In verschiedenen Arbeiten ist beschrieben, dass soziale Isolation im Kindes- und Jugendalter negative Effekte auf die Hirnfunktion und Geselligkeit im Erwachsenenalter hat, doch die dafür verantwortlichen Mechanismen waren bislang wenig verstanden.
Eine vor wenigen Tagen in der Zeitschrift Nature Neuroscience erschienene Studie1,2 beschreibt zum ersten Mal, welche spezifischen neuronalen Bahnen es sind, deren Entwicklung maßgeblich von Sozialerfahrungen in der Kindheit und Jugend beeinflusst wird. Diese sind für die spätere Umgänglichkeit und Kontaktfreudigkeit essenziell.
Soziale Isolation rückt zunehmend als bedeutender Risikofaktor für Störungen der kognitiven und psychischen Gesundheit in den Fokus (siehe hierzu unter anderem unseren Beitrag: Lässt Einsamkeit das Gehirn schrumpfen?).
Auch wenn wir digital immer vernetzter werden, erleben junge Menschen in unserer Gesellschaft ein wachsendes Gefühl von Isolation.
Im Rahmen einer großen Erhebung der Mental Health Foundation in Zusammenarbeit mit der Cochrane Mental Disorders Group wurde eine repräsentative Stichprobe von 2.522 Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahren in Großbritannien befragt.3
Ein Viertel (25%) von ihnen äußerten, oft zu wenig Gesellschaft zu haben, 25% fühlten sich oft ausgegrenzt und 27% fühlten sich isoliert. Nur jeder Zweite (54%) gab an, mit anderen über seine Gefühle sprechen zu können. Viele versuchen, Probleme im Stillen mit sich allein auszumachen. Die Frage, ob sie eine erwachsene Vertrauensperson hätten, an die sie sich für Rat oder Unterstützung wenden könnten, bejahte gerade einmal einer von sieben (14%). Ein Fünftel (21%) empfand das Umfeld, in welchem es lebte, als belastend für seine mentale Gesundheit. Nur reichlich die Hälfte (55%) der Befragten war zuversichtlich, zu wissen, wo sie bei psychischen Belastungen Hilfe suchen könnten und nur ein Drittel (34%) war vertrauensvoll, dass es dort auch die benötigte Unterstützung erhalten würde.
Diese Befragung fand im August 2019 statt. Nachdem die Corona-Krise in vielen Ländern zur Implementierung von Social Distancing-Vorkehrungen und Schulschließungen geführt hat, ist vorstellbar, dass diese Zahlen inzwischen anders ausfallen würden.
Im murinen Modell konnten Wissenschaftler nun eine spezifische Population von Neuronen ausmachen, die für eine normale Kontaktfreudigkeit im Erwachsenenalter eine zentrale Rolle zu spielen scheinen und besonders vulnerabel auf soziale Isolation in der Kindheit reagieren.2 Diese befinden sich im präfrontalen Kortex, einem an der Regulation des Sozialverhaltens maßgeblich beteiligten Hirnareal. Vom medialen präfrontalen Kortex (mPFC) projizieren diese Neuronen in den posterioren paraventrikulären Thalamus (pPVT), eine Hirnregion, die Signale an verschiedene Komponenten des Belohnungssystems weiterleitet.
Zwei Wochen sozialer Isolation bei frisch von der Mutter entwöhnten Mäusen führten dazu, dass dieser Schaltkreis im Erwachsenenalter bei sozialen Interaktionen nicht funktionierte, da die Erregbarkeit der entsprechenden Neuronen im präfrontalen Kortex deutlich reduziert war. Gleichzeitig erhielt dieser Kreislauf mehr inhibitorischen Input.
Bei normalen erwachsenen Tieren konnten die Forscher durch medikamentöse oder optogenetische Blockade dieser Bahn Störungen des Sozialverhaltens induzieren. Bei den Mäusen, die in jungem Alter die Isolation erfahren hatten, waren die Defizite des Sozialverhaltens durch Stimulation dieser Nervenbahnen dagegen wieder reversibel und die sozialen Interaktionen ließen sich darüber steigern.
Falls diese Entdeckungen am Menschen bestätigt werden, sehen die Autoren darin einen potenziellen Schlüssel zu Therapien für psychiatrische Störungen, bei denen Isolation eine Rolle spielt.
Doch die wichtigste Botschaft ist sicherlich, psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen. Frühe Lebenserfahrungen, das Umfeld, das Erkunden der eigenen Identität, die Belastungen, denen jungen Menschen ausgesetzt sind, wenn sie die Schule verlassen oder in die Berufswelt eintreten, machen allesamt einen für die geistige Entwicklung und Gesundheit prägenden Zeitraum aus. "Demgegenüber unterstützende Familien, Freunde und Gemeinschaften zu haben; die Fähigkeiten, emotionale Herausforderungen zu verstehen, darüber sprechen und mit ihnen umgehen zu können; Erwachsene, an die man sich wenden kann, die verstehen, wie sie sich fühlen [...]; all dies kann eine gute mentale Gesundheit ab der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter und darüber hinaus fördern und schützen", schließt auch der Bericht der Mental Health Foundation.4
Referenzen:
1. Researchers discover a specific brain circuit damaged by social isolation during childhood: Study in mice shows long-lasting effects and points the way to potential treatments. ScienceDaily https://www.sciencedaily.com/releases/2020/08/200831112345.htm.
2. Yamamuro, K. et al. A prefrontal–paraventricular thalamus circuit requires juvenile social experience to regulate adult sociability in mice. Nature Neuroscience 1–13 (2020) doi:10.1038/s41593-020-0695-6.
3. Hundreds of thousands of young people feel isolated, lonely and uncertain about who to turn to when experiencing mental health problems – major new report. Mental Health Foundation https://www.mentalhealth.org.uk/news/hundreds-thousands-young-people-feel-isolated-lonely-and-uncertain (2019).
4. State of a generation: Preventing mental health problems in children and young people. Mental Health Foundation https://www.mentalhealth.org.uk/publications/state-generation-preventing-mental-health-problems-children-and-young-people (2019).