Kienitz, T., Meyer, G. Neue Aspekte der Glukokortikoidsubstitution bei Nebennierenrindeninsuffizienz. Internist 63, 12–17 (2022). https://doi.org/10.1007/s00108-021-01209-4.
Die Funktionsstörung der Nebennierenrinde, welche mit einer Unterversorgung an lebenswichtigen Hormonen einhergeht, ist nicht einfach zu behandeln. Die Therapie besteht generell aus der regelmäßigen Verabreichung von Glukokortikoiden; doch der zirkadiane Spiegel des Cortisols ist physiologischen Schwankungen unterworfen, die es mit der Hormonersatztherapie aufrechtzuerhalten gilt. Zudem können personenspezifische Belastungssituationen den Bedarf an Glukokortikoiden drastisch ansteigen lassen. Die Gefahr: eine adrenerge Krise, die potenziell lebensbedrohlich ist.
Um eine derartige Komplikation zu vermeiden, ist eine optimale medizinische Versorgung der Betroffenen essenziell. Diese besteht zunächst aus der NNRI-Basistherapie. Die derzeitig in Deutschland am häufigsten eingesetzte Hormonersatztherapie bei NNRI sind 10 bis 30 mg Hydrocortison (HC), die über den Tag verteilt in 2 bis 3 Einzeldosen eingenommen werden (z. B. 15-10-0-0 mg oder 10-10-5-0 mg). Im Falle einer primären NNRI muss zusätzlich einmal täglich ein Mineralocorticoid wie 0,05 bis 0,15 mg Fludrocortison zugeführt werden.
Seit einiger Zeit stehen mehrere neue Varianten zur HC-Substitution zur Verfügung. Hierzu zählt ein Präparat mit zweistufiger Freisetzung des HCs. Dieses soll die Lebensqualität, Blutdruckeinstellung und Glukosetoleranz der Erkrankten verbessern. Ein weiteres Medikament, das beim androgenitalen Syndrom, einer Unterkategorie der primären NNRI, zum Einsatz kommt, kann durch eine verzögerte Wirkstofffreisetzung die Androgenbildung effektiver unterdrücken. Eine andere Option ist die Pumpentherapie, bei der HC kontinuierlich subkutan appliziert wird. Allerdings ist dieser Behandlungsansatz derzeit nur im Rahmen von Studien oder nach Einzelfallentscheidung möglich.
Eine Alternative zu HC stellt Prednisolon dar, das nur einmal täglich morgens (3 bis 5 mg) eingenommen werden muss. Allerdings kann sich diese Substitutionstherapie negativ auf die LDL-Cholesterinwerte und Knochendichte auswirken.
Welche Therapieoption auch immer gewählt wird: Eine adäquate, situationsangepasste Dosierung des Glucocorticoids ist essenziell, um einer adrenergen Krise vorzubeugen. Zu den Faktoren, die zu diesem lebensgefährlichen Mangel an Hormonen führen können, zählen:
Es ist wichtig, dass die Patienten über die Risikofaktoren gründlich informiert sind und wissen, wie ggf. zu handeln ist. Tritt eine der genannten Situationen ein, müssen sie die Hormontherapie selbstständig steigern. Besonders nützlich ist auch ein spezieller Notfallausweis, der Handlungsempfehlungen für die Akutsituation beinhaltet und immer mitzuführen ist. Zudem kann eine ausführliche Schulung der Betroffenen und ihrer Angehörigen im Rahmen von Informationsveranstaltungen, die von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie organisiert und in vielen endokrinologischen Zentren angeboten werden, hilfreich sein.
Wie genau die Dosisanpassung erfolgen sollte, hängt von der jeweiligen Situation ab. Zum Teil reicht bereits eine Erhöhung der oralen Hormonersatztherapie auf die doppelte Menge. Im Rahmen kleinerer operativer Interventionen (z. B. zahnärztliche OPs) gilt die Einnahme einer zweifachen Tablettendosis als ausreichend. Unter bestimmten Umständen ist stattdessen jedoch eine parenterale Glucocorticoid-Gabe angeraten (beispielsweise bei größeren Eingriffen oder einer Entbindung).
Auch eine Koloskopie kann ein Risikofaktor sein. Prophylaktisch sollten hierbei nur isoosmotische Laxanzien verabreicht werden und abführende Maßnahmen bei multimorbiden Personen bzw. in höherem Lebensalter stationär und unter intravenöser HC-Therapie stattfinden.
Sollte trotz aller Vorkehrungen eine adrenerge Krise drohen bzw. eintreten, muss unverzüglich gehandelt werden. In der Primärversorgung wird ein Bolus von 100 mg HC i. v. (falls nicht vorhanden, alternativ 25 mg Prednisolon) empfohlen. Darüber hinaus hat die parenterale Volumengabe (z. B. 5%ige Glukoselösung oder Vollelektrolytlösung) und wiederholte intravenöse Verabreichung von Glucocorticoiden zu erfolgen. Die Betroffenen sind intensivmedizinisch zu überwachen, wobei insbesondere auf eine mögliche Entgleisung der Elektrolyte geachtet werden sollte.
Das A und O einer optimalen Versorgung bei NNRI ist neben der individuell ausgewählten Glucocorticoidersatztherapie eine situationsgerechte Dosierung der Hormonsubstitution. Ein wichtiger Bestandteil des Patientenmanagements ist auch die Schulung der Patienten, die zur Verhinderung adrenerger Krisen beitragen und somit die Lebensqualität der Betroffenen verbessern kann.
Kienitz, T., Meyer, G. Neue Aspekte der Glukokortikoidsubstitution bei Nebennierenrindeninsuffizienz. Internist 63, 12–17 (2022). https://doi.org/10.1007/s00108-021-01209-4.