Elektronische Patientenakte: Hausärztin zwischen Skepsis und Hoffnung

Die Berliner Hausärztin Petra Sandow macht sich Gedanken, wie praktikabel die neue ePA im Praxisalltag sein wird. Ein kritischer Blick auf das Potenzial und die Stolpersteine eines vermeintlichen Meilensteins

Einführung der elektronischen Patientenakte: Chancen und Bedenken

Es gibt viele Diskussionen mit meinen Patienten über die elektronische Patientenakte. Sie haben viele Fragen und sind sehr kritisch. Viele wollen sich dagegen entscheiden und möchten, dass alles so weiterläuft wie bisher. Sie möchten nicht, dass ihre persönlichsten Daten in einer anonymen Cloud gespeichert sind. Die Diskussionen darüber kosten viel Zeit.

Viele freuen sich auch darauf, denn sie meinen, es wird jetzt alles einfacher. 

Ich bin sehr gespannt auf die Erfahrungen der Modellpraxen, die das aktuell einführen. Ich denke, das hängt sehr davon ab, wo sich die jeweilige Praxis befindet, denn die ländliche Bevölkerung ist oft weniger heikel als die Stadtbevölkerung, was den Datenschutz angeht. In meiner Praxis begegne ich eher kritischen Einstellungen. Die Leute wissen, wie leicht es zu Datenlecks kommt. Das hat der Chaos Computer Club ja schon deutlich gezeigt. Es kommt häufig an verschiedensten Stellen, in Kliniken, in Praxen zum Zugriff auf die gesamte ePA. Natürlich können da Lecks entstehen oder Fehler passieren. 

Potentielle Zwei-Klassen-Teilnahme und Informationslücken

Wer meine Meinung wissen will, dem sage ich: Die ePA wäre eine gute Idee, wenn es konsequent und sicher laufen würde. Aber so ist es nicht. Es muss ja nicht jeder daran teilnehmen. Gerade diejenigen, denen Datenschutz besonders wichtig ist, lehnen das ab. Wir werden also zwei Klassen von Patienten haben, solche mit und solche ohne elektronische Patientenakte. Das macht es für uns nicht einfacher. Aber was ich viel problematischer finde, ist die Entscheidung der Patienten darüber, welche Dinge auf ihrer ePa gespeichert sein sollen. Wenn eine Patientin beispielsweise nicht möchte, dass die Hausärztin sieht, dass der Psychiater ihr etwas gegen Ängste verschrieben hat, dann fehlt diese Information. Und somit ist das Ganze vollkommen ad absurdum geführt. Es geht doch darum, dass jeder Behandler Zugriff auf die relevanten Informationen bekommt: welche Erkrankungen gibt es, welche Medikamente werden genommen? Wenn es aber unvollständige Informationen gibt, ergibt das Ganze keinen Sinn. Ich denke an meine HIV-Patienten. Heute ist das nicht mehr ganz so brisant, aber es gibt durchaus nicht-schwule Männer in guten Positionen, denen die Erkrankung peinlich ist. Die holen sich vielleicht irgendwo beim HIV-Arzt ihre Pillen ab, und das muss auch der nächste Arzt wissen. Diese Medikamente haben eine Menge Wechselwirkungen, zum Teil sind die wirklich brutal. Darum muss jeder Behandler wissen, dass sein Patient diese Medikamente nimmt. Ähnlich ist es mit psychischen Problemen. Nicht jeder möchte, wie gesagt, dass die Hausärztin weiß, dass er unter einer Depression oder einer Angststörung leidet. Auch die Wechselwirkungen der hier zutreffenden Medikamente sind erheblich.

Natürlich können Patienten auch jetzt, ohne ePA, diese Dinge aus falsch verstandener Scham verschweigen. Aber sobald die ePA vorliegt, muss ich mich als Hausärztin darauf verlassen können.

Meine Meinung ist: entweder, es sind alle medizinischen Informationen auf der ePA gespeichert oder die ePA ist wertlos. Es muss geklärt sein, dass ausschließlich Mediziner Zugriff haben. Und gern auch zeitlich begrenzt. Aber für eine vernünftige Behandlung müssen alle Informationen vorliegen

Herausforderungen bei Dateneingabe und Ressourcenmanagement

Das zweite Problem ist: Wer pflegt die Daten ein? Das kostet eine Menge Zeit. Wann sollen wir das denn machen? Es wäre nur möglich, wenn wir eine zusätzliche Vergütung bekommen, sodass wir dafür jemanden einstellen können - eine studentische Hilfskraft zum Beispiel, die in den ersten Monaten alles übernimmt, wenn die Patienten kommen. Von unseren knappen Ressourcen ist das nicht leistbar. Neue Befunde kann man natürlich in der Praxis einpflegen. Das ist kein großes Problem. Aber all die älteren Daten - das geht nicht nebenbei. Ich erinnere mich an die Umstellung der Praxis von analog auf digital, als man die Karteikarten durchforsten und entscheiden musste, welche Befunde wesentlich, welche überholt sind, was gescannt werden muss. Das war eine wochenlange Arbeit, die ein Student übernommen hat. Die ePA neu anzulegen, wird nicht einfacher sein. 

Bisher haben ja nur Menschen, die drei und mehr Medikamente brauchen, einen Medikationsplan bekommen. Und jetzt muss natürlich jedes einzelne Medikament eingepflegt werden - und zwar auch mit der jeweiligen Einnahmeanweisung.

Es gibt auch Dinge, die der Patient selbst einpflegen soll. Und wer kann das? Wie viele können das nicht? Ich denke zum Beispiel an die Impfbücher. Die Patienten gehen sehr unterschiedlich damit um. Wer trägt hier die Verantwortung, wenn das nicht klappt?

Ich bleibe dabei: Wenn wir von  jedem Patienten wissen, welche gesundheitlichen Probleme er hat, was gemacht worden ist, welche Röntgenbilder oder CTs vorliegen, welche Medikamente er einnimmt - das wäre super.

Fazit: Notwendigkeit einer strukturierten und sicheren Einführung

Mein Fazit: Der Grundgedanke ist gut. Die ePA wäre eine Chance. Aber so wie es jetzt gemacht werden soll, ist es völlig sinnlos. Es wird eine Menge Aufwand machen, die ePA anzulegen, ohne dass sie einen zusätzlichen Benefit bringt, da die Informationen genauso gefiltert und damit unvollständig sind, wie jetzt auch. Bevor das gut läuft, muss viel Aufklärung geleistet werden - denn viele werden schon deshalb widersprechen, weil sie nicht verpflichtet sein wollen. Und der Umgang mit den Daten muss vernünftig gesichert sein, der Inhalt muss strukturiert sein, die Finanzierung muss geklärt sein. Erst dann macht das ganze wirklich Sinn für alle.