Mittlerweile geht die weltweite COVID-19-Pandemie in ihr drittes Jahr und die Auswirkungen auf die klinische Versorgung sind längst in anderen kritischen Bereichen wie beispielsweise der Onkologie spürbar – nicht nur zum Nachteil der Patienten, sondern ebenso zum Nachteil der Onkologinnen und Onkologen selbst. Wie also damit umgehen?
Eine aktuelle Studie aus Australien untersuchte das Wohlbefinden von Onkologen, welche auch in Pandemiezeiten im Klinikbetrieb Krebsbehandlungen durchführten. Hauptproblem für viele der Ärztinnen und Ärzte: COVID-19 hat ganze Versorgungsketten unterbrochen oder zumindest stark eingeschränkt und fördert zusätzlich den emotionalen Stress.
Die Schlüsselprioritäten vieler onkologischer Abteilungen haben sich im Zuge der Pandemie nachhaltig verändert: So stehe der Patientenschutz im Fokus, was wiederum dazu geführt hat, dass Patientinnen und Patienten häufiger von einem Krankenhausbesuch abgehalten werden, wichtige Konsultationen zu Zeiten der Kontaktbeschränkungen weniger regelmäßig erfolgten, oder dass zu jedem Zeitpunkt auf persönliche Schutzmaßnahmen geachtet werden muss.
Entscheidungsgrundlage für Behandlungspläne sind nicht mehr allein „Best-Practice“-Leitlinien oder bewährte Behandlungsprotokolle. Vielmehr konkurrieren diese zunehmend mit der Sorge um eine höchst vulnerable, weil häufig immunsupprimierte Patientengruppe.
Hinzu kommt, dass sich Konsultationen zunehmend auf die Telemedizin verlegten, oder dass Ärztinnen und Ärzte aus dem Bereich der Onkologie auf anderen Stationen bei der Versorgung von COVID-19-Betroffenen aushelfen mussten. Für eine oft bereits vor der Pandemie durch Überarbeitung und Burnout-Gefahr bedrohte Fachgruppe eine enorme zusätzliche Belastung.
Die aktuelle Pandemie trifft Onkologinnen und Onkologen gleich mehrfach in ihrer täglichen Praxis. Zum einen nimmt die emotionale Belastung auf Seiten der Krebs-Patienten zu, sodass die Mediziner sehr viel mehr Zeit und Energie auf die emotionale Pflege ihrer Patienten konzentrieren müssen. Gleichzeitig müssen sie darauf achten, Abstände einzuhalten, persönliche Nähe zu unterbinden oder Familien-Besuche einzuschränken. Im Umgang mit potenziell lebensverkürzenden Erkrankungen entstehen daraus ebenso Konflikte für die Ärzteschaft in der Versorgung ihrer Patienten.
Zum anderen sehen sich Onkologinnen und Onkologen in der Pandemie moralischem Stress und Ängsten ausgesetzt. Die epidemiologisch notwendigen Restriktionen in einer Pandemie erfordern ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, da sich Anweisungen sehr kurzfristig ändern können. Auf der anderen Seite jedoch führt dies nicht selten zu offenen ethischen Konflikten mit dem Anspruch des Onkologen, eine schnelle, zielgerichtete und individuell abgestimmte Therapie einleiten zu wollen. Nicht wenige entwickelten zudem Sorgen, dass nach der Pandemie vermehrt Patientinnen und Patienten mit einer späten Diagnose und bereits fortgeschrittenem Tumor vorstellig werden könnten.
Als einen möglicherweise positiven Effekt der COVID-19-Pandemie im Bereich Onkologie bewerten die Autoren den Umstand, dass sich Ärztinnen und Ärzte infolge der Lockdowns und des geringeren Patientenaufkommens ihrer eigenen Verwundbarkeit, Schwächen und Menschlichkeit wieder bewusster werden konnten.
Das bedeutet im Wesentlichen, dass die Behandler in dieser Zeit eine Phase erlebten, in der sie sich mehr auf ihre eigenen inneren mentalen und emotionalen Gefühlszustände konzentrieren konnten – zusätzlich zu den anhaltend erhöhten Ängsten und Befürchtungen ihrer Patienten.
Das Autoren-Team der australischen Studie ist abschließend der Meinung, dass zukünftig auch das Wohlbefinden des Personals in der klinischen Krebsversorgung verankert werden sollte. Dafür wird es nötig sein, dass sich die Ärztinnen und Ärzte einerseits darüber im Klaren sind, welche Art von Unterstützung sie benötigen, und dass andererseits die Verantwortlichen im Gesundheitswesen auf transparente Weise abwägen, wie sie die Bedürfnisse der Ärzte mit der angestrebten Versorgungsqualität in der Onkologie in Einklang bringen wollen.
Neue Führungsmodelle im Gesundheitswesen zeigen, dass Führungskräfte auch nach der Pandemie zum einen eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten sicherstellen müssen, aber zugleich auch dafür Sorge tragen, dass die Mitarbeiter einen Arbeitsplatz vorfinden, welcher ihr Wohlbefinden schützt und fördert und sie in die Lage versetzt, diese Versorgung auch gewährleisten zu können.
Quelle:
Delaney C et al., COVID‑19 recovery: implications for cancer care clinicians. Supportive Care in Cancer 2021.