Über Pneumokokken-Serotypen

Pneumokokken-Impfstoffe haben die Hospitalisationsrate senken und dem Serotypen-Replacement entgegengewirken können. In dem heutigen Beitrag führen wir uns die STIKO-Empfehlung und die Serotypenverteilung in Deutschland näher vor Augen.

Letzte Woche haben wir uns mit der invasiven Pneumokokken-Infektion samt Komplikationen und den Vorteilen einer Pneumokokken-Impfung bei Kindern auseinandergesetzt. Die Pneumokokken-Impfstoffe haben die Hospitalisationsrate senken und dem Serotypen-Replacement entgegengewirken können. In dem heutigen Beitrag führen wir uns die STIKO-Empfehlung und die Serotypenverteilung in Deutschland näher vor Augen.

Impfempfehlung für Babys bis hin zu Metallern

In Deutschland sterben jährlich über 5.000 Menschen an einer invasiven Pneumokokken-assoziierten Infektion. Durch einen guten Impfstatus kann das Risiko, an einer invasiven Pneumokokken-assoziierten Infektion zu erkranken, reduziert werden. Mithilfe zahlreicher Metaanalysen, Literaturrecherchen und Informationen über die aktuelle Serotypenverteilung in Deutschland hat die STIKO die Wirksamkeit von PCV13 und PPSV23 miteinander verglichen.1 Anhand der gewonnen Daten empfiehlt die STIKO die Pneumokokken-Impfung für folgende Gruppen:

Kinder ab dem vollendeten 2. Lebensmonat, für die Bevölkerungsgruppe 60+, beruflich exponierte Personen sowie für gesundheitlich gefährdete Bevölkerungsgruppen. Zu diesen gehören Personen mit chronischen Atemwegs-, Nieren- und Lebererkrankungen, mit malignen Erkrankungen, mit einem defekten Immunsystem, Transplantierte und schwangere Patientinnen. Auch Patienten mit einem Cochlea-Implantat oder einer Liquorfistel werden dazugezählt.

Impfempfehlung für gesundheitlich gefährdete Personen

Personen mit chronischen Erkrankungen sollten ab einem Alter von 16 Jahren eine Impfung mit PPSV23 (Pneumovax ®) erhalten. Liegt ein kongenitaler oder erworbener Immundefekt vor, so empfiehlt die STIKO eine "sequenzielle Impfung mit PCV13 gefolgt von PPSV23 nach 6 – 12 Monaten, wobei PPSV23 erst ab dem Alter von 2 Jahren gegeben werden soll."2

Impfempfehlung für Säuglinge und Kinder

Für reifgeborene Säuglinge empfiehlt die STIKO das 2+1-Impfschema: Im Alter von 2, 4 und 11-14 Lebensmonaten wird eine PCV13-Impfung (Prevenar ®) empfohlen. Frühgeborene Säuglinge sollen eine zusätzliche Impfung im Alter von 3 Monaten erhalten (3+1-Impfschema).3

Die Immunkompetenz der 2-5-jährigen Bevölkerungsgruppe wird von der STIKO um einiges kritischer betrachtet. Die Wirksamkeit einer alleinigen PPSV23-Impfung in dieser Altersgruppe ist unklar. Für die junge Bevölkerungsgruppe im Alter von 2-15 Jahren wird eine sequenzielle Impfung empfohlen. Hierbei erfolgt zuerst eine Impfung mit dem Konjugat-Impfstoff PCV13 und nach 6-12 Monaten eine Impfung mit PPSV23.2

Impfempfehlung 60+

Für die Bevölkerungsgruppe 60plus wird der 23-valente Pneumokokken-Impfstoff empfohlen. Da keine lebenslange Immunität durch die PPSV23-Impfung erreicht werden kann, erscheint der STIKO eine Auffrischimpfung mit einem Mindestabstand von 6 Jahren als sinnvoll.4 Vor dem 65. Lebensjahr darf man höchstens 2 PPSV23-Impfungen erhalten haben. Über das ganze Leben verteilt sollten nicht mehr als 3 PPSV23-Impfungen erfolgen.

Die Impfempfehlung gilt auch für beruflich exponierte Personen. Hierzu gehören Berufe, bei denen mit Metall gearbeitet wird, Metall-Rauch eingeatmet wird oder Metall geschweißt wird. Bei beruflicher Exposition empfiehlt die STIKO eine Impfung mit PPSV23.2

Regionale Unterschiede

"Ein weiteres wichtiges Kriterium bei der Impfstoffwahl ist die erzielbare Serotypenabdeckung."2

Pneumokokken sind umhüllt von einer Polysaccharid-Kapsel. Anhand der 92 immunologisch unterschiedlichen Polysaccharid-Ketten kann man die Pneumokokken in unterschiedliche Serotypen einteilen. Die Polysaccharid-Ketten sind immunogen, d.h. sie führen zur Antikörperbildung des Wirtsorganismus. Die Verteilung der unterschiedlichen Pneumokokken-Serotypen unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Kontinenten der Welt. Daher sind Impfstoff-Studien aus den USA nur bedingt auf Europa übertragbar. Seit 2009 wurde dieser Tatbestand bei der Entwicklung von Impfstoffen berücksichtigt. Bei den Impfstoffen Synflorix® und Prevenar 13® wurden die europäischen Pneumokokken-Serotypen bei der Zusammenstellung des Impfstoffes zur Kenntnis genommen. Synflorix® enthält 10 und Prevenar® 13 von den über 90 unterschiedlichen Pneumokokken-Serotypen.

Rückgang der Vakzine-Serotypen

Aus epidemiologischer Sicht stellen Säuglinge und Kleinkinder das wichtigste Erreger-Reservoir dar. Die Serotypenverteilung bei älteren Kindern und in der erwachsenen Bevölkerungsgruppe richtet sich nach der Serotypenverteilung bei Kleinkindern und Säuglingen.

Großen Einfluss auf die Umverteilung der Pneumokokken-Serotypen haben daher auch die Routineimpfprogramme für Säuglinge und Kleinkinder. Die PCV7-Impfung, die PCV10-Impfung und die PCV13-Impfung sind für den Rückgang der Vakzine-Serotypen verantwortlich. Dies konnte sowohl bei den Pneumokokken-Erkrankungsfällen als auch bei den asymptomatischen Pneumokokken-Trägern (Nasopharynx) beobachtet werden.5

Die Verteilung der Pneumokokken-Serotypen in Deutschland

In den nachfolgenden Abbildungen 1 und 2 ist die Serotypenverteilung bei invasiven Pneumokokken-Infektionen (IPD-Fälle) in Deutschland dargestellt. In Abbildung 1 wir die Serotypenverteilung für die Altersgruppe 16 bis 59 Jahre und in Abbildung 2 für die Altersgruppe ≥ 60 Jahre aufgeführt.2 Epidemiologische Daten aus der Saison 2015/16 zeigen, dass der Anteil der in der PPSV23-Impfung enthaltenen Serotypen an allen IPD-Fällen bei 70% lag. Der Anteil der in der PCV13-Impfung enthaltenen Serotypen an allen IPD-Fällen lag hingegen bei nur 30%.2


Abbildung 1.2


Abbildung 2.2

Serotypen-Replacement nach Pneumokokken-Impfung

Die Inzidenz Pneumokokken-assoziierter Infektionen konnte bei geimpften und ungeimpften Kindern (Herdenprotektion) nach PCV7-Impfung deutlich reduziert werden.6-13

Die PCV7-Impfprogramme führten zu einer Veränderung der Pneumokokken-Population. NVT haben bei asymptomatischen, nasopharyngealen Pneumokokken-Trägern zugenommen. Diese Beobachtung bezeichnet man als Seroypen-Replacement.14,15 Erfreulicherweise haben die NVTs in geringerem Ausmaß als ihre Trägerprävalenz zu invasiven Pneumokokken-Infektionen beigetragen. Es stellt sich die Frage, wieso es zu einer kompletten Serotypenumverteilung bei den asymptomatischen Trägern, jedoch nur zu einer inkompletten Serotypenumverteilung bei den Krankheitsfällen gekommen ist? Wie konnte die PCV7-Impfung die Krankheitsfälle reduzieren ohne die Trägerprävalenz zu minimieren?

Eine placebo-kontrollierte, randomisierte Doppelblindstudie aus Gambia zeigte erstmals, dass die Trägerprävalenz bei Kindern der im Impfstoff enthaltenen Serotypen nach Impfung abnahm und gleichzeitig die NVT-Trägerprävalenz bei Kindern zunahm.16 In einer randomisierten, israelischen Impfstudie zeigte sich nach Impfung keine wesentliche Serotypenumverteilung bei geimpften Kindern.17 Studien aus verschiedenen Ländern bewiesen jedoch,  dass die PCV7-Impfung mit einem Serotypen-Replacement bei den asymptomatischen Trägern einhergeht.18-27

Eine Studie aus Massachusetts konnte zeigen, dass nach 7 Jahren die PCV7-Serotypen bei geimpften Kindern vollständig eliminiert werden konnten.28 Die Pneumokokken-Trägerprävalenz zwischen geimpften und ungeimpften Arealen war durch die Serotypenumverteilung unverändert geblieben.

Die Serotypenumverteilung könnte zum Teil auf ein sogenanntes "unmasking" zurückzuführen sein. Durch die PCV7-Impfung kommt es zu einer Reduktion der Trägerprävalenz der PCV7-Serotypen in der Bevölkerung. Die NVT, die bis dahin unbemerkt geblieben sind, sind nach den PCV7-Impfprogrammen nun leichter ausfindig zu machen.29 Das würde heißen, dass man nach PCV7-Impfung häufiger NVT entdeckt, ohne dass es wirklich zu einem NVT-Switch bei asymptomatischen Trägern gekommen ist.30 Was denken Sie?

Referenzen:
1. STIKO (2016). Aktualisierte Impfempfehlung Deutsches Ärzteblatt; Jg.113; Heft 39.
2. Epidemiologisches Bulletin 37/2016
3. Epidemiologisches Bulletin 36/2015
4. Epidemiologisches Bulletin 36/2016
5. Katoh S. et al. (2017). Serotype replacement in adult pneumococcal pneumonia after the introduction of seven-valent pneumococcal conjugate vaccines for children in Japan: a systematic literature review and pooled data analysis. Jpn J Infect Dis. 2017; Vol. 70, No.5, pp. 495-501.
6. Harboe Z.B. et al. (2010)., Early effectiveness of heptavalent conjugate pneumococcal vaccination on invasive pneumococcal disease after the introduction in the Danish Childhood Immunization Programme. Vaccine. 2010;28(14):2642–7.
7. Pilishvili T. et al. (2010). Sustained Reductions in Invasive Pneumococcal Disease in the Era of Conjugate Vaccine. 2010;201(1):32–41.
8. Vestrheim D.F. et al. (2010). Indirect effect of conjugate pneumococcal vaccination in a 2 + 1 dose schedule. Vaccine. 2010;28(10):2214–21. 
9. Bettinger J.A. et al. (2010). The effect of routine vaccination on invasive pneumococcal infections in Canadian children, Immunization Monitoring Program, Active 2000–2007. Vaccine. 2010;28(9):2130–6. 
10. Ardanuy C. et al. (2009). Epidemiology of Invasive Pneumococcal Disease among Adult Patients in Barcelona Before and After Pediatric 7-Valent Pneumococcal Conjugate Vaccine Introduction, 1997–2007. Clinical Infectious Diseases. 2009;48(1):57–64.
11. Casado-Flores J. et al. (2008). Decline in Pneumococcal Meningitis in Spain After Introduction of the Heptavalent Pneumococcal Conjugate Vaccine. The Pediatric Infectious Disease Journal. 2008;27(11):1020–2.
12. Rückinger S. et al. (2009). Reduction in the incidence of invasive pneumococcal disease after general vaccination with 7-valent pneumococcal conjugate vaccine in Germany. Vaccine. 2009;27(31):4136–41. 
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14. Lipsitch M. (1997).Vaccination against colonizing bacteria with multiple serotypes. PNAS. 1997 June 10;94(12):6571–6. 
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