Hoffnung für Zöliakie-Patienten? - Computer-designter Wirkstoff zum Gluten-Abbau

Zahlreiche Zöliakie-Patienten leiden durch die unbeabsichtigte Aufnahme von Gluten immer wieder an Symptomen ihrer Erkrankung. Eine aktuelle Phase I-Studie könnte nun erstmals eine medikamentöse Therapie in Aussicht stellen.

TAK-062 zeigte in vitro als auch in vivo vielversprechende Ergebnisse

Die Zöliakie gehört zu den undankbarsten Krankheiten, mit denen ein Gastroenterologe konfrontiert werden kann. Die Therapie der Autoimmunerkrankung besteht in lebenslanger Meidung von Gluten und dem Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel in Gestalt einer glutenfreien Diät (GFD). Trotz aller Mühe und Disziplin der Patienten ist diese Behandlung jedoch unvollkommen und störanfällig.

Zahlreiche Patienten leiden durch die unbeabsichtigte Aufnahme von Gluten immer wieder an Symptomen ihrer Erkrankung, die von Durchfällen über Mangelzustände und neurologische Beschwerden u. a. bis zu Infertilität und malignen hämatologischen Erkrankungen reichen.1,2

Eine aktuelle Phase I-Studie, die das Unternehmen PvP Biologics, Inc, aus San Diego, USA, gemeinsam mit weiteren forschenden Pharmafirmen durchgeführt hat, könnte nun erstmals eine medikamentöse Therapie der Zöliakie in Aussicht stellen.3 Der getestete, am Computer entworfene Wirkstoff TAK-062, so die Studie, habe sowohl in vitro als auch in vivo gezeigt, immunogene Gluten-Peptide im Magen in hinreichendem Maß abbauen zu können, um eine symptomatische Zöliakie zu verhindern.

Forschung an Gluten-abbauenden Enzymen

Neben der Meidung von glutenhaltigen Nahrungsmitteln in Form einer GFD liegt es therapeutisch nahe, den Eintrag von Gluten in den Darm durch einen medikamentösen Abbau des Proteins bzw. seiner immunogenen Komponenten zu reduzieren. Als kritischen Grenzwert für die Beschwerdefreiheit der Patienten haben Catassi et al. eine Menge von rund 50 mg Gluten pro Tag bestimmt.4.5 Diese tolerable Maximalmenge setzt hohe Anforderungen an den Gluten-Abbau. Eine durchschnittliche Mahlzeit enthält zwischen 3 und 9 g Gluten. Von dieser Menge müssten also ca. 99 Prozent umgesetzt werden, um Symptome einer Zöliakie zu vermeiden. Erschwerend kommt hinzu, dass der Abbau im Magen erfolgen muss, dessen pH-Wert zwar grundsätzlich sauer ist, aber im Verlauf der Verdauung erheblichen Schwankungen unterliegt und zusätzlich bei vielen Patienten durch Protonenpumpeninhibitoren (PPI) modifiziert sein kann. Beide Faktoren schränken die Wahl geeigneter Proteasen zur Gluten-Spaltung stark ein.4,5

Frühere Untersuchungen konzentrierten sich auf die biochemische Manipulation bekannter Proteasen, um diese für den Abbau von Gluten im Magen zu optimieren. Als besonders vielversprechend haben sich in den letzten Jahren Untersuchungen zum Wirkstoff ALV003 (Latiglutenase) erwiesen. Dieser war jedoch nicht in der Lage, mehr als 75 bzw. 88 Prozent des Glutens in einer komplexen Mahlzeit mit einem Ausgangsgehalt von 1 g Gluten abzubauen.6 Selbst bei dieser – gegenüber normalen Mahlzeiten reduzierten – Gluten-Menge reichte die proteolytische Kapazität des Medikaments also nicht aus, um den Gluten-Gehalt unter die kritische Grenze von 50 mg pro Tag zu drücken.

Computer-designtes Enzym zeigt ausreichende Wirkung bei hoher Sicherheit und Verträglichkeit

In einer aktuellen Phase I-Studie wurde nun der am Computer entwickelte Wirkstoff TAK-062 untersucht. Die Untersuchung zeigte, dass TAK-062 unter simulierten ebenso wie unter realen Bedingungen bei gesunden Testpersonen bis zu 6 g Gluten aus komplexen Mahlzeiten in physiologisch relevanten Zeiträumen von 20, 35 und 65 min entfernen konnte. Dass bestätigte sich selbst dann, wenn die Versuchspersonen über sieben Tage mit einem PPI vorbehandelt worden waren. Damit sollte sich der Wirkstoff auch zur effektiven Behandlung derjenigen zahlreichen Zöliakie-Patienten eignen, die regelmäßig PPI einnehmen.

Tak-062 wurde dabei sowohl in flüssiger Form als auch verkapselt eingenommen. Beide Zubereitungsformen erwiesen sich als vergleichbar effektiv, wobei die Wirkung bei verkapseltem Wirkstoff später eintrat.

Der proteolytische Effekt von TAK-062 war so gewählt worden, dass er spezifische Peptidstrukturen im Gluten-Bestandteil Gliadin angriff, die nur sehr selten in anderen Körpereiweißen vorkommen. Dadurch, so vermuten die Studienautoren, werde selbst in komplexen Mahlzeiten weniger proteolytische Kapazität durch Nicht-Gluten-Proteine gebunden und die Wirkung einer TAK-062-Dosis bleibe vorwiegend auf Gluten konzentriert.

TAK-062 konnte – unabhängig von der Dosierung – in der Studie weder bei gesunden noch bei an Zöliakie leidenden Versuchspatienten im Blutplasma nachgewiesen werden. Dementsprechend konnte keine systemische Wirkung des Medikaments nachgewiesen werden. In Tierversuchen war zudem bis zu extremen Dosierungen von bis zu 2 g/ kg KG / d keine Toxizität nachweisbar. Auch vertrugen sowohl die gesunden als auch die Zöliakie-betroffenen Testpersonen den Wirkstoff ohne Komplikationen. Die Studienautoren gehen daher davon aus, dass es selbst bei einer verzögerten Magenentleerung nicht zu einer Vergiftung durch die Substanz kommen werde.

Die Autoren wollen nun zügig auch die klinische Erprobung des Pharmakons in einer Phase II-Studie untersuchen.

Was bedeuten diese Ergebnisse für Zöliakie-Patienten?

Die Entwicklung von TAK-062 lässt aktuell den Horizont für Zöliakie-Patienten erstrahlen. Alle bisher untersuchten Parameter sprechen dafür, dass der Wirkstoff dazu in der Lage sein könnte, die Lebensqualität von Patienten auf GFD nachhaltig zu verbessern. Dennoch bleiben die entscheidenden Tests der Phase II- und III-Studien abzuwarten und Versprechungen sollten nicht gemacht werden. Die weitere Entwicklung von TAK-062 wird mit großem Interesse verfolgt werden.

Quellen:
1. Green PH, et al. Celiac disease. J Allergy Clin Immunol. 2015; 135: 1099-106.
2. Rubio-Tapia A, et al. ACG Clinical Guidelines: Diagnosis and Management of Celiac Disease. Am J Gastroenterol 2013; 108: 656–676.
3. Pultz IS, et al. Gluten Degradation, Pharmacokinetics, Safety, and Tolerability of TAK-062, an Engineered Enzyme to Treat Celiac Disease. Gastroenterology 2021; 161: 81-93.
4. Catassi C, et al. A prospective, double-blind, placebo-controlled trial to establish a safe gluten threshold for patients with celiac disease. Am J Clin Nutr 2007; 85: 160–166.
5. Akobeng AK, Thomas AG. Systematic review: tolerable amount of gluten for people with coeliac disease. Aliment Pharmacol Therap 2008; 27: 1044–1052.
6. Siegel M, et al. Safety, tolerability, and activity of ALV003: results from two phase 1 single, escalating-dose clinical trials. Dig Dis Sci 2012; 57: 440–450.