In einer Phase-II-Studie konnte keines der getesteten Medikamente den Fortschritt der Hirnatrophie bei SPMS verlangsamen.
Für den fortschreitenden Funktionsverlust bei sekundär progredienter MS (SPMS) spielen neurodegenerative Prozesse eine wesentliche Rolle. Über die letzten Dekaden hinweg sind zwar viele Medikamente für die Therapie der MS verfügbar geworden, doch diese wirken primär auf die Entzündungsaktivität, welche den Läsionen der schubförmig remittierenden MS (RRMS) zugrunde liegt. Die progredienten Aspekte – wie die kontinuierliche Zunahme der Behinderung auch in Abwesenheit klinischer Schübe – bleiben ein weitgehend ungelöstes Problem. Siponimod und Ocrelizumab sind für die Behandlung progressiver MS-Formen zugelassen, aber auch von diesen Substanzen profitieren diejenigen PatientInnen am meisten, die Schübe oder eine Erkrankungsaktivität im MRT aufweisen. Daher haben die Zulassungsbehörden den Einsatz von Siponimod bei SPMS auf PatientInnen mit aktiver Erkrankung beschränkt. Es ermangelt somit noch immer an Therapien für SPMS-Erkankte ohne nachweisbare Krankheitsaktivität.1,2
Eine in der März-Ausgabe des Lancet Neurology veröffentlichte Phase-IIb-Studie untersuchte daher drei experimentelle Wirkstoffe bei SPMS-PatientInnen.1,2 Nach systematischer Evaluation von 532 Kandidatensubstanzen wählten die Forschenden Amilorid, Fluoxetin und Riluzol aus, da ihr Einsatz und ihre Sicherheit am Menschen bereits gut untersucht sind und es aus früheren Human- und Tierstudien Evidenz dafür gibt, dass sie auf die axonale Pathobiologie und Neuroprotektion wirken.
Im Rahmen einer doppelblinden Studie an 13 Zentren Großbritanniens ('MS‑SMART' für Multiple Sclerosis-Secondary Progressive Multi-Arm Randomisation Trial) wurden 445 SPMS-Erkrankte 1:1:1:1 zu Amilorid (2x 5mg/ d), Fluoxetin (2x 20mg), Riluzol (2x 50mg) oder Placebo für 96 Wochen randomisiert. Das Randomisierungsverfahren beinhaltete eine Minimierung der Einflüsse von Faktoren wie Geschlecht, Alter, EDSS zum Ausgangszeitpunkt und Ort der Durchführung. Trotz dieser methodisch soliden Herangehensweise verfehlte die Studie ihren primären Endpunkt, die prozentuale Hirnvolumenveränderung im MRT (PBVC, ein häufiger Studienendpunkt bei SPMS).
In dieser ausreichend großen Studie konnten keine neuroprotektiven Effekte nachgewiesen werden. Dies verstehen die AutorInnen als Hinweis darauf, dass ein bloßes Targeting dieser Aspekte der axonalen Pathobiologie bei SPMS keine geeignete Strategie ist, um neuroaxonale Schädigungen zu minimieren. Die Pathophysiologie der SPMS scheint noch immer unzureichend verstanden und die Resultate sprechen einmal mehr für eine Untersuchung verschiedener Angriffspunkte und multimodale Therapieansätze.
Bei progredienten MS‑Formen ist die Leukozyten-Infiltration weniger ausgeprägt als bei schubförmiger MS, dafür findet eine Verlagerung der Entzündungsaktivität hin zu Mechanismen der angeborenen Immunität statt, welche sich zentral abspielen. Hinzu kommen mitchondriale Dysfunktion, metabolische Dysregulation durch chronische Myelinschäden und wahrscheinlich auch ein verstärkter Effekt von Alterungsprozessen und Komorbiditäten. „Wissenschaftler müssen ihre Anstrengungen nochmals verdoppeln, um die wahren Mechanismen zu identifizieren, die die Progression bei MS vorantreiben, was eine Auslese effektiver Medikamente ermöglichen wird“, heißt es im Lancet. Diese Botschaft ist wahrscheinlich auch auf das Spektrum neurodegenerativer Erkrankungen übertragbar, wie M. Alzheimer und Parkinson.1,2
Referenzen:
1. Chataway, J. et al. Efficacy of three neuroprotective drugs in secondary progressive multiple sclerosis (MS-SMART): a phase 2b, multiarm, double-blind, randomised placebo-controlled trial. The Lancet Neurology 19, 214–225 (2020).
2. Fox, R. J. Feast or famine in multiple sclerosis therapeutics. The Lancet Neurology 19, 196–197 (2020).