Was steckt hinter der rezidivierenden "Gürtelrose"?

Ein 38-Jähriger wird aufgrund immer wieder neu auftretender entzündlicher Pusteln im Gesäßbereich vorstellig. Beim letzten Schub wurde ihm eine Gürtelrose diagnostiziert, doch stimmt diese Diagnose wirklich?

Wiederkehrend auftretende Gürtelrose – oder doch nicht? 

Anamnese: 

Beim letzten Schub sei ihm eine wiederkehrend auftretende Gürtelrose diagnostiziert worden und er wäre dementsprechend mit einem Virustatikum (Aciclovir) behandelt worden. Der jetzige Schub wäre heftiger als sonst. Auf Nachfragen lebe er in einer festen Beziehung, in der Jugend allerdings hätte er recht oft wechselnde Partnerinnen gehabt. Und ja, es sei ihm eine stark schmerzhafte genitale Entzündung erinnerlich, derentwegen er sogar in der Rettungsstelle vorstellig geworden war und die dann mit Schmerzmitteln und Antibiotika behandelt worden wäre. Die fortwährenden Entzündungen seien vor allem auf den langen Zugfahrten sehr hinderlich.  

Hautbefund: 

Am linken Gesäß findet sich etwa mittig eine umschriebene pustulöse Läsion. Daneben sind einzelne postentzündliche Residuen erkennbar. Die Region erscheint zudem flächig gerötet. Das übrige Integument und auch der Genitalbereich sind unauffällig (Abbildung 1). 

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Abb. 1: Gluteal links ca. 6 cm durchmessend umschrieben gruppiert und dicht stehend bis 2 mm große Pusteln auf weitläufig entzündlich gerötetem Grund. Das zungenförmig auslaufende Erythem erreicht im Maximum 20 cm Durchmesser. Daneben solitäre düsterrot-bräunliche krustige Infiltrate, scheinbar in Abheilung befindliche Läsionen.

Labor (SI-Einheiten): CRP 25, Leuko 9, ALAT 0,87, GGT 1,50, Übriges Routinelabor einschließlich der Nierenwerte unauffällig. HIV1 und 2 negativ.

Bakteriologie: Im Pustelabstrich auf Erreger und Resistenz kein bakterieller Keimnachweis.

Virologie: Methode: HSV simplex Typ1/2 DNA (LCPCR). Im Pustelabstrich HSV-2 positiv (++), HSV-1 negativ 

Mykologie: Im Pustelabstrich gering Candida tropicalis (+). 

Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? 


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Therapie und Verlauf:

Die derart scharf abgegrenzten und dicht gruppiert stehenden Pusteln erlauben die Blickdiagnose eines Herpes progenitalis. Die Anamnese und die residualen Läsionen weisen auf die recht häufigen Rezidive hin. Die flächige Rötung allerdings spricht für eine sekundäre bakterielle Superinfektion im Sinne eines glutealen Erysipels. Diese wiederum war Folge der mechanischen Irritation durch das beruflich bedingte stundenlang erforderliche Sitzen und der Kratzmanipulation wegen des Juckreizes. Eintrittspforte war dann der herpesbedingte Barrieredefekt. Die vorherrschend virale Infektion führt zu einer Depletion des weißen Blutbildes, was die für ein Erysipel zu erwartende und hier fehlende Linksverschiebung des Blutbildes erklärt. Schließlich konnte auch die Mikrobiologie die HSV Infektion nachweisen. Der Candida Nachweis entsprach unspezifischer Kolonisation. Bei einem Erysipel war kein konkreter Erregernachweis aus dem Abstrich zu erwarten.

Herpes progenitalis: Erstinfektion heftig und schmerzhaft

Der Herpes progenitalis entspricht der Zweitmanifestation des Herpes genitalis, dessen genitale Primoinfektion in der überwiegenden Mehrheit aller Fälle inapparent verläuft. Während die orofaziale Infektion ("Lippenherpes") meist Folge einer Primoinfektion im Kindesalter ist (weltweit nahezu vollständige Durchseuchung), tritt die Erstinfektion des Genitalherpes zumeist erst nach der Pubertät auf und erreichen im Erwachsenenalter eine Durchseuchung von etwa 20-25%. Der Genitalherpes zählt zu den "sexually transmitted diseases" (STD). Obwohl HSV-2 der führende Erreger bei Genitalherpes ist, so kann auch HSV-1 ursächlich sein. Die gern in dermatologischen Vorlesungen angeführte „Gürtelregel“ (HSV-1 oberhalb, HSV-2 unterhalb des Gürtels) ist also nicht mehr verlässlich. 

Die genitale Erstinfektion charakterisiert sich durch heftige und schmerzhafte, u. U. zur Ulzeration neigende Bläschen im Genitalbereich. Dies betrifft in erster Linie die weibliche Genitalschleimhaut in Form der Vulvovaginitis herpetica (Abbildung 2) aber auch (jedoch seltener und milder) die Eichel und Vorhaut des Mannes als Balanoposthitis herpetica. Zumeist besteht ein heftiges Krankheitsgefühl mit Kopfschmerzen, Fieber und Lymphknotenschwellungen.

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Abb. 2: Genitale Erstinfektion mit HSV-2 bei einer 43-jährigen Patientin (a). Ausgeprägte oberflächliche Schleimhautulzeration sowohl der Labia majora als auch der Labia minora (b,c). Balanoposthitis herpetica bei einem weiteren Patienten (d).

Sowohl beim orofazialen als auch beim genitalen Herpes erfolgt die Übertragung der HSV über den direkten Schleimhautkontakt (Speichel, Sexualkontakt). Herpes-simplex-Viren persistieren dabei nach der Erstinfektion lebenslang in den regionalen Nervenganglien.  Aus diesem Latenzstadium können die HSV entlang der sensiblen Nerven der Haut reaktiviert werden. Triggerfaktoren für eine Reaktivierung sind körperliche Anstrengung, Traumen, Stress und Menstruation. 

Die Erstinfektion des orofazialen Herpes ist die in den meisten Fällen inapparent oder milde verlaufende Gingivostomatitis herpetica. Die Reaktivierung findet dann zumeist im oralen oder perioralen Gesichtsbereich statt. Bei genitalen Herpes sind sowohl der Genitalbereich (Herpes genitalis), aber sehr viel häufiger der Glutealbereich oder die untere Abdominalregion (Herpes progenitalis). Typisch sind dann eben die prodromalen Symptome vor Auftreten der reiskorngroßen gruppiert stehenden Bläschen, die sich rasch pustulös umwandeln und nach 1 bis 2 Wochen abheilen. Die subjektiven Symptome sind meistens milde, starke Schmerzhaftigkeit ist jedoch auch möglich. 

Die Rezidivhäufigkeit des Herpes genitalis durch HSV-2 ist fünfmal häufiger als durch HSV-1. Bei Männern treten häufiger Symptome auf. Es ist zu berücksichtigen, dass infizierte Patienten trotz fehlender Symptome Viren ausscheiden können. Mit Herpes genitalis recidivans befallene Frauen zeigen eine asymptomatische Virusausscheidung an bis zu 20% aller Tage, unabhängig von einem aktuellen Rezidiv.  

Diagnostisch ist der läsionale Trockenabstrich für PCR oder Immunfluoreszenz die Methode der Wahl. Die Antikörperserologie kann über der Nachweis HSV-spezifischer IgM oder IgG Antikörper über die Infektion Aufschluss geben (Abbildung 3). 

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Abb. 3: Läsionaler Abstrich bei Herpes progenitalis sowohl bei der Primoinfektion (a) als auch bei der Rezidivmanifestation (b). Positive Immunfluoreszenz bei HSV Infektion (c) . 

Gar nicht so selten – und auch im vorliegenden Fall – wird der Herpes progenitalis als rezidivierende Gürtelrose fehlinterpretiert. Diese aber wäre viel schmerzhafter, klarer im Dermatom manifestiert und sie rezidiviert bei Immunkompetenz allenfalls nach Jahren. Vielfach werden die gruppierten Pusteln auch als Impetigo contagiosa gedeutet und dann antibiotisch behandelt. Gerade die residualen Läsionen im vorliegenden Fall können auch an eine PVL-positive Pyodermie erinnern. Panton-Valentine-Leukozidin(PVL)-produzierende Staphylococcus-aureus(PVL-SA)-Stämme sind häufig mit rezidivierenden Abszessen bei sonst gesunden jungen Menschen assoziiert. Diese betreffen oft den Rumpf, das Gesäß und die proximalen Extremitäten. Das progrediente Hautinfektionen hervorrufende Exotoxin kann nicht im scheinbar sensiblen Antibiogramm erfasst werden, sondern erfordert eine explizit formulierte Laboranforderung und ebenso spezielle Antibiotika. 

Beim primären Genitalherpes ist die akute Vaginalcandidose die häufigste Fehldiagnose, allerdings stehen beim Genitalherpes Schmerz und Lymphknotenschwellung im Vordergrund. Natürlich müssen auch grampositive oder gramnegative Pyodermien abgegrenzt werden.

Im vorliegenden Fall wurde eine Therapie mit Valaciclovir 2x500mg über 5 Tage durchgeführt. Diese Behandlung soll bei jedem Schub mit Beginn der prodromalen Beschwerden wiederholt werden. Das Ziel ist die Verringerung der Frequenz der Rezidive, denn eine vollständige Erregereradikation ist nicht möglich. In den Tabellen 1 und 2 sind die aktuell empfohlenen Therapieregime für Primärinfektion bzw. für das Rezidiv des Herpes genitalis dargestellt. 

Parallel zur antiviralen Therapie erfolgte wegen des Verdachts auf ein sekundäres Erysipel eine Antibiose mit Flucloxacillin 3x 0,75g p.o. über 7 Tage. Unter der Therapie kamen sowohl das Erysipel als auch der Herpes progenitalis zur Abheilung.   

Fazit: Rezidivhäufigkeit des Herpes genitalis durch antivirale Therapie verringern

Der Herpes genitalis ist die Infektion zumeist mit HSV-2 im Bereich der Geschlechtsorgane und zählt zu den STD. Die Primoinfektion ist zumeist inapparent. Rezidive manifestieren sich oft als Herpes progenitalis, der vor allem vom Zoster und von Pyodermien abzugrenzen ist. Auch asymptomatisch Infizierte können kontagiös sein. Die antivirale Therapie kann die Rezidivhäufigkeit signifikant verringern. Durch die guten therapeutischen Erfolge gegen AIDS einschließlich der Post- und Präexpositionsprophylaxe und die daraus erwachsene zunehmende Sorglosigkeit ist ein allgemeiner Anstieg der STD zu beobachten. 

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