den Geschwistern der FGID-Patienten, das von Zuwendung für das erkrankte Geschwister über Ignoranz der Schmerzen bis zu Klagen über die erhöhte Aufmerksamkeit reichte, die den Patienten durch die Eltern zuteilwürde.

Frustrierende Erfahrungen mit Ärzten und Therapeuten

Viele Eltern fühlten sich durch die und mit der Diagnose allein gelassen. Sie erlebten einen ausgeprägten inneren Druck, ihr Kind von den Schmerzen zu befreien, und fühlten sich dabei von den behandelnden Ärzten im Stich gelassen. Etliche Eltern verbanden mit der Untersuchung des Kindes die Hoffnung auf rasche Hilfe bzw. eine sofort oder in naher Zukunft verfügbare "Wunderpille", durch die die Beschwerden behoben werden könnten. Viele deuteten ihre empfundene Hilflosigkeit angesichts der Erkrankung an, derer sie sich schämten.

Auf die Beschwerden ihres Kindes reagierten die Eltern auf vielfältige Weise, die von starker Zuwendung bis zur weitgehenden Abkapselung der Erkrankung vom Familienleben reichte. Einige Eltern delegierten die Verantwortung für das Krankheitsmanagement vollständig an das erkrankte Kind und sprachen sich dafür aus, dass das Kind selbst erfahren müsse, was ihm bekomme und was nicht. Andere erklärten sich die unerklärlichen Beschwerden als kognitiven Entwicklungsrückstand ihres Kindes. Das betroffene Kind müsse beispielsweise lernen, nervöse Anspannung ("Kribbeln im Bauch") nicht als Bauchschmerz zu bezeichnen.

Einige Eltern ließen den betroffenen Kindern Rückzugsräume offen, in denen diese mit ihrer Erkrankung umgehen konnten, während wiederum andere die Schmerzphase als gesamtfamiliäres Problem ansahen, bei dem gemeinsam ferngesehen oder auf andere Weise Ablenkung von den Beschwerden geschaffen wurde.

In der Diskussion verweisen die Studienautoren auf eine Vielzahl bekannter Untersuchungsergebnisse, die sowohl – eher – die Eltern als auch – eher – die Patienten als Ausgangspunkt des Krankheitsgeschehens ansähen. So hätten Mütter mit chronischen Schmerzen rund fünfmal so oft Kinder mit funktionalen Störungen wie Mütter der Allgemeinbevölkerung.3 Ebenso könne nach Michael Balint eine funktionale Störung aber als Versuch des betroffenen Kindes gedeutet werden, Probleme innerhalb der Familie zu thematisieren, für die es anders keinen Ausdruck finde.

In der aktuellen Untersuchung dominierte nach Aussage der Autoren die elterliche Hoffnung auf eine klare Diagnose und zielführende Behandlung. Im- oder explizit verliehen viele Eltern ihrer Sorge Ausdruck, eine gefährliche Diagnose könne übersehen werden. Oft sei auch das Anliegen geäußert worden, beim Verstehen der Beschwerden ihres Kindes unterstützt zu werden und die Schmerzen ihres Kindes nicht als persönliches Versagen erleben zu müssen.

Als Fazit halten die Wissenschaftler fest, dass die betroffenen Familien auch über die Diagnosefindung hinaus medizinisch betreut werden sollten. Therapeutisch seien nach aktuellem Kenntnisstand u. a. kognitive Verhaltenstherapien ein möglicher Weg, die Betroffenen und ihre Familien zu unterstützen. Weitere nicht ausdrücklich begründbare diagnostische Maßnahmen halten die Autoren hingegen für kontraproduktiv. Diese dienten lediglich zur Ruhigstellung der frustrierten Eltern und Mediziner.

Quellen: 
1. Korterink JJ, et al. Epidemiology of pediatric functional abdominal pain disorders: a meta-analysis. PLoS One 2015; 10: e0126982–17. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4439136/pdf/pone.0126982.pdf .
2. Brodwall A, et al. Parents' experience when their child has chronic abdominal pain: a qualitative study in Norway. BMJ Open. 2018; 8: e021066. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5950638/pdf/bmjopen-2017-021066.pdf
3. Graungaard AH, et al. Maternal pain influences her evaluation of recurrent pain in 6- to 11-year-old healthy children. Acta Paediatr 2016; 105: 183–90. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26383986