Im letzten Beitrag hatten wir uns auf den Impfschutz bei der Bevölkerung 50+ konzentriert. Heute befassen wir uns mit der Impfangst der Eltern und dem möglichen Szenario ohne Impfung.
Bevor man den Eltern klarmacht, wie wichtig die Grundimmunisierung ihrer Kinder ist, sollte man auf jede noch so unbegründete Impfangst und natürlich auch auf ernstzunehmende Impfrisiken im verständnisvollen Dialog eingehen. Die Eltern sollten sich ernstgenommen und respektiert fühlen. Im klinischen Alltag herrscht oft ein Zeitproblem, doch gerade in solchen Fällen ist Geduld von großer Bedeutung.
Die größte Gefahr für ein ungeimpftes Kind ist und bleibt die Infektion und diese Tatsache muss man versuchen, den Eltern beizubringen. Auch stellen die ungeimpften Kinder ein lebensbedrohliches Risiko für immunsupprimierte und für eine Impfung noch zu junge Kinder dar.
Ein ungeimpftes Kind reicht aus, um eine Epidemie auszulösen. Das sind die Worte des Anwalts Paul Alexander, der die Folgen einer Polio-Infektion (Kinderlähmung) im Alter von 6 Jahren miterleben musste. Er ist einer der drei letzten Polio-Überlebenden in der Eisernen Lunge. Diese Atemmaschine, auch Iron Lung genannt, ist für ihn aufgrund seiner Zwerchfelllähmung überlebensnotwendig. Durch die Erzeugung von Unterdruck wird Paul Alexander seit 64 Jahren maschinell beatmet. Er appelliert an die Impfgegner: "My worst thought is that polio comes back."
Weltweit suchen Pädiater nach einer Lösung, mit Impfgegnern und den daraus resultierenden Gefahren für ungeimpfte oder immunsupprimierte Patienten umzugehen. Die einen schließen die Eltern und ihre Kinder von jeder weiteren pädiatrischen Behandlung aus, die anderen versuchen immer wieder, die Eltern von der Grundimmunisierung ihrer Kinder zu überzeugen. In dem im Jahr 2016 erschienen Artikel von den pädiatrischen Ärzten des Children's Mercy Hospital werden diese beiden Herangehensweisen diskutiert. Die Kinderärztin Angela Myers spricht von einem lebensbedrohlichen Risiko (z. B. durch Haemophilus influenzae Typ B oder Masern) für immunsupprimierte oder für eine Impfung noch zu junge Kinder, welches durch eine fehlende Grundimmunisierung gesunder Kinder zustande kommt. Zweifeln die Eltern die Kompetenz des Pädiaters an und verweigern die Grundimmunisierung ihres Kindes, so meint Angela Myers, besteht kein Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis mehr. Im Gegensatz hierzu äußerten Kenneth Alexander und Thomas Lacy, dass der Ausschluss von Kindern von Impfgegnern die Gesundheit dieser Kinder gefährden würde und nicht vertretbar sei.1
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Eine der Ängste von Impfgegnern ist, dass ihre Kinder an einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) erkranken können. Die ASS äußert sich durch eine Entwicklungsverzögerung mit emotionalen sowie kommunikativen Defiziten und stereotypen Verhaltensmustern. Wir gehen dieser Angst auf den Grund. Ist sie begründet? Und wenn ja, überwiegt das Impfrisiko Autismus im Vergleich zu der potenziell, postinfektiösen Schädigung ungeimpfter Kinder?
Einer Studie aus dem Jahr 2011 (664 Kinder) zufolge haben die jüngeren Geschwister von Autismus-Spektrum-Störung-Patienten ein 18,7%-iges Risiko, dieselbe Erkrankung zu erleiden. 80% der ASS-Kinder sind männlich.2 In Zwillingsstudien besteht sogar ein 90%-iges Risiko für das Geschwisterkind eines ASS-Patienten auch an einer ASS zu erkranken.3 Man kann daher von einer genetischen Prädisposition für die Entwicklung einer ASS ausgehen. Welchen Einfluss die ASS des älteren Geschwisterkind auf die Grundimmunisierung des jüngeren Geschwisterkind hat, wurde von einer kalifornische Forschungsgruppe analysiert. Insgesamt untersuchten sie 71 jüngere Geschwister von ASS-Patienten und verglichen diese mit einer gesunden Kontrollgruppe. Die jüngeren Geschwister von ASS-Patienten wiesen signifikant niedrigere Impfraten im Vergleich zur Kontrollgruppe auf (83,1% vs. 97%). Die Eltern begründeten ihr Impfverhalten durch unerwünschte Nebenwirkungen, die bei den älteren ASS-Geschwisterkindern aufgetreten seien. Solche Nebenwirkungen waren Unwohlsein, abnorme Schreianfälle, Fieber und Durchfall.4
In den Köpfen der Impfgegner herrscht trotz der klinischen Evidenzlage weiterhin die Angst vor der Entwicklung einer ASS ihrer Kinder durch Impfung. In einer groß angelegten Metaanalyse (1.266.327 Kinder) aus dem Jahr 2014 konnte diese Impfangst widerlegt werden, denn es zeigte sich keine Verbindung zwischen einer Impfung und der Entwicklung einer ASS.5
Referenzen:
1. Kenneth A. et al. (2016). Should Pediatric Practices Have Policies to Not Care for Children With Vaccine-Hesitant Parents? PEDIATRICS (ISSN Numbers: Print, 0031-4005; Online, 1098-4275).
2. Ozonoff S. et al. (2011). Recurrence risk for autism spectrum disorders: a Baby Siblings Research Consortium study. Pediatrics. 2011 Sep;128(3):e488-95. doi: 10.1542/peds.2010-2825. Epub 2011 Aug 15.
3. Bailey A. et al. (1995). Autism as a strongly genetic disorder: evidence from a British twin study. Psychol Med. 1995;25(1):63–77.
4. Glickmann G et al. (2017).Vaccination rates among younger siblings of children with autism. N Engl J Med 2017;377:1099-101.
5. Taylor L.E. et al. (2014). Vaccines are not associated with autism: an evidence-based meta-analysis of case-control and cohort studies. Vaccine 2014;32:3623-3629.