Ocrelizumab ist ein humanisierter monoklonaler CD20-Antikörper, der seit Januar in Europa zur Therapie der PP-MS und RR-MS zugelassen ist. Zuvor konnten Patienten im Rahmen des "Compassionate Use Program (CUP)" eine Ocrelizumab-Therapie erhalten. Der neue Wirkstoff wird intravenös als Infusion verabreicht. In der Anfangsphase der Therapie erhalten die Patienten 2 Infusionen im zweiwöchigen Intervall. Anschließend wird das Zeitfenster auf 24 Wochen erweitert.
Die Multiple Sklerose ist eine autoimmunentzündliche Erkrankung und geht höchstwahrscheinlich mit dem Verlust von immunologischer Toleranz einher. In der Anfangsphase werden vermutlich autoreaktive T-Zellen von Antigen-präsentierenden Zellen aktiviert. An dieser Interaktion sind MHC-Komplex, T-Zell-Rezeptor sowie CD-Liganden beteiligt. Pathogenetisch scheinen die CD-Liganden und der CD-Rezeptor als costimulatorische Immunsignale eine wichtige Rolle zu spielen. Nach Aktivierung durch T-Zellen zerstören Makrophagen die Myelinscheiden. Intrathekal kommt es zu einer Zunahme an Auto-Antikörpern: Die von B-Zellen sezernierten Auto-Antikörper können die Axonschädigung noch weiter vorantreiben und lassen sich in den MS-typischen Plaques nachweisen. Histopathologisch sind CD20-positive B-Zellen nachweisbar.2,3
Diese neurodegenerativen Zerstörungsprozesse führen bei der Multiplen Sklerose dazu, dass durch den Abbau der Myelinscheiden die saltatorische Erregungsleitung von Aktionspotentialen behindert wird. Das Ausmaß hierbei liegt zwischen einer Verzögerung bis hin zur Unterbrechung der Überleitung des Aktionspotentials.
Im klinischen Alltag begegnen uns die Patienten mit folgenden Symptomen: Neuritis nervi optici mit Rotentsättigung, druckdolentem Bulbus, Augenbewegungsschmerz, perimetrischen Defekten und Visusminderung. Gangataxie, Sensibilitätsstörung, Störung der Zielmotorik sowie Sprachstörung gehören ebenfalls zum pathologischen Repertoire der Multiplen Sklerose.
B-Zellen sind entscheidend an den der MS zugrundeliegenden Pathomechanismen beteiligt. Eine selektive Blockade des auf der Zelloberfläche der B-Zellen befindlichen CD20-Rezeptors erscheint auf den ersten Blick als vielversprechend. Letztes Jahr wurde geprüft, ob das Ganze auch im klinischen Alltag funktionieren kann:
Der neue Wirkstoff zeigt eine bessere Wirksamkeit gegenüber dem bisher verwendeten Interferon.1
Für die beiden identischen Phase-III-Studien wurden insgesamt über 16.000 Patienten mit schubförmig verlaufender Multipler Sklerose rekrutiert. Die Patienten erhielten alle 24 Wochen entweder intravenös 600 mg Ocrelizumab oder alle 96 Wochen subkutan 44 µg Interferon-beta-1a. Anschließend wurden die Rückfallquoten der beiden Therapiegruppen miteinander verglichen.
Die Ergebnisse sind bahnbrechend und geben MS-Patienten neue Hoffnung. Die annualisierte Rückfallquote für eine Multiple Sklerose war in der Ocrelizumab-Therapiegruppe um 46% geringer als in der Interferon-Therapiegruppe (0.16 vs. 0.29; p<0.001). Ocrelizumab hat auch Einfluss auf die Behinderungsprogression bei Multipler Sklerose. 12 Wochen nach Therapiebeginn war eine Behinderungsprogression von 9% gegenüber einer Behinderungsprogression von 13,6% in der Interferon-Therapiegruppe zu verzeichnen. Nach 24 Wochen zeigte sich sogar nur noch eine Behinderungsprogression von 6,9% in der Ocrelizumab-Therapiegruppe. Im Vergleich hierzu lag die Behinderungsprogression in der Inferon-Therapiegruppe bei 10,5%.
Das frühzeitige Erkennen von immunpathologischer Aktivität und die damit verbundene Abgrenzung von aktiven zu chronischen Herden erfolgt mittels Magnetresonanztomographie + Kontrastmittel. Die Gadolinium-aufnehmenden Läsionen korrelieren histopathologisch mit entzündlichen Arealen, in denen es zur Demyelinisierung gekommen ist. Durch eine intravenöse Therapie mit Ocrelizumab kann entscheidend Einfluss auf die Anzahl dieser Läsionen genommen werden.
In der Ocrelizumab-Therapiegruppe zeigten sich 0,02 Gadolinium-aufnehmende Läsionen (T1-Gewichtung). Dies sind 94% weniger Läsionen als in der Interferontherapiegruppe (0,29 Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen).
In den Studien zeigten sich bei rund 34% der Patienten Infusions-assoziierte Reaktionen. 1,3 % der Patienten der Ocrelizumab-Therapiegruppe und 2,9% der Interferon-Therapiegruppe erlitten schwerwiegende Infektionen. Neoplasien konnten bei 0,5 % der Patienten der Ocrelizumab-Therapiegruppe und bei 0,2 % der Interferon-Therapiegruppe nachgewiesen werden.
Ingsgesamt überwiegt dennoch die Hoffnung, die der neue Wirkstoff mit sich bringt. Wir sehen gespannt weiteren Langzeitstudien entgegen.
Referenzen:
1. Hauser S.L. et al. (2017).Ocrelizumab versus Interferon Beta-1a in Relapsing Multiple Sclerosis. The New England journal of medicine. Band 376, Nr.3, 01; 221-234.
2. Michel L. et al. (2015).B Cells in the Multiple Sclerosis Central Nervous System: Trafficking and Contribution to CNS-Compartmentalized Inflammation. Front Immunolog. 2015; 6:636.
3. Moreno Torres I. et al. (2017). Anti-CD20 monoclonal antibodies in multiple sclerosis. Expert Rev Neurother. 17 (4): 359-371.