Blutdrucksenkung bei ICB – worauf kommt es an?

Zwei aktuell im 'Lancet Neurology veröffentlichte Arbeiten deuten darauf hin, dass eine akute Senkung des systolischen Blutdruckes unter 140mm Hg machbar und sicher ist. Prognostisch bedeutsam scheint aber vor allem die Minimierung von Blutdruckschwankungen.

Noch immer lückenhafte Evidenz

Zwei aktuell im 'Lancet Neurology' veröffentlichte Arbeiten deuten darauf hin, dass eine akute Senkung des systolischen Blutdruckes unter 140mm Hg machbar und sicher ist. Prognostisch bedeutsam scheint aber vor allem die Minimierung von Blutdruckschwankungen.

Die Evidenzlage dazu, wie eine optimale Blutdruckeinstellung bei Patienten mit intrazerebraler Hämorrhagie aussieht, ist lückenhaft.
In der S2‑Leitlinie "Intrazerebrale Blutungen" (welche derzeit überarbeitet wird) hieß es noch: Es erscheint plausibel, den erhöhten Blutdruck bei einer akuten intrazerebralen Blutung (ICB) zu senken. Bei PatientInnen mit akuter ICB kann eine Senkung des systolischen Blutdrucks unter 140mm Hg zu einer Senkung der Blutvolumenzunahme führen. Ein Nutzen ist bisher nicht nachgewiesen worden (Ib, 0).1

Eine akute Senkung des systolischen Blutdrucks unter 140mm Hg hat sich in der 'INTERACT'-Studie (Intensive Blood Pressure Reduction in Acute Cerebral Haemorrhage Trial) als sicher und machbar erwiesen und reduzierte die Nachblutungsrate nach ICB. Die kleinere 'ATACH'-Studie (Antihypertensive Treatment of Acute Cerebral Hemorrhage) sprach ebenso für die Machbarkeit und Sicherheit einer akuten Blutdrucksenkung.
Der Nachweis des klinischen Effekts über die Studien 'INTERACT-2' und 'ATACH-2' stand noch aus.1 Die September-Ausgabe des Lancet Neurology berichtete nun deren Ergebnisse, die wir im Folgenden kurz präsentieren.2

Geringe Schwankungen des Blutdruckes prognostisch günstig

Die 'INTERACT-2'-Studie an 2.839 PatientInnen ergab, dass eine intensive Senkung des systolischen Blutdrucks (Zielbereich < 140mm Hg innerhalb 1 h, Einstellen der Behandlung bei < 130mm Hg) innerhalb von 6h nach ICB die funktionelle Erholung hinsichtlich verschiedener sekundärer Ergebnisse verbessert. Hinsichtlich des primären Endpunktes (Tod oder erhebliche Behinderung nach 90 Tagen) ergab sich jedoch kein signifikanter Unterschied.

Die Studie 'ATACH‑2' überprüfte ein intensiveres Vorgehen in den ersten 4,5h (Zielbereich 110–139mm Hg innerhalb von 2h) an 1.000 PatientInnen, was keinen Benefit, jedoch zusätzliche renale Komplikationen einbrachte.
Metaanalysen zeigten insgesamt keinen Vorteil einer frühen intensiven Blutdrucksenkung im Vergleich zu den in den Leitlinien empfohlenen Zielbereichen.

Eine Analyse der Schwankungsbreite des Blutdruckes bei den 'INTERACT‑2'-PatientInnen offenbarte, dass der maximale systolische Blutdruck in der hyperakuten Phase (erste 24h) sowie die Variabilität des systolischen Blutdruckes in der akuten Phase (Tag 2–7) die stärksten Prädiktoren für Tod oder erhebliche Behinderung nach 90 Tagen waren.
Auch kleinere Studien erbrachten Hinweise auf einen Benefit durch Minimierung von Blutdruckschwankungen um den Zielbereich.2

Weitere Studien nötig

Da beide Studien Patienten mit Hämatomen > 60mL und hohem klinischen Schweregrad (z. B. niedriger GCS) ausschlossen, hätten eventuelle Assoziationen zwischen dem Ausmaß der Blutdrucksenkung und Markern für einen Masseneffekt oder erhöhten intrakraniellen Druck (wie Hämatomgröße, obstruktiver Hydrozephalus, großes cerebrales Ödem) hier schwerlich nachgewiesen werden können. Nutzen oder Risiken von Blutdrucksenkung und Begrenzung von Schwankungen sind jedoch noch immer unzureichend verstanden, vor allem für starke Senkungen, die auch Schäden mit sich bringen könnten. Für hilfreichere Leitlinien braucht es mehr Daten.    

Die aktuellen Resultate legen bei kleinen und mittleren ICBs eine individualisierte Herangehensweise nahe, welche abrupte, ungleichmäßige und große Abfälle des systolischen Blutdrucks vermeidet.

Referenzen:
1. LL 28 2012 Intrazerebrale Blutungen. Available at: https://www.dgn.org/leitlinien/2370-ll-28-2012-intrazerebrale-blutungen#wichtigsteempfehlungen. (Accessed: 2nd September 2019)
2. Ziai, W. C., Gusdon, A. M. & Hanley, D. F. Blood pressure in intracerebral haemorrhage: which variables matter? The Lancet Neurology 18, 810–812 (2019).