esanum: Dr. Tesch, präzise Echtzeitbilder im OP, das klingt erstmal gut. Welche wissenschaftliche Evidenz liegt für den Nutzen vor?
PD Dr. Christian Tesch: Intraoperativer Ultraschall (IOUS) wird noch nicht flächendeckend von Chirurgen angewendet. Deswegen haben wir von der chirurgischen Sektion der DEGUM ein Ausbildungscurriculum entwickelt. In der Vorbereitung dazu haben wir erhebliche Defizite hinsichtlich der wissenschaftlichen Aufarbeitung des intraoperativen Ultraschalls festgestellt. Und das haben wir dann nachgeholt und wissenschaftliche Evidenz in verschiedenen Bereichen erarbeitet. Die aktuellen Evidenzen in der Chirurgie stammen im Wesentlichen aus italienischen Arbeitsgruppen, die schon seit Jahren systematisch mit IOUS arbeiten.
esanum: Welche Beispiele zeigen den Sinn von IOUS besonders eindrucksvoll?
PD Dr. Christian Tesch: In der Neurochirurgie ermöglicht es, bei Hirntumoroperationen eine sichere Gewebedifferenzierung zu haben und unterstützt die Resektion komplexer Tumoren. Auch in der Leberchirurgie, wo Metastasen und Tumoren in Echtzeit erkannt und präzise entfernt werden können, wird IOUS zunehmend unverzichtbar.
Oder nehmen wir das Beispiel Pankreaschirurgie. Das ist per se ein Feld, bei dem es keine sehr lange Überlebenschance gibt. Aber wenn wir durch IOUS die Klassifikation des Tumorstadiums downstagen können, also etwa von einer bedingt operablen zu einer sicher operablen Situation, weil wir sehen, dass ein Gefäß, das präoperativ mitbetroffen schien, doch nicht betroffen ist, dann ist das sehr sinnvoll. Denn dann kann eine erfolgversprechende R0-Resektion erfolgen. In der Leberchirurgie können kleine okkulte Metastasen erkannt werden, die mit Kernspin und Kontrastmittel nicht festgestellt werden konnten. Dann können wir Tumoren resezieren, die vorher gar nicht erkannt wurden. Daraus resultiert eine längere Überlebenszeit.
Das Erkennen von Tumoren ist intraoperativ viel sicherer möglich. Prof. Markus Hahn von der Frauenklinik im Universitätsklinikum Tübingen, operiert seit 10 Jahren keine Mammatumoren mehr ohne sein Ultraschall-Lineal. Und dann untersucht er den resezierten Tumor noch einmal mit Ultraschall und erkennt sofort, ob er an einer bestimmten Stelle gleich noch einmal nachresezieren muss. Dadurch wurde die Häufigkeit von späteren Nachresektionen signifikant gesenkt. Wir setzen uns dafür ein, dass IOUS in spezialisierten Brustzentren zur Standard-Prozedur gehört.
esanum: Wo zeigt sich der Erfolg von IOUS besonders eindrucksvoll?
PD Dr. Christian Tesch: Wir haben festgestellt, dass zum Beispiel die Neurochirurgen weit vorne bei der intraoperativen Ultraschall-Diagnostik sind. Es gibt Neurochirurgen, die gar nicht mehr ohne IOUS operieren. Beim Gehirn ist es ja extrem wichtig, möglichst wenig gesundes Gewebe zu opfern. Mittels IOUS können die Ränder des operierten Tumors sehr klein gehalten werden, sodass weniger postoperative Defizite entstehen. Das gleiche gilt adäquat für die Leberchirurgie. Hier liegen international in Metaanalysen sehr gute Evidenzen vor. Leberchirurgie geht jetzt nicht mehr segmental vor. Heute wird nur der Tumor reseziert und nicht das ganze Segment. Wir können auch viel kleinere Tumoren erkennen. Und das geht nur, wenn man intraoperativ das Resektionsgebiet genau festgelegt hat und mit dem Ultraschall als Lineal direkt an der Tumorgrenze reseziert. Das ist auch deswegen so wichtig, weil man heute durch die hervorragende Bestrahlungs-und Chemotherapie Menschen mit Lebermetastasen, die vor zwanzig Jahren unweigerlich nach drei, vier Jahren verstorben sind, über längere Zeit so unter Kontrolle bringen kann, dass man für den Fall einer Nachresektion auch minimal invasiv vorgehen kann.
esanum: Was steht bisher dem flächendeckenden Einsatz von IOUS als Standardmethode entgegen? Ist es eine Geldfrage?
PD Dr. Christian Tesch: Es ist eigentlich nicht besonders teuer. Die heutigen Geräte kosten zwischen 50 000 und 100 000 Euro. Wir können uns diese Frage seit 20 Jahren nicht erschöpfend beantworten. Wer IOUS selbst anwendet, wundert sich immer wieder, warum es andere nicht tun. Ein stichhaltiges Gegenargument ist eher, die Geräte anzuschaffen. Sie fehlen noch zum großen Teil. Daher fehlen auch die Leute, die damit umgehen können. Es fehlt sicher auch die Zeit dafür, den Umgang mit der Methode zu lernen und zu trainieren.
esanum: Wie sind Sie zum IOUS gekommen?
PD Dr. Christian Tesch: Ich habe in der Chirurgie angefangen. Dann bin ich Unfallchirurg geworden und habe noch die Orthopädie dazugenommen. Und ich habe von Anfang an im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf den Ultraschall klinisch genutzt. Ich bin zur Leberchirurgie dazu geholt worden, nicht als Operateur, sondern als chirurgischer Spezialist, der das Ultraschallgerät einsetzt. Das war in den Neunziger Jahren. Inzwischen haben wir viel bessere Geräte. Die Operationen müssen einen hohen Standard erfüllen. Laut Krankenhausreform sollen die Kliniken nur noch spezialisiert arbeiten. Umso wichtiger ist, dass sie auf dem aktuellsten Stand operieren.
esanum: Was wollen Sie und Ihre Mitstreiter erreichen?
PD Dr. Christian Tesch: Wir wollen IOUS fest etablieren. Wir sind vorsichtig mit unseren Forderungen. Unsere Zielgruppe sind Chirurgen. Wir wollen erreichen, mehr Chirurgen dazu zu bringen, IOUS selbst durchzuführen. In Kliniken wie der Berliner Charité wird das immerhin mit Hilfe der Radiologen gemacht. Wir möchten aber, dass die Chirurgen den Ultraschallkopf selbst in die Hand nehmen, um z.B. den Tumor zu lokalisieren und dann unter sonographischer Sicht mit Hilfe von Assistenten am Ultraschallgerät zu resezieren. Der Physician Assistant (PA) ist ja schon relativ gut etabliert. Sie wären für diese Hilfestellung genau die idealen Partner.
Als erstes müssen wir erreichen, dass die Operateure uns hören. Die Ultraschallgesellschaft sitzt ja nicht bei allen entsprechenden Fächern mit am Tisch. Damit leben wir. Jetzt arbeiten wir in der Sektion Chirurgie daran, Chirurgen für unser Ausbildungscurriculum zu interessieren.
Dann versuchen wir, den intraoperativen Ultraschall in den Leitlinien zu verankern. Wenn dort z.B. steht, „bei der Behandlung von kolorektalen Lebermetastasen soll der intraoperative Ultraschall eingesetzt werden“, dann ist es quasi Pflicht, dies zu tun. Im Moment sind wir noch in der Erarbeitung der Leitlinie bei der Formulierung: „Eine intraoperative Inspektion der Leber sollte, eventuell ergänzt durch eine intraoperative Sonographie, erfolgen (Expertenkonsens)."
Damit haben wir schon den Fuß in der Tür. Und so wollen wir bei allen Leitlinien vorgehen und unsere Evidenz einbringen. Als nächstes möchten wir die Deutsche Gesellschaft für Viszeralchirurgie davon überzeugen, dass es Sinn macht, ihre Mitglieder für IOUS auszubilden.
Privatdozent Dr. Christian Tesch ist niedergelassener Chirurg in Hamburg sowie stellvertretender Leiter der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM). Er setzt sich dafür ein, dass IOUS breiter zur Anwendung kommt.