Apoprotein B (ApoB)-haltige Lipoproteine spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung von Arteriosklerose. Das Low-Density-Lipoprotein (LDL) stellt den bekanntesten Vertreter dieser Gruppe dar. Es transportiert relativ gesehen am meisten Cholesterin durch den Körper und kann in Gefäßwände eindringen und dort die Bildung von Plaques fördern. Nun mehren sich Hinweise, dass auch andere Lipoproteine mit einer Arteriosklerose in Verbindung stehen. Der Fokus liegt auf sogenannten "remnant"-Lipoproteinen. Sie sind Abkömmlinge von Very-Low-Density-Lipoprotein (VLDL) oder Chylomikronen und sind im Prinzip ähnlich aufgebaut wie ein LDL-Partikel, besitzen aber mehr Triglyceride in ihrem Kern.
Die Forscherinnen und Forscher haben die Daten von über 17.500 Individuen ausgewertet, die an drei großen US-amerikanischen Studien zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen teilgenommen haben (ARIC, MESA und CARDIA). Eingeschlossen wurden nur jene Studienteilnehmer, die zu Beginn keine kardiovaskuläre Erkrankung aufwiesen. Das durchschnittliche Alter lag bei 52 Jahren und 57% waren weiblich. Das mittlere LDL-Cholesterin lag bei 118 mg/dl. In der Studie wurde das remnant-Cholesterin nicht direkt gemessen, sondern mittels folgender Formel berechnet: non-HDL-Cholesterin minus berechnetes LDL-Cholesterin. Im Mittel lag das remnant-Cholesterin zu Beginn der Studie bei 20 mg/dl. Es wurde dann untersucht, ob Menschen mit erhöhtem remnant-Cholesterin bei Studieneinschluss häufiger eine kardiovaskuläre Erkrankung entwickelten. Sie adjustierten ihre Ergebnisse für Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, Lebensstil, Übergewicht und auch den LDL- und ApoB-Gehalt. Die Nachbeobachtungszeit der ProbandInnen lag im Mittel bei 19 Jahren.
Innerhalb der Studienpopulation kam es im Beobachtungszeitraum zu 2.143 kardiovaskulären Ereignissen (12,2%). Das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis stieg mit steigender Konzentration an remnant-Cholesterin (Hazard Ratio 1,65; 95% Konfidenzintervall: 1,45–1,89), unabhängig von LDL-Cholesterin und ApoB. Um ihre Ergebnisse besser zu veranschaulichen, teilte das Forschungsteam die Studienpopulation in vier Gruppen ein, je nach ihrer Konzentration an remnant-Cholesterin und LDL-Cholesterin im Blut. Im Vergleich zur Probandenkohorte mit normalen Konzentrationen von remnant- und LDL-Cholesterin wies die Gruppe mit hohem remnant- und normalem LDL-Cholesterin, die immerhin rund ein Drittel der Studienpopulation ausmachte, ein im Vergleich zur ersten Gruppe 21% erhöhtes kardiovaskuläres Risiko auf. Dies war aber nicht der Fall in der Gruppe mit normalem remnant- und erhöhtem LDL-Cholesterin. Diese Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass das remnant-Cholesterin einen eigenständigen kardiovaskulären Risikofaktor darstellt.
Diese retrospektive Studie zeigt, dass nicht nur das altbekannte LDL-Cholesterin, sondern auch das Cholesterin der Triglycerid-reichen remnant-Lipoproteine einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko hat. Dies hat klinische Relevanz, da so mitunter erklärt werden kann, warum Personen mit optimal eingestelltem LDL-Cholesterin dennoch einen Progress ihrer Arteriosklerose aufweisen. Eine Schwäche der Studie ist, dass die Konzentration des remnant-Cholesterins nur berechnet, aber nicht gemessen wurde. Denn es ist bekannt, dass die berechneten remnant-Cholesterin-Werte insbesondere bei hohen Konzentrationen verfälscht sein können.
Zukünftig sollte die Rolle des remnant-Cholesterins in der Arteriosklerose genauer untersucht werden. So lassen sich mitunter weitere Therapiemöglichkeiten entwickeln, die das kardiovaskuläre Risiko unabhängig vom LDL-Cholesterin weiter senken können.
Quelle:
Quispe et al. Remnant cholesterol predicts cardiovascular disease beyond LDL and ApoB: a primary prevention study. European Heart Journal, Volume 42, Issue 42, 7 November 2021, Pages 4324–4332