Die Spuren von Kindesmissbrauch im Gehirn

Erfahrungen von sexuellem, körperlichem oder emotionalem Missbrauch in der Kindheit graben sich tief ins Gedächtnis ein und hinterlassen lebenslang Spuren – auch neuronal.

Was ist das neurale Konnektom?

Wie hängen Missbrauch und Psychopathologie zusammen?

Fest steht, dass Menschen, die als Kinder missbraucht wurden, ein höheres Risiko für psychiatrische Störungen einschließlich Suizidalität haben. Vermutlich lösen traumatische Erfahrungen während der sensiblen Phase der neurologischen Entwicklung eine Reihe von physiologischen Prozessen aus, die zu bleibenden Veränderungen im Gehirn führen. Während einzelne morphologische Korrelate bereits untersucht wurden, ist jedoch noch weitgehend unklar, was dabei funktionell im gesamten Gehirn passiert.

In einer Kohortenstudie werteten die Wissenschaftler um Mayuresh S. Korgaonkar Daten von 647 Erwachsenen aus dem Großraum Sydney aus. Der psychische Gesundheitszustand wurde anhand eines strukturierten klinischen Interviews erfasst. Darüber hinaus gaben die Probanden Selbstauskünfte zu Missbrauchserfahrungen in Kindheit oder Jugend.

Wie erwartet war eine Missbrauchsgeschichte mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer aktuellen psychiatrischen Erkrankung assoziiert. Die Betroffenen waren fast fünfmal häufiger erkrankt als Probanden ohne diese traumatischen Erfahrungen. Auch Depressivität, Angst- und Stresssymptome waren bei den Geschädigten ausgeprägter. 

Welche Veränderung bewirken Missbrauchserfahrungen im Gehirn?

Doch was bedeutet der Missbrauch für die neuronale Konnektivität? Anhand funktioneller MRT-Aufnahmen wurden mehr als 400 kortikale und subkortikale Regionen sowie verschiedene Gehirnnetzwerke untersucht. Es zeigte sich: Bei denjenigen, die in ihrer Jugend missbraucht worden waren, waren keine Konnektomveränderungen festzustellen. Anders bei einer Gewalterfahrung in der Kindheit. Die 127 Probanden, die zum Tatzeitpunkt < 13 Jahre alt gewesen waren, zeigten eine veränderte Konnektivität. Vor allem die Verbindungen innerhalb der somatomotorischen, dorsalen und ventralen Netzwerke für Aufmerksamkeit sowie zwischen diesen Bereichen und den Netzwerken der exekutiven Kontrolle waren stärker ausgeprägt als bei denen, die keine oder erst später im Leben Gewalt erfahren hatten. Diese Befunde waren unabhängig von der Art und Häufigkeit des Missbrauchs, vom Geschlecht und von der aktuellen Psychopathologie.

Beeinflusst waren also Systeme, die für die Wahrnehmungsverarbeitung und Aufmerksamkeit zuständig sind. Die Forscher schlossen daraus, dass Missbrauchserlebnisse in der Kindheit und das hohe Maß an Bedrohung, denen die Betroffenen dadurch ausgesetzt sind, ein geschärftes Bewusstsein für die eigene Umwelt schaffen. Ähnlich wie bei Angststörungen könnte sich eine Hypervigilanz gegenüber bedrohlichen Situationen entwickeln. 

Fazit für die Praxis

Missbrauch in der Kindheit scheint die intrinsische funktionelle Konnektivität des gesamten Gehirns zu verändern. Die beeindruckende, hochrelevante Studie stärkt die These, dass der Zeitpunkt der Gewalterfahrung darüber entscheidet, ob sich Spuren davon dauerhaft im Gehirn eingravieren. Gerade in der vulnerablen Phase der Gehirnentwicklung ist das Risiko bleibender Schäden hoch – mit lebenslangen Folgen für die Psyche.
 

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