Update Gerontokardiologie: patientenzentriert und personalisiert

Die optimale Behandlung älterer Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen kann von der Integration geriatrischer Prinzipien profitieren. Die Betreuung sollte patientenzentriert vorgehen und soziale Determinanten der Gesundheit berücksichtigen.

Kardiovaskuläre Erkrankungen: Was ist bei älteren Menschen anders?

Alterungsprozess als Hauptrisikofaktor für nicht genetisch bedingte Erkrankungen

Die Referentin, Prof. Ursula Müller-Werdan, Klinikdirektorin der Klinik für Geriatrie und Altersmedizin an der Berliner Charité, erläuterte eingangs einen Grundgedanken der "Geroscience": Dass Alterungsprozesse ("Inflammaging") die Grundlage vieler chronischer Erkrankungen sind. Neben dem angemessenen Umgang mit Risikofaktoren bei älteren Menschen beschäftigt sich die Forschung stark damit, wie ein gesundes Altwerden gefördert werden kann, um altersassoziierten Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und neurodegenerative Erkrankungen vorzubeugen.

Einige Medikamente und auch natürliche Substanzen, von denen eine Verlangsamung oder Umkehr solcher Alterungsprozesse erhofft wird, haben die Ebene klinischer Studien erreicht, so Müller-Werdan unter Bezug auf ein aktuelles amerikanisches Review, welches Metformin, NAD+-Vorstufen, Glucagon-like Peptide-1-Rezeptor-Agonisten, TORC1-Hemmer, Spermidin, Senolytika, Probiotika und Entzündungshemmer nennt.3
Ob teils ältere Medikamente, die für bestimmte Krankheitsindikationen zugelassen waren, für Zwecke der Anti Aging-Medizin umgewidmet werden können und ob sie die erhofften weitreichenden krankheitsvorbeugenden oder -abschwächenden Wirkungen entfalten, bleibt weiter zu untersuchen.

Aktuelle Daten zu Herzinsuffizienz und akutem Koronarsyndrom

Um bei neuen, für die Gerontokardiologie relevanten Daten zu bleiben:

Viele Hospitalisationen erfolgen aufgrund von Herzinsuffizienz als klassischer Krankheit des betagten Menschen. Die Referentin gab vor allem zu bedenken, dass eine erhebliche Überlappung zwischen Herzinsuffizienz und "Frailty" (Gebrechlichkeit) besteht und es anhand der klinischen Präsentation zuweilen schwierig ist, zwischen Herzinsuffizienz und "frailty complex" zu differenzieren.

Herzinsuffiziente Patienten weisen laut aktuellen Zahlen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein 6-fach erhöhtes Risiko auf, gebrechlich zu sein oder anders gedrückt: > 50 % der Patienten, die wegen Herzinsuffizienz ins Krankenhaus eingeliefert werden, haben beides. Wegen dieser Interdependenz betonen auch die aktuellen ESC-Leitlinien die Wichtigkeit einer multifaktoriellen Behandlung, zu der auch körperliches Training und Rehabilitation, Ernährungssupplementation, kognitive Unterstützung und die individualisierte Behandlung von Komorbiditäten gehören. Nur die Herz-Kreislauf-Medikamente zu bemühen, wäre hier zu kurz gegriffen, resümiert Müller-Werdan. Denn Frailty geht mit einem relevant erhöhten Risiko für häufigere und längere Hospitalisationen, funktionellen Abbau und Tod einher.

Kurz sei auch das beim Vortrag gezeigte Follow Up der 'After Eighty'-Studie (DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(15)01166-6) erwähnt. Diese hatte 457 über 80-jährige Patienten mit NSTEMI zu Revaskularisation oder konventionellem Management randomisiert. Der initial berichtete Zugewinn an ereignisfreiem Überleben zeigte sich in der kürzlich veröffentlichten Nachbeobachtung auch nach 5 bzw. 10 Jahren erhalten.4 Allerdings liegen die Komplikationsraten gerade bei alten gebrechlichen Menschen bei jeder Intervention höher. Letztlich müsse es immer eine Einzelfallentscheidung sein, so Müller-Werdan.

Fragen für die Praxis: Wie übermäßiger Hospitalisierung vorbeugen?

Weiterhin wurden Themen wie das Management klassischer kardiovaskulärer Risikofaktoren im Alter oder das Problem der Polypharmazie besprochen. Am Ende des Vortrages stieß eine Publikumsfrage eines Akutgeriaters noch einen praxisrelevanten Dialog an. Manchmal frage er sich, so der Kollege, ob das Problem der geriatrischen Kardiologie woanders liegt: Dass wir mit guten Medikamenten schlechte Medizin betreiben. Er bekäme die Patienten oft, wenn sie schon das vierte Mal im Jahr im Krankenhaus seien und kein Kardiologe mehr Lust auf sie habe. Die Mehrzahl von ihnen hätten häufige, kurze Aufenthalte hinter sich, bei denen therapeutisch wenig passiert bzw. am Grundproblem nichts gerichtet wird. In der Akutgeriatrie seien die Aufenthalte meist länger mit ausgeprägteren Veränderungen oder Besserungen, sodass dann oft ein längeres Intervall ohne Klinikeinweisung folgen könne.

Doch wie vermeiden wir den Drehtür-Effekt ins Krankenhaus? Müller-Werdan unterstreicht in diesem Kontext die Wichtigkeit eines früheren Erkennens von Dekompensationen, um nicht immer den Schritt zu spät zu kommen bzw. Hospitalisationen zu vermeiden. Dies werde bereits über Konzepte wie Herzinsuffizienz-Schwestern versucht, welche die Patienten regelmäßig anrufen, sie daran erinnern, sich täglich zu wiegen etc., was insbesondere bei kognitiv eingeschränkten Patienten schwierig umzusetzen ist.

Referenzen:
  1. ‘Neues aus der Gerontokardiologie’. Vortrag DGIM-Kongress 2024. https://dgim.meta-dcr.com/kongress2024/crs/neues-aus-der-gerontokardiologie.

  2. Forouzandeh, F. et al. Cardiovascular Disease in the Older Adult. JACC: Advances 3, 100820 (2024).

  3. Guarente, L., Sinclair, D. A. & Kroemer, G. Human trials exploring anti-aging medicines. Cell Metab 36, 354–376 (2024).

  4. Berg, E. S. et al. Long-Term Outcomes of Invasive vs Conservative Strategies for Older Patients With Non–ST-Segment Elevation Acute Coronary Syndromes. Journal of the American College of Cardiology 82, 2021–2030 (2023).

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