Deutsche, österreichische und schweizerische Fachgesellschaften* haben vor wenigen Wochen eine S3-Leitlinie zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica (PMR) publiziert. Darin sind spezifische Empfehlungen so klar formuliert, wie es angesichts verschiedener Subgruppen von Patienten mit unterschiedlichen klinischen Profilen möglich ist.
PMR ist die zweithäufigste entzündliche rheumatische Erkrankung nach der rheumatoiden Arthritis und tritt fast ausschließlich bei Menschen jenseits des 50. Lebensjahres auf. Die Leitlinie wurde erarbeitet, weil das therapeutische Vorgehen im deutschsprachigen Raum, aber auch europa- und weltweit sehr heterogen ist. Als Quell-Leitlinie diente die gemeinsame Leitlinie der European League Against Rheumatism (EULAR) und des American College of Rheumatology (ACR) zum Management der PMR aus dem Jahr 2015.
1. Bei Patienten mit PMR soll unmittelbar nach Diagnosestellung eine Therapie mit Glukokortikoiden eingeleitet werden.
Glukokortikoide sind nach wie vor Mittel der ersten Wahl, weil sie die Beschwerden bei den meisten Patienten rasch und deutlich lindern. Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) sollten nicht eingesetzt werden, da das potenzielle Risiko durch Nebenwirkungen größer ist als der zu erwartende therapeutische Nutzen. Spezifische Empfehlungen zu Analgetika sind nicht möglich.
2. Die Glukokortikoid-Dosierung soll für jeden Patienten individuell angepasst werden (so hoch wie nötig, aber so niedrig wie möglich).
Eine spezifischere Empfehlung ist nicht möglich, da es hierzu nur wenige Studien mit hoher Evidenz gibt. Zudem existieren viele Subgruppen von Patienten mit unterschiedlichen klinischen Profilen. Bei der Nutzen-Risiko-Abwägung sind Faktoren wie patientenspezifische Risikofaktoren für Nebenwirkungen und das Rezidivrisiko zu berücksichtigen.
2.a. Glukokortikoide sollten oral angewendet werden.
Im deutschsprachigen Raum wird die orale Anwendung von Glukokortikoiden bevorzugt. Als Alternative kann allerdings die intramuskuläre Gabe von Methylprednisolon in Betracht gezogen werden. Die Wahl unterliegt der Entscheidung des behandelnden Arztes.
2b. Glukokortikoide sollten als morgendliche Einzeldosis gegeben werden.
Die Frage nach dem besten Einnahmezeitpunkt wurde in keiner Studie gezielt untersucht. Die Empfehlung gegen eine Aufteilung der Tagesdosis in mehrere Einzeldosen erfolgte aufgrund der guten klinischen Erfahrung mit der Einzelgabe. In speziellen Situationen kann die Dosis aber durchaus geteilt werden.
2c. Die Glukokortikoid-Initialdosis sollte bei den meisten Patienten zwischen 15mg und 25mg Prednison-Äquivalent pro Tag liegen.
Die Breite des empfohlenen Bereiches wird damit begründet, dass auch in Bezug auf Faktoren wie das Rezidivrisiko oder das Auftreten Glukokortikoid-induzierter Nebenwirkungen viele Patienten-Subgruppen existieren. Initialdosen von ≤7,5mg/Tag oder von >30mg/Tag sollen nicht angewendet werden.
2d. Die Glukokortikoid-Dosis soll kontinuierlich reduziert werden – basierend auf einem regelmäßigen Monitoring von Krankheitsaktivität, Laborparametern und Nebenwirkungen.
Im Rahmen der Reduktion bzw. Anpassung der Glukokortikoid-Dosis werden folgende Prinzipien empfohlen: Bei der initialen Reduktion sollte innerhalb von vier bis acht Wochen eine Dosis von 10mg/Tag Prednison-Äquivalent erreicht werden. Anschließend sollte die orale Prednison-Dosis alle vier Wochen bis zum Absetzen um etwa 1mg pro Tag reduziert werden. Kommt es während der Dosisreduktion zu einem Rezidiv, sollte die orale Prednison-Dosis zumindest auf die Prä-Rezidiv-Dosis erhöht und dann schrittweise wieder reduziert werden (bis auf die Dosis, unter der das Rezidiv aufgetreten ist).
2e. Die Dauer der Glukokortikoid-Therapie soll für jeden Patienten individuell angepasst werden (so lang wie nötig, aber so kurz wie möglich).
Sowohl über die Absenkung der Glukokortikoiddosis im Behandlungsverlauf als auch über die Dosierung im Falle eines Rezidivs sollte patientenspezifisch und in Abhängigkeit von den Ergebnissen des regelmäßigen Monitorings entschieden werden. Bei Patienten mit einer höheren initialen Dosis (z.B. 25mg/Tag Prednison-Äquivalent) ist in der Regel eine raschere Absenkung möglich als bei niedrigeren Initialdosierungen (z.B. 15mg/Tag).
3. Zusätzlich zur Glukokortikoid-Therapie sollte die frühzeitige Gabe von Methotrexat (MTX) in Betracht gezogen werden.
Bei PMR gibt es keine prototypische klinische Situation, in der MTX unverzichtbar ist. Über den Einsatz sollte deshalb patientenspezifisch entschieden werden. Empfohlen wird die MTX-Komedikation insbesondere bei Patienten mit hohem Risiko für Rezidive und/oder einer voraussichtlich langen Therapiedauer sowie bei Patienten mit Risikofaktoren, Komorbiditäten und/oder Begleitmedikationen, bei denen Glukokortikoid-induzierte Nebenwirkungen mit höherer Wahrscheinlichkeit auftreten. Bei Patienten mit Rezidiv(en) oder unzureichendem Ansprechen auf Glukokortikoide oder bei Auftreten von Glukokortikoid-induzierten Nebenwirkungen kann der Einsatz von MTX ebenfalls erwogen werden.
4. PMR-Patienten sollen nicht mit Tumor-Nekrose-Faktor (TNF)-α-blockierenden Substanzen behandelt werden. Zu anderen Biologika inkl. Tocilizumab ist derzeit keine Empfehlung möglich.
Da die Wirksamkeit von TNF-α-Hemmern bei PMR nicht nachgewiesen ist, wird von ihrem Einsatz abgeraten. Für Tocilizumab liefert eine Studie positive Ergebnisse, aus denen aufgrund der kleinen Fallzahl und der geringen methodischen Qualität aber keine Empfehlung abgeleitet werden kann. Zu anderen Biologika wurden bislang keine prospektiven Studien publiziert.
5. Insbesondere älteren und/oder gebrechlichen Patienten sollte zusätzlich zur medikamentösen Therapie ein individualisiertes Übungsprogramm angeboten werden.
Der Nutzen physiotherapeutischer Maßnahmen ist nicht durch Studien belegt. Der Erhalt von Muskelmasse und -funktion sowie die Reduktion des Sturzrisikos sind jedoch erstrebenswerte Ziele. Ein individualisiertes Übungsprogramm wird vornehmlich bei älteren und/oder gebrechlichen Patienten als nutzbringend angesehen.
Fazit
Bei PMR sind Glukokortikoide nach wie vor Mittel der ersten Wahl. Mit ihnen lässt sich bei den meisten Patienten eine rasche Linderung der Beschwerden erzielen. Trotz schlechter Evidenzlage in Bezug auf Eckpunkte wie Initialdosis, Behandlungsdauer und Reduktionsschemata ist die Therapie in der Praxis gut etabliert. Die Empfehlungen der deutschsprachigen Fachgesellschaften beruhen auf den 2015 publizierten EULAR/ACR-Empfehlungen und stellen insofern einen internationalen Konsens dar. Sie wurden aber der aktuellen Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz angepasst.
*Beteiligte Fachgesellschaften und weitere Organisationen:
Quellen:
Buttgereit F, Brabant T, Dinges H et al. S3-Leitlinie zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica Evidenzbasierte Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation (ÖGR) und der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR) und der beteiligten medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften und weiterer Organisationen. Z Rheumatol 2018; 77: 429-441
AWMF-Leitlinien Register Nummer: 060/006