Viele Hausärzte kennen das Problem: Nach der Verschreibung eines Statins aufgrund zu hoher LDL-Cholesterinwerte klagen Patienten nicht selten über Muskelschmerzen, Krämpfe und Muskelschwäche. Schätzungsweise kommen statininduzierte Myalgien bei ca. 10 Prozent der behandelten Patienten vor. Eine Kontrolle der Creatinkinase (CK) kann Aufschluss darüber geben, ob es sich um eine echte Myopathie mit möglicher Rhabdomyolyse handelt. Oft ist die CK aber im Normbereich oder nur leicht erhöht und die Patienten klagen dennoch über starke Beschwerden. Wenn auch ein Wechsel des Statins keinen Erfolg gebracht hat, vertrauen einige Mediziner und Patienten auf die Verordnung von Coenzym Q10, auch Ubiquinon genannt. Bis jetzt konnte ein Nutzen der Q10-Supplementation aber nicht bewiesen werden.
Die Q10-Theorie baut darauf auf, dass Statine einen intrazellulären Mangel an Coenzym Q10 bewirken, einerseits durch die Inhibierung des Mevalonat-Stoffwechselwegs, anderseits durch die Senkung der LDL-Cholesterin-Partikel, die Ubiquinon transportieren. Das kann zu einer empfindlichen Störung der mitochondrialen Atmungskette führen. Einige Studien konnten dies teilweise bestätigen. So führte die statininduzierte Bildung freier Radikale im Tiermodell zu einer Schädigung der Atmungskette. Eine Studie am Menschen zeigte, dass die Mitochondrien bei Patienten mit statininduzierter Myalgie häufiger zugrunde gehen und sich auch nicht effektiv an ein Ausdauertraining anpassen können. Der Zusammenhang mit einem Q10-Mangel fehlt aber bis jetzt: Eine kürzlich publizierte Metaanalyse fand keinen Unterschied in der humanen Q10-Plasmakonzentration mit oder ohne Statin. Eine Messung der muskulären Q10-Konzentration in gesunden Probanden vor und nach Statingabe zeigte ein ähnliches Ergebnis.
Bleibt die Frage, ob eine Q10-Supplementation dennoch hilfreich sein kann? Gibt man das Enzym hochdosiert, erreicht der Plasmaspiegel nach rund 2 Wochen sein Maximum. Ob der Muskel davon profitiert, ist nicht klar: Eine Studie fand eine erhöhte Q10-Konzentration im menschlichen Muskel, eine andere nicht. Aufschlussreichere Ergebnisse gibt es in Tiermodellen. Interessanterweise konnte die Gabe von Q10 in Mäusen, die mit einem Statin behandelt wurden, die reduzierte intramuskuläre Q10-Konzentration wiederherstellen. Mehr noch: Eine Fehlfunktion der Mitochondrien – ausgelöst durch Statingabe – konnte so verhindert werden. So interessant diese Ergebnisse auch sind, entsprechende Studien am Menschen fehlen noch.
Immerhin gibt es 8 placebokontrollierte klinische Studien, die die Wirkung von Q10 bei Patienten mit Muskelbeschwerden unter Statinen untersucht haben. In 4 Studien hat die Gabe von Q10 zu einer signifikanten Reduktion der Myalgien geführt, in den anderen 4 Studien wurde kein Effekt festgestellt. Diese Diskrepanz könnte durch die uneinheitliche Definition statininduzierter Myalgien erklärt werden. Bis dato gibt es dazu keine allgemein akzeptierte Regelung. So ist davon auszugehen, dass viele Patienten die Diagnose einer statininduzierten Myalgie erhalten, obwohl sie lediglich an unspezifischen Muskelschmerzen leiden. Die Abgrenzung ist schwierig und erfordert im Idealfall einen Placebo-Test. Eine 2015 veröffentlichte Cross-Over-Studie zeigte dies recht eindrucksvoll: Rund 120 Patienten mit Myalgien unter Statintherapie erhielten für 8 Wochen je 20 mg Simvastatin oder ein Placebo, mit einer dazwischenliegenden Washout-Phase von 4 Wochen. Überraschenderweise waren die Myalgien nur bei rund einem Drittel der Probanden wirklich auf das Statin zurückzuführen. 30 % der Patienten berichteten dagegen nur unter dem Placebo über Myalgien, weitere 18 % hatten Beschwerden unter Placebo und Statin.
Mittlerweise gibt es erste Versuche, das Problem der uneinheitlichen Definition statininduzierter Myalgien anzugehen. So formulierte die "Statin Muscle Safety Task Force“ einen entsprechenden klinischen Index (SAMS-CI). Die Einteilung geht von wahrscheinlich (9 – 11 Punkte) über möglich (7 – 8 Punkte) bis unwahrscheinlich statininduziert (2 – 6 Punkte). Eine erste Studie hat den SAMS-CI bereits angewendet. Dort konnte der Index insbesondere Patienten mit unspezifischen Myalgien herausfiltern. Der negative prädiktive Wert des SAMS-CI lag bei sehr guten 91 %.
Bleibt zusammenzufassen: Bis jetzt gibt es keine eindeutigen Belege, die den generellen Einsatz von Q10 bei statininduzierten Myalgien rechtfertigen. Und überhaupt: die Definition statininduzierter Myalgien ist nicht einheitlich geregelt. Dennoch wird Coenzym Q10 häufig verschrieben. In den Vereinigten Staaten nehmen ca. 1,3 % aller US-Bürger regelmäßig Q10 ein. Und die Nachfrage steigt stetig, sodass der globale Markt im Jahr 2024 auf 0,5 bis 1 Milliarde US-Dollar geschätzt wird. Dabei ist eine Supplementation nicht immer nötig: Ein gesunder Lebensstil und Alkoholverzicht erhöhen den Q10-Spiegel nachweislich.
Zukünftige klinische Studien sollten Muskelbiopsien beinhalten, um die Frage zu klären, ob von der erhöhten Q10-Plasmakonzentration etwas im Muskel ankommt. Auch einheitliche Dosierungen sind wichtig. Bleibt die Frage, welche Patienten wirklich von Q10 profitieren. Hier müssen dem Arzt Werkzeuge an die Hand gegeben werden, die eine zuverlässige Abgrenzung zwischen statininduzierten von unspezifischen Myalgien erlauben. Der SAMS-CI ist ein guter Anfang.
Quellen:
Taylor BA. Does Coenzyme Q10 Supplementation Mitigate Statin-Associated Muscle Symptoms? Pharmacological and Methodological Considerations. Am J Cardiovasc Drugs (2018) 18: 75. https://doi.org/10.1007/s40256-017-0251-2
Taylor BA et al. A Randomized Trial of Coenzyme Q10 in Patients with Confirmed Statin Myopathy. Atherosclerosis. 2015;238(2):329-335. http://doi.org/10.1016/j.atherosclerosis.2014.12.016
Rosenson RS. The Statin-Associated Muscle Symptom Clinical Index (SAMS-CI): Revision for Clinical Use, Content Validation, and Inter-rater Reliability. Cardiovasc Drugs Ther. 2017 Apr;31(2):179-186. https://doi.org/10.1007/s10557-017-6723-4