Geschlechterparadoxon bei PAH: Liegt die Lösung in der Big Data des PHAR-Registers?

Die pulmonale arterielle Hypertonie weist eine bemerkenswerte Geschlechterdifferenz auf: Das weibliche Geschlecht ist deutlich häufiger betroffen, das männliche Geschlecht ist aber mit einer schlechteren Überlebensprognose vergesellschaftet. Warum?

"Collider-Stratification Bias"

Es gibt unterschiedliche Faktoren, die die Ergebnisse von Beobachtungsstudien verzerren können. Neben den Störgrößen (Confounder) spielt auch der "Collider-Stratification Bias" eine wichtige Rolle. Im einfachsten Fall stellt wird der Collider durch lediglich 2 Variablen beeinflusst. Werden diese Variablen bei der Auswertung der Studienergebnisse nicht in Betracht gezogen, so können falsche Schlüsse gezogen werden. Neben dem "Geschlechterparadoxon" bei PAH gibt es noch etliche weitere Beispiele: So ist z.B. die Adipositas ist mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden. Diabetiker, die zusätzlich an Adipositas leiden besitzen jedoch ein verringertes Mortalitätsrisiko. In diesem Fall wäre es falsch anzunehmen, dass Adipositas ein protektiver Faktor bei Diabetes ist. Hier und auch bei dem „Geschlechterparadoxon“ bei PAH ist es essentiell, die kausalen Zusammenhänge und die damit verbundenen, möglicherweise noch unbekannten Variablen zu identifizieren, um falsche protektive Assoziation zu vermeiden. Auf der Grundlage dieser Intention versuchte die amerikanische Forschungsgruppe um DesJardin J.T. dem "Geschlechterparadoxon" bei PAH auf den Grund zu gehen.1,2

Die PAH und ihre Variablen stellen sich vor

Die pulmonale Hypertonie (PH) wird abhängig von den zugrundeliegenden pathophysiologischen Mechanismen, hämodynamischen Merkmalen sowie dem klinischen Erscheinungsbild in je 5 Gruppen unterteilt, wobei die PAH zur Gruppe 1 zugehörig ist. 

Welche genetischen Variablen gibt es bei PAH? 

Hinsichtlich des genetischen Hintergrunds dieser Erkrankung spielt ein ganz bestimmter Defekt eine wichtige Rolle: Eine Mutation im Gen, das für den Rezeptor für das morphogenetische Knochenprotein 2 (BMPR2) kodiert. Die dadurch hervorgerufene Loss-of-Function-Mutation im BMPR2-Gen stellt die häufigste genetische Ursache der pulmonalen arteriellen Hypertonie dar. Es wird vermutet, dass diese Mutation die bereits bei der PAH vorhandenen abnormalen zellulären molekularen Signaturen um ein weiteres verstärkt und so die Krankheitsprognose verschlechtern kann. In einem 2023 publizierten Review der American Heart Association wurden Zusammenhänge zwischen dieser Mutation und verschiedenen Stoffwechselanomalien diskutiert. Eine gestörte BMPR2-Signalübertragung könnte demnach das heterogene Therapieansprechen von PAH-Patienten erklären. Die BMPR2-Mutation scheint entscheidend für die Pathogenese der pulmonalen arteriellen Hypertonie zu sein und besitzt daher eine wichtige Rolle in der Entwicklung potenzieller therapeutischer Strategien.4

Die BMPR2-Mutation ist somit eine weitere Variable, die zur Aufdeckung des "Geschlechterparadoxons" bei PAH beitragen kann.4 Bei Patienten mit HPAH und IPAH weisen Männer mit größerer Wahrscheinlichkeit BMPR2-Mutationen auf. In einer chinesischen Studie aus dem Jahr 2020 waren die hämodynamischen und funktionellen Parameter bei IPAH- und HPAH-Patienten mit BMPR2-Mutation schlechter als bei Patienten ohne BMPR2-Mutation. Patienten mit BMPR2-Mutation wurden bereits in einem jüngeren Lebensalter diagnostiziert. Auch war das Mortalitätsrisiko bei PAH-Patienten mit BMPR2-Mutation höher als bei Patienten ohne Mutation gewesen.5

Big Data aus dem PHAR-Register

Kommen wir nun zurück zu den Ergebnissen des amerikanischen Forschungsteams um DesJardin. Die Forschungsgruppe hatte sich in ihrer erst kürzlich publizierten Arbeit der neuesten epidemiologischen Errungenschaften bedient, um dem "Geschlechterparadoxon" bei PAH auf die Spur zu kommen: Sie zogen die Modellierung von Kollisionsstratifikationsverzerrungen zur Datengewinnung heran. Anschließend wurde das Ausmaß der potenziellen Verzerrung in einer bestimmten Population ausgewertet. So konnte die Forschungsgruppe herausfinden, wie groß ein nicht gemessener Faktor (U) sein müsste, um durch Kollider-Stratifikation die beobachteten Mortalitätsunterschiede bei PAH abhängig vom Geschlecht zu erzeugen. Die hierfür genutzten Ausgangsdaten stammten aus dem PHAR-Register. Insgesamt wurden die Datensätze von 1891 PAH-Patienten auf diese Weise verarbeitet.1

Welche Rolle spielt das Geschlecht bei PAH?

Der Großteil der Studienteilnehmer (75%) war weiblich gewesen. Das Alter, die ethnische Zugehörigkeit, der BMI sowie die GFR waren zwischen den Geschlechtern vergleichbar gewesen. Die weiblichen PAH-Patienten unterscheiden sich jedoch von den männlichen PAH-Patienten in einigen Gesichtspunkten. Die weiblichen PAH-Patienten:

Bei den männlichen PAH-Patienten:

Eine wichtige Beobachtung nach Heranziehen der kleineren Körperoberfläche der Frauen (im Vergleich zu den Männern) war folgende: 

Interessanterweise zeigte sich eine geringere Ausprägung der geschlechtsspezifischen Unterschiede nach Berücksichtigung der Körperoberfläche und der zu erwartenden Variabilität nach Geschlecht.1

Weitere mögliche Gründe für das "Geschlechterparadoxon" bei PAH

Es gibt wesentliche geschlechtsspezifische Unterschiede im rechten Ventrikel von Männern (verglichen mit Frauen). Unter physiologischen Bedingungen haben Männer eine geringere RV-Ejektionsfraktion als Frauen. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass sich die RV-Funktion von Männern als Reaktion auf die erhöhte Nachlast bei PAH weiter verschlechtern kann. Die Forschungsgruppe erwähnte folgende geschlechtsspezifische Unterschiede bei PAH. Bei männlichen PAH-Patienten: 

Fazit für die Praxis

Es gilt die kausale Struktur, die dem "Geschlechterparadoxon" bei PAH zugrunde liegt, weiter aufzudecken, um so die Grundlage für neue innovative Therapiekonzepte bei PAH zu legen. Viele unterschiedliche Faktoren spielen eine Rolle bei der Therapieplanung von männlichen und weiblichen PAH-Patienten. Weitere Forschungsstudien sind notwendig, um alle Variablen des "Collider-Stratification Bias" ausfindig zu machen und ein adäquates Behandlungskonzept im Sinne der personalisierten Medizin zu ermöglichen.

Quellen:
  1. DesJardin JT. et al. (2024). Investigating the "sex paradox" in pulmonary arterial hypertension: Results from the Pulmonary Hypertension Association Registry (PHAR). J Heart Lung Transplant. 2024 Jun;43(6):901-910. 
  2. Tönnies T. et al. (2022). Collider bias in observational studies: consequences for medical research. Part 30 of a series on evaluation of scientific publications. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 107–12. 
  3. Rajagopal S. et. al. (2023). Evaluation and Management of Pulmonary Hypertension in Noncardiac Surgery: A Scientific Statement From the American Heart Association, Circulation, Vol. 147, Number 17. 
  4. Cuthbertson I. et al. (2023). BMPR2 Mutation and Metabolic Reprogramming in Pulmonary Arterial Hypertension. Circulation, Vol. 132, Number 1.
  5. Ge X. et al. (2020). Gender differences in pulmonary arterial hypertension patients with BMPR2 mutation: a meta-analysis. Respir Res. 2020 Feb 6;21(1):44.