- Tagesspiegel Fachforum Gesundheit: “Handeln gegen Antimikrobielle Resistenzen – Wann läuft die Zeit ab?”. 23.11.2023, Berlin
- https://amr-review.org/
- https://www.who.int/publications/i/item/9789240062702
Durch zunehmende antimikrobielle Resistenzen verlieren Antibiotika immer mehr an Wirksamkeit. Dadurch werden Infektionen schwerer zu bekämpfen sein, was im Zweifelsfall zu erhöhten Sterblichkeitsraten führt. Mit diesen harten Worten wurde das Tagesspiegel Fachforum Gesundheit zu antimikrobiellen Resistenzen eröffnet. Doch wie ernst ist die Lage wirklich?1
AMR gehen bis ins letzte Jahrhundert zurück: Selbst beim ersten Antibiotikum Penicillin, das 1941 erstmals bei einem Patienten angewendet wurde, entwickelten sich nach dem Masseneinsatz im Krieg im Jahr 1949 bereits Resistenzen. Seit diesem Zeitpunkt sind immer mehr Antibiotika auf den Markt gekommen und verschrieben worden, weswegen der O’Neill-Report vor 7 Jahren bereits warnte:2 Entwickeln sich die Resistenzen wie momentan, werden wieder mehr Menschen an den Folgen von AMR als an Krebs sterben. 2019 starben weltweit 5 Mio. Menschen, deren Tod mit AMR assoziiert wurde, 1,3 Mio. starben direkt an einer Resistenz.
Nicht vergessen werden darf, dass Antibiotika nicht nur im Gesundheitssystem Anwendung finden, sondern ein enormer Teil in der Landwirtschaft verabreicht wird. Massentierhaltung als gängiges System der Fleischproduktion führt weiterhin dazu, dass die Zahl der Antibiotikaresistenzen kontinuierlich steigt. Was insbesondere bedenklich ist: Auch Tieren werden Antibiotika, auf die wir Menschen angewiesen sind, verabreicht, was die Risiken ausbreitender Resistenzen zusätzlich erhöht.
Hinsichtlich der marktwirtschaftlichen globalen Situation werden gerade die meisten Antibiotika in Indien und China produziert. Dies ist insofern bedenklich, als dass dort bei der Herstellung Antibiotika in die Umwelt und ins Grundwasser freigesetzt werden, eine Abwasserklärung ist in den meisten Fällen nicht möglich. Was uns eigentlich also gesünder machen sollte, führt dort zu mehr Resistenzen. Die WHO sprach deshalb 2022 von einer "stummen Pandemie der antimikrobiellen Resistenzen".3
Doch welche Alternativen zur Antibiotikabehandlung gibt es? Zunächst, so Prof. Irit Nachtigall, Helios Gesundheit, gilt es, alte Dogmen aufzubrechen. Während die WHO 2015 noch empfahl, die ganze Packung Antibiotika bis zum Schluss zu verbrauchen, um Ressourcen zu verbrauchen, lautet die Empfehlung heute: Antibiotika kürzer und weniger. Das muss bei Ärztinnen und Ärzten (Hausärzte bspw. verschreiben 46% der Antibiotika) und der Bevölkerung ankommen, denn ansonsten treten immer mehr Resistenzen bei jedem neu zugelassenen Antibiotikum auf. Auch das Impfen hilft gegen Resistenzen. Denn: z.B. bei der Influenza kann eine bakterielle Super-Infektion auftreten, deren Risiko nach einer Impfung deutlich geringer ist.
Eine weitere Alternative stellt die Phagentherapie dar. Bisher sind die Forschungsergebnisse für lokale Infektionen (wie Wunden) äußerst vielversprechend, hält Prof. Dennis Nurjadi, Universität zu Lübeck, fest. Allerdings braucht es noch weitere Studien und Entwicklungen hinsichtlich generalisierter systemischer Infektionen. Auch hier lautet das Stichwort personalisierte Therapie, da es nicht den einen Phagen gegen alle Infektionen gibt, sondern immer eine Mischung aus Phagen, je nach Bakterium. Daher ist noch viel Forschung notwendig. Außerdem wird gerade untersucht, wie man das Mikrobiom so modellieren kann, dass es resilienter wird – auch gegen resistente Erreger.
Um AMR zu reduzieren, muss sowohl innerhalb der Ärzteschaft als auch unter Patientinnen und Patienten mehr Bewusstsein für die Risiken von Antibiotika geschaffen werden. Zwar hat die Anzahl der Verordnungen in Deutschland in den letzten 20 Jahren von 49 Millionen (2000) bereits auf 34 Millionen (2019) abgenommen, jedoch ist "noch Luft nach oben", beteuert Nachtigall. Außerdem gilt dieser Rückwärtstrend nicht global. Der Klimawandel spielt auch eine zentrale Rolle bei AMR, denn: erhöhte Temperaturen und mehr Luftfeuchtigkeit befeuern die Ausbreitung resistenter Bakterien. Ruppert Stüwe, MdB, hält fest: “Wir müssen natürlich darüber reden, wie wir uns in Zukunft ernähren.” Der globale Fleischkonsum müsse aber nach unten gehen.
Der One Health-Ansatz impliziert, dass die Gesundheit von Mensch und Tier nicht getrennt gedacht werden kann. Das Ziel ist dabei ein gesundes Ökosystem für Menschen und Tiere. Dies kann jedoch nur aus einer Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft und Politik geschehen – immer mit dem Gedanken des Klimawandels im Hinterkopf. Zusätzlich brauche es "good manufacturing practice standards", so Stüwe. In Deutschland beispielsweise versucht die DART 2030 (Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie) gegen die steigenden Resistenzen vorzugehen. Jedoch muss das Problem auf globaler Ebene gedacht werden, denn: Bakterien kennen keine Ländergrenzen.