Zwei aktuelle Studien berichten, dass die Inzidenzen von ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfällen und möglicherweise auch von MS signifikant mit der langfristigen Exposition gegenüber Feinstaub assoziiert sind.
Als Feinstaub definiert sind Staubpartikel mit einem Durchmesser von weniger als 10 μm. Teilchen mit einer Größe unter 2,5 μm (PM2,5) gelten dabei als gesundheitlich besonders problematisch, da sie weit in die Lunge eindringen können. Neben der Partikelbeschaffenheit sind auch die auf der Oberfläche anhaftenden Schadstoffe entscheidend für die Auswirkungen.
Aus Studien in Nordamerika und Europa war bereits bekannt, dass die Exposition gegenüber solchen Partikeln mit einem erhöhten Apoplex-Risiko einhergeht. Neue Daten aus Regionen, in denen die PM2,5‑Belastung wesentlich höher ist, unterstreichen nun die Relevanz als Risikofaktor für kardiovaskuläre und neurologische Erkrankungen.1
Nachdem frühere Arbeiten über gesteigerte Krankenhauseinweisungen wegen Schlaganfällen selbst nach kurzer Expositionszeit gegenüber PM2,5 (einige Tage) berichtet hatten, ging ein chinesisches Autorenteam der Frage nach, wie hoch das Risiko für kumulative Schäden durch langfristigen Aufenthalt in Gegenden mit hoher Luftverschmutzung ist.2
Sie zogen hierfür Daten von fast 116 Tsd. Personen aus einer bereits existierenden prospektiven Kohortenstudie heran, dem 'Prediction for Atherosclerotic Cardiovascular Disease Risk in China' (China-PAR) Projekt. Die Rekrutierungsphase dieser Studie dauerte von 1992 bis 2008 und die Teilnehmenden wurden bis maximal 2015 nachbeobachtet.
Nachdem sie mögliche Störvariablen herausgerechnet hatten (Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Alkoholkonsum, Bildungsniveau, BMI, körperliche Aktivität, Hypertonus u. a.), kamen das Forschungsteam zu folgendem Ergebnis: ein Anstieg der langfristigen PM2,5‑Belastung um 10 μg/m3 ging mit einer Zunahme der Apoplex-Inzidenz von 13% einher. Sowohl die Inzidenz von ischämischen als auch hämorrhagischen Schlaganfällen war signifikant mit der dauerhaften Feinstaub-Exposition assoziiert.
Dieses Resultat könnte für die ganze Welt relevant sein, insbesondere jedoch für Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen, denn hier liegen die PM2,5-Konzentrationen oft besonders hoch.
Eine ebenfalls vor kurzem veröffentlichte Studie lenkte das Augenmerk auf Luftverschmutzung als möglichen Risikofaktor für MS.3
Die Forschenden verglichen zwei Städte in der Türkei mit ähnlichen geographischen, kulturellen, ethnischen und wirtschaftlichen Charakteristika, aber unterschiedlichem Schadstoffgehalt in der Luft. In einer Stadt war dieser niedrig, in der anderen überstieg er die von der WHO empfohlenen Grenzwerte. Sie screenten in beiden Städten insgesamt über 54 Tsd. Personen. Alle, die in einem Fragebogen MS‑verdächtige Symptome angaben, erhielten eine weitere Abklärung, bei 41 Personen wurde in der Folge eine MS neu diagnostiziert. Die errechnete altersstandardisierte MS‑Prävalenz fiel in der Stadt mit der hohen Luftverschmutzung doppelt so hoch aus (97,4 versus 47,2/100.000).
Diese Studie hat natürlich nicht die gleiche methodische Qualität wie bspw. die o.g. China‑PAR-Daten. Die Stichprobe war hier deutlich kleiner und potenzielle Störgrößen wie Vitamin D‑Spiegel oder Rauchverhalten konnten nicht kontrolliert werden. Doch die Arbeit ist wertvoll und zeigt, dass die Rolle von Umweltfaktoren auf die Ätiologie der MS näher untersucht werden sollte.
Referenzen:
1. Lemprière, S. Air pollution linked to multiple sclerosis and stroke. Nat Rev Neurol 1–1 (2020) doi:10.1038/s41582-020-0322-x.
2. Huang, K. et al. Long term exposure to ambient fine particulate matter and incidence of stroke: prospective cohort study from the China-PAR project. BMJ 367, (2019).
3. Börü, Ü. T., Bölük, C., Taşdemir, M., Gezer, T. & Serim, V. A. Air pollution, a possible risk factor for multiple sclerosis. Acta Neurologica Scandinavica n/a,.