Kasuistik: Keine BorreIiose… oder doch?

Eine Patientin bemerkte eine Zecke im Bereich der Wade, die sie selbst entfernte. Trotz juckender Rötung wurde ein Zeckenstich ärztlich ausgeschlossen. Wie lautet Ihr Verdacht?

Heftig entzündliches, gut abgrenzbares Erythem mit zentralem Infiltrat am Unterschenkel

Anamnese:

Die Patienten war im Sommerurlaub auf der Insel Rügen. Nach einem Spaziergang an der Steilküste bemerkte sie eine Zecke im Bereich der linken Wade, die sie selbst entfernte. Dann bemerkte sie eine mäßig juckende Rötung am linken Unterschenkel, die sie selbst entfernte. Wenige Tage später, noch während des Urlaubes, entwickelte sich eine heftige und mäßig juckende Rötung im Bereich der linken Wade. Sie suchte daraufhin einen Kurarzt auf. Hier wurde eine infizierte Insektenstichreaktion diagnostiziert. Ein Zeckenstich aber wurde aufgrund der heftigen Entzündung gleich ausgeschlossen und ein Zeckenproblem gäbe es an der Küste ohnehin nicht. Daher hatte die Patientin auch darauf verzichtet, ein von ihr vorgefertigtes Foto mit der Zecke zu zeigen. Es wurde eine eine Antibiose mit Clindamycin 3x600mg über 10 Tage verordnet. Trotz der Behandlung kam es zur weiteren Befundprogredienz.

Hautbefund: 

Am linken Unterschenkel dorsal mittig findet sich ein ca. 15 cm durchmessendes, heftig entzündliches, gut abgrenzbares Erythem mit zentralem Infiltrat (Abb. 1). Es bestehen keine Systemzeichen wie Fieber oder SF.

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Abb. 1: Ca. 15 cm durchmessendes, relativ scharf begrenztes, ovalär-scheibenförmiges Erythem mit einer zentralen, ca. 5 cm durchmessenden violett-lividen Infiltration (a). Im Mittelpunkt ein Knoten mit apikaler Schuppung im Sinne einer abheilenden Erosion (b,c). Ein von der Patientin selbst erstelltes Foto zeigt den Befund vor Beginn der Antibiose mit Clindamycin (d).

Labor: Routine: CRP 7,1. GGT 0,68. BB, Diff.-BB, Crea, Hst unauff.  Borrelienserologie (Tabelle 1):

Intervall nach Beginn der HE

2 Wochen

4 Wochen

6 Wochen

Borr. burgd.-IgG AK i.S. (AU/ml)

8,0 (unauff.)

26,1 (++)

37,2 (++)

Borr. burgd.-IgM AK i.S. (AU/ml)

32,1 ++

36,1(++)

48,3 (++)

Borrelia-IgG Blot

negativ

grenzwertig

positiv

Borrelia-IgM Blot

negativ

negativ

grenzwertig


Hier erfahren Sie, ob Sie richtig diagnostiziert haben:

Therapie und Verlauf:

Der Hautbefund mit der nahezu kreisrunden Rötung und dem zentralen erosiven Defekt zwingt förmlich zur Blickdiagnose einer Stichreaktion. Die heftige Entzündung kann nunmehr entweder eine toxisch-allergische Reaktion auf die durch den Saugstichakt eingebrachten biogenen Proteine oder Toxine oder aber einer Pyodermie (Erysipel, Phlegmone) durch Sekundärinfektion mit Bakterien entsprechen. Während für Erstere eher lokaler Juckreiz und Brennen typisch ist, überwiegt bei Letzterer eine Systemreaktion mit Fieber, Schüttelfrost und allgemein reduziertem Zustand, allergische Reaktionen können Systemsymptome hervorrufen. 

Heftige Insektenstichreaktionen in unseren Breiten werden am ehesten durch Bremsen, Gnitzen und Kribelmücken hervorgerufen. Im Unterschied zu Bienen- oder Wespenstichen mit sofortigem starkem Schmerz und eher urtikarieller lokaler bzw. disseminierter urtikarieller Reaktion beginnen Entzündung und Infiltrat oft protrahiert, zumindest dann wenn das stechende Insekt schon davongeflogen ist. Ursächlich sind neben neurologischen und gerinnungshemmenden (hämorrhagische Einstichstelle) auch lokalanästhetisch wirkende Proteine.

Auch die Zecke saugt über den Stechrüssel Blut. Ist sie jedoch mit Borrelien infiziert, dann können sich diese gramnegativen Bakterien über die dermalen Lymphspalten zentrifugal ausbreiten. Das Borrelienreservoir der Zecke ist der Darm, die Übertragung erfolgt allerdings über den Speichel beim Saugakt. Die Zecke muss über einige Stunden saugen, damit Borrelien übertragen werden können. 

Entspricht eine kleine Rötung zumeist einer harmlosen Stichreaktion, so ist die „Wanderröte“ Ausdruck der Borrelieninfektion. Die unterschiedlich nachlesbaren Definitionen für die Wanderröte, aber einem Erythemdurchmesser von 3 bis 5 cm mögen hinweisend sein, können aber keine hundertprozentige Sicherheit geben. Der typische Befund ist die solitäre randbetonte Rötung mit zentraler Abblassung die dem Ganzen einen scheibenförmigen Aspekt verleiht, doch auch dies ist kein verlässliches Kriterium. Die Läsionen können auch ovalär, polyzyklisch oder streifig imponieren. Und ebenso kann es eben zu ausgeprägten bedrohlich dunkelrot entzündlich infiltrierten Befunden kommen. Seltener entstehen multilokuläre ECM-Herde (Erythema migrans saltans). Schließlich kann  die Borrelieninfektion der Haut auch inapparent verlaufen.

Sehr wichtig ist die zeitlich exakte Anamnese, denn das ECM folgt dem Stich der Zecke zeitversetzt nach 3 Tagen bis mehreren Wochen (IKZ 3 bis 30 Tage, median 7 bis 10 Tage), also viel später als eine einsetzende übliche Stichreaktion. In einigen Fällen können die Patienten sich an eine in der Haut steckende Zecke erinnern, was für alle anderen Arthropodenangriffe unüblich ist. 

Im vorliegenden Fall war nach entsprechend der später vorgelegten Bilddokumentation des Zeckenstiches  (Abb. 2) durch die Patientin, den zeitlichen Verlauf und auch durch die vollkommen unwirksame Antibiose mit Clindamycin die Diagnose eines heftig entzündlichen Erythema chronicum migrans zu stellen. Dies konnte schließlich auch in der Borrelienserologie verifiziert werden, obgleich die erste Blutentnahme noch am Rande des diagnostischen Fensters lag und erst nachfolgend eindeutigere Ergebnisse ergab (Tab. 1).

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Abb. 2 Zecke bei der Saugmahlzeit am Unterschenkel. Die entzündliche Rötung der Umgebung entspricht der zunächst allgemeinen Stichreaktion (Foto erstellt von der Patientin wenige Tage vor Beginn des Erythema chronicum migrans).

Grundsätzlich ist die Serologie eine die klinische Verdachtsdiagnose unterstützende Diagnostik. Es gibt keinen optimalen Einzeltest für den Antikörpernachweis. Deswegen wird in der Serodiagnostik nach dem Prinzip der Stufendiagnostik verfahren: Für die 1. Stufe sind der ELISA oder vergleichbare Methoden empfohlen. Bei positiven oder grenzwertigem Befunden von Stufe 1 wird in Stufe 2 der Immunoblot als Bestätigungstest durchgeführt. Dieser unterliegt besonderen Qualitätsanforderungen (Quelle: RKI Ratgeber). Falls der Test der 1. Stufe positiv oder grenzwertig ist, erfolgt der Test der 2. Stufe (Immunoblot). Beim Immunoblot als Bestätigungstest sind besondere Anforderungen an die Qualität zu stellen. Das Erythema chronicum migrans stellt wie auch das Borrelienlymphozytom das frühlokalisierte Stadium der Borreliose dar. Tab. 2 gibt eine Übersicht über weitere Borreliosestadien. 

Tab. 2 Übersicht über die  Manifestationen der Borreliose in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium. Sind die Frühstadien innerhalb Tagen bzw. Wochen sichtbar, so manifestieren sich die Spätstadien erst nach Jahren (Quelle: Ratgeber RKI)

Stadium

Haut­mani­festation

neuro­lo­gische Mani­festation

andere Mani­festa­tion

früh loka­li­siert

Ery­thema migrans;

Borre­lien-Lympho­zytom

früh dis­semi­niert

multiple Erythemata migrantia;

multiple Borrelien-Lympho­zytom

frühe Neuro­borre­liose

(lympho­zytäre Meningi­tis, Meningo­radi­kulitis, Hirn­nerven­paresen)

Lyme-Karditis; frühe (flüch­tige) Lyme-Arthri­tis; sehr selten Augen­be­tei­ligung

spät

Acro­der­matitis chronica athro­phicans (ACA)

späte Neuro­borre­liose (Enze­phalo­myelitis; zerebrale Vas­kulitis, peri­phere Neuro­pathie asso­ziiert mit ACA)

chronische Lyme-Arthritis (Mon-Oligo­arthritis)

Die Therapie der ersten Wahl ist nach wie vor Doxycyclin p.o. mit 200mg/d über 14 bis 21 Tage. Therapiealternativen sind Amoxicillin oder Cerfuroximaxetil. Intravenöse Alternativen sind Ceftriaxon, Cefuroxim oder Penicillin G, die allerdings eher bei fortgeschrittenen Borreliosestadien eingesetzt werden. In Deutschland besteht keine bundesweite krankheits- oder erregerspezifische Meldepflicht gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Die im vorliegenden Fall nun eingeleitete Standardtherapie mit Doxycyclin 200mg p.o. wurde von der Patientin schon nach 4 Tagen wegen gastrointestinaler Unverträglichkeit abgesetzt. Die Behandlung wurde auf Wunsch der Patientin 10 Tage zur Erholung und wegen eines weiteren geplanten Urlaubes zunächst ausgesetzt. Etwa in Woche 4 nach Beginn der HE wurde dann – bei weiterhin unverändert bestehendem Hautbefund – auf eine alternative Antibiose mit Cerfuroxim 500 1-1-/ d p.o. über 2 Wochen gewechselt. Darunter kam es schon nach einer Woche zur deutlichen Abblassung des entzündlichen Hautbefundes und nach 3 Wochen Wochen zur nahezu vollständigen Abheilung (Abb. 3).  

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Abb. 3 Hautbefund nach 2-wöchiger Antibiose mit Doxycyclin 200mg/d p.o. (a,b). Die vormals deutliche  Infiltration ist abgeklungen, noch ist eine postinflammatorische Hyperpigmentierung sichtbar (c). 

Das Erythema chronicum migrans fordert immer eine differenzialdiagnostische Abschätzung. Wie oben schon erwähnt, tritt eine Insektenstichreaktion ohne freies Intervall auf (Abb. 4).

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Abb. 4 32j. Patientin nach einem Wespenstich in den Oberschenkel (a). Das Erythem ist urtikariell, d.h. beetartig erhaben, außerdem ist es unmittelbare Folge des Hymenopterenstiches (b).

Die Tinea corporis zeigt erythrosquamöse Plaques mit randständiger Schuppung und zentraler Atrophie sowie oft Abschnürung von Satellitenläsionen (Abb. 5). 

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Abb. 5 19j. Berufsschüler mit einer Tinea corporis durch Trichophyton benhamiae („Meerschweinchenpilz“). Charakeristisch ist die Schuppung aufgrund der epidermalen Beteiligung und die Ringmorphe.

Das Erysipel („Wundrose") zeigt zungenförmige Ausläufer und es sind oft Bagatellvertletzungen eruierbar. 

Die fixe Arzneimittelreaktion zeigt zumeist mehrere lividrote Herde und es ist ein anamnestiuscher Bezug gegeben. Schließlich äußert sich das Granuloma anulare mit ringförmig aufgeworfenen  subkutanen Läsionen Bei Kindern kann das  Erythema infectiosum an multiple Läsionen mit Beteiligung des Gesichts erkannt werden, im Labor kann eine Parvovirus-B19-Infektion nachgewiesen werden.

Das Granuloma anulare ist eine selbstlimitierende, asymptomatische, nekrobiotische, granulomatöse Entzündung der Haut mit hautfarbenen on Pappeln oder Plaques mit oftmals anulären Umrissformationen. Sie ist oftmals mit Diabetes mellitus assoziiert (Abb. 6).

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Abb. 6 Granuloma anulare bei einer 51j. Patientin mit Diabetes mellitus Typ1.

Ob die Borreliose in Deutschland auch durch Stechmücken übertragen werden kann, war lange Gegenstand kontroverser Diskussion. Tatsächlich gab es Einzelfälle von durch Mückenstiche übertragener Wanderröte. Entsprechend Untersuchungen am Klima Forschungszentrum der Goethe Universität Frankfurt an 3.600 Mücken aus 42 deutschen Standorten wurden inzwischen Borreliengene im Speichel der Insekten nachgewiesen. Mit aufwendigen molekularbiologischen Methoden wurden die Gene der wichtigsten pathogenen Borrelien-Arten in Deutschland, Borrelia afzelii, Borrelia bavariensis und Borrelia garnis, identifiziert. Dennoch ist das reale Risiko extrem gering, wohl auch weil die Verweildauer der Stechmücken beim Saugakt eher kurz ist. Und auch nach einem Zeckenstich infizieren sich nur 1,5% bis 6% der Betroffenen, da das menschliche Immunsystem den Erreger zumeist effektiv abwehren kann. (Quelle: Einheimische Mücken können Borreliose übertragen, Spiegel-Gesundheit 24.03.2016).

Die Riskoabschätzung nach Endemiegebiet hat für Deutschland an Bedeutung verloren, da sich generell eine zunehmende Durchsuchung der Zecken mit FSME und Borrelien im ganzen Land voranschreitet. Auch in Mecklenburg-Vorpommern bis an die bewaldeten Ostseeküsten und Dünen haben sich die infizierten Zecken ausgebreitet. Ursächlich sind vermutlich die regennassen Sommer und die warmen Winter.

Fazit

Die "Wanderröte" ist das an sich charakteristische Frühstadium der im Regelfalle durch Zecken übertragenen Lyme-Borreliose. Dabei entwickelt sie sich zentrifugal-scheibenförmig um das Epizentrum des Zeckenstichs aus. Eine verlässliche Diagnose erfordert aufgrund des sehr variablen Aspektes sowohl die blickdiagnostische Einschätzung als auch die Borrleienserologie unter Beachtung des diagnostischen Fensters. Wichtige Differenzialdiagnosen sind u. a. das Erysipel, die Tinea corporis, Insektenstichreaktionen und das Erythema granulare. Infizierte Zecken sind mittlerweile in den Wald und Wiesengebieten von ganz Deutschland anzutreffen. Um einen chronisch-stadienhaften Verlauf mit teils irreversiblen kutanen, rheumatisch-kardinalen und -arthritischen sowie neurologischen Symptomen rechtzeitige systemische antibiotische Therapie mit aerologischer Therapieerfolgskontrolle wichtig. 

 

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