Kurze Nickerchen steigern Hirngesundheit und Erinnerungsvermögen
Über die Jahre ist die Evidenz zu unterschiedlichen förderlichen Effekten eines Mittagsschlafs auf die kognitive Leistungsfähigkeit gewachsen.
Schlaf ist essentiell für das Gedächtnis
- ein wichtiger Teil der Konsolidierung von Gedächtnisinhalten geschieht im Schlaf
- wer eine Siesta hält, kann zudem im anschließenden Wachintervall besser lernen und sich besser erinnern als Menschen, die keine Pause einlegen
Schlaf sowohl vor als auch nach Lerneinheiten wirkt sich positiv auf die kognitive Leistung aus
Hier geht es zu Teil 1 dieses Zweiteilers. Unter anderem eine Studie aus Harvard ließ Versuchspersonen nach einer Memoryaufgabe (Bildpaare von Gegenständen und Gesichtern) entweder Gedächtnisübungen machen oder eine Stunde schlafen. Die Kurzschlaf-Gruppe erinnerte sich anschließend nicht nur an mehr Bilder, sondern stellte auch häufiger sinnvolle, assoziative Verbindungen zwischen einzelnen Bildern her, als hätten die Untersuchten im Mittagsschlaf vorausgelernt.1 Gleichzeitig bedeutet das Schlafen, dass das Gehirn nicht beim "Ablegen" der Informationen gestört wird. Selbst eine inhaltlich davon losgelöste Ablenkung, etwa Kopfrechnen, ist hinsichtlich des Speicherns der Informationen besser, als nach einer Lerneinheit weiter ohne Pause im gleichen Themengebiet zu lesen oder die Inhalte immer wieder ohne Pause abzufragen.
Zum anderen gibt es auch Daten dazu, dass ein Powernap vor kognitiven Aufgaben die Aufnahmebereitschaft und initiale Gedächtnisbildung steigert. Ein Team der Universität Berkeley unterzog Versuchspersonen zwei Gedächtnistests, einem um 12 Uhr und einem um 18 Uhr (jeweils 100 Namen und Gesichter einprägen mit sofort anschließendem Test). Die eine Gruppe durfte genau dazwischen 100 Minuten schlafen, die andere ging normalen Alltagsaktivitäten nach. Diejenigen, die kein Nickerchen gemacht hatten, schnitten beim zweiten Gedächtnistest 12% schlechter ab, was damit in Einklang steht, dass die Lernfähigkeit im Laufe des Tages natürlich abnimmt. Die Gruppe, die ein Nickerchen machte, erlebte dagegen einen Gedächtnisschub. Die Teilnehmer schnitten bei ihrem zweiten Test im Durchschnitt 10% besser ab als die Gruppe ohne Nickerchen und die Kontrollgruppe.2,3
Das Gehirn lernen lassen, während wir schlafen?
Im Rahmen der eben genannten Arbeit konnte nachgewiesen werden, dass im Leichtschlaf sog. Schlafspindeln das ursprünglich Erlebte wieder abspielen, die Neuronen also in der gleichen Reihenfolge wie bei der ursprünglichen Gedächtnisbildung feuern, wodurch die entsprechenden Synapsen gestärkt werden. Das Team stellte auch fest, dass die Schlafspindeln die Abhängigkeit vorangegangener Erinnerungen von kortikalen Regionen verstärken und die Abhängigkeit vom Hippocampus verringern, was als Schlüsselprozess bei der Gedächtniskonsolidierung verstanden wird.3 Je mehr Spindeln im präfrontalen Kortex bei den Versuchspersonen aus der Mittagsschlafgruppe gemessen wurden, desto besser war ihre Lernkapazität danach. Wahrscheinlich hatten diese während ihres Nickerchens eine bessere Gedächtniskonsolidierung.
"Diese Indizien zum potenziellen Zusammenhang zwischen Schlaf-Spindel-Oszillationen und Lernfähigkeit könnten sowohl für die Steigerung der Lern- und Gedächtnisleistung während der prägenden Jahre, als auch bei beeinträchtigter Kodierungsfähigkeit im Alter und bei Krankheiten relevant sein", schloss die Arbeit.2,3
Wenn sich ein Mittagsschlaf bereits bei jüngeren Menschen in der beschriebenen Weise bemerkbar macht, wundert es nicht, dass eine große Auswertung von knapp dreitausend Personen über 65 Jahren aus der 'China Health and Retirement Longitudinal Study' ebenfalls zu dem Ergebnis kam, dass Mittagsschläfer über eine bessere kognitive Funktion verfügen.3,4 Nach Bereinigung für zahlreiche Faktoren (BMI, Nachtschlafdauer, Aktivitäten des Alltags, Depressionen) zeigte sich eine Mittagsschlafdauer von 30–90 Minuten als ideal.
Berufstätige könnten von Möglichkeit zu kurzer Ruhepause profitieren
Schlechtes Gewissen für einen Powernap scheint also fehl am Platz. Für viele Menschen ist ein solcher Neustart jedoch nur nach der Arbeit oder an freien Tagen möglich. Dass sich die Möglichkeit zu einer ausreichend langen Mittagspause auch im Gesundheitswesen realisieren ließe, zeigt ein Blick bspw. in die Schweiz, wo lange Mittagspausen an manchen Kliniken Standard sind. In dieser Zeit liegen keine Visiten, Rapporte, Aufnahmen oder andere feste Termine. Mittagspause (häufig 12–14 Uhr) bedeutet dort: das Diensttelefon ausschalten/ den Piepser stecken und das Haus verlassen dürfen. Betonung liegt auf dürfen: wem das dafür spätere Dienstende aus familiären oder sonstigen Gründen nicht recht ist, kann natürlich im Haus bleiben und Briefe schreiben oder andere Arbeiten erledigen. Die Diensthabenden kommen kurz vor der Mittagspause ins Haus und gewährleisten, während dieser, die Abdeckung von Notaufnahme, Station usw. (sie haben ihre lange Pause entsprechend später, wenn die Teams wieder zurück sind). Für Therapeuten und Verwaltungsangestellte ist an Häusern mit diesem Modell mittags zumeist ebenso lange Pause, die Pflege ist oftmals zweigleisig besetzt: früher endende durchgehende Dienste und später endende sog. geteilte Dienste mit derselben Mittagslücke, wofür jeweils Dienstplanwünsche geäußert werden können.
Debatte für heute: Wer von Ihnen kennt das so oder ähnlich und wie ging es Ihnen damit?
- Skalli, S. Das Nickerchen für sich arbeiten lassen. Die Zeit (2016).
- Mander, B. A., Santhanam, S., Saletin, J. M. & Walker, M. P. Wake deterioration and sleep restoration of human learning. Current Biology 21, R183–R184 (2011).
- Lian, A. How Napping Significantly Boosts Brain Health. ILLUMINATION https://medium.com/illumination/how-napping-boosts-brain-health-fa9783864bb (2022).
- Li, J. et al. Afternoon Napping and Cognition in Chinese Older Adults: Findings from the China Health and Retirement Longitudinal Study Baseline Assessment. Journal of the American Geriatrics Society 65, 373–380 (2017).
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