Sanierungsplan für die Notfallversorgung
Die Regierungskommission für die Krankenhausreform hat ihre Empfehlungen für eine grundlegende Reorganisation der Rettungsdienste vorgelegt. Das sind die wichtigsten Punkte.
Notfallversorgung: Mängel überwinden, Lücken schließen
Fünf Jahre nachdem der Gesundheits-Sachverständigenrat sein Gutachten für eine umfassende Reform der Notfallversorgung vorgestellt hat, hat am 07.09. die Regierungskommission für die Krankenhausreform ihre Empfehlungen für eine grundlegende Reorganisation der Rettungsdienste, ihres Managements und ihrer Finanzierung vorgelegt. Die Reformnotwendigkeit begründete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit gravierenden, sich auf die Lebenserwartung von Patienten auswirkender qualitativer Heterogenität sowie gravierenden ökonomischen Fehlanreizen, die zu unnötiger Hospitalisierung führe.
Die Befunderhebung durch die Kommission listet die Mängel auf:
- Starke Heterogenität: Träger der Rettungsdienste sind Landkreise und kreisfreie Städte; 300 eigenständige Rettungsdienste werden von rund 240 Leitstellen mit 13 unterschiedlichen Organisationsformen gesteuert. Es existieren Unterschiede in Größe, technischer und personeller Ausstattung, Digtalisierung und Prozessabläufen, somit auch der Qualität.
- Steigender Ressourcenbedarf: Trotz eines Anstiegs der Zahl der Mitarbeiter um 71 Prozent auf 85.000 zwischen 2011 und 2021 – zum Vergleich: im gesamten Gesundheitswesen plus 21 Prozent – wird über Personalmangel aufgrund steigender Rettungseinsätze geklagt. Im gleichen Zeitraum stiegen die Kosten für die GKV (Fahrtkosten) um 41 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro.
- Fehlsteuerung durch Vergütung: Weil Krankenkassen nach geltenden Leistungsrecht nur für Fahrten zum Krankenhaus zahlen, nicht jedoch für ärztlichen oder pflegerischen Einsatz am Notfallort, werden Patienten unnötig hospitalisiert. Die Vergütung beinhaltet Fehlanreize, die medizinisch nicht erforderliche Einsätze, auch mit „großem Besteck“, auslösen.
- Fehlende Gesundheitskompetenz: Mangels Trainings herrscht in der Bevölkerung weitgehend Unkenntnis über die Möglichkeiten der Ersthilfe.
Zeitbedarf für Reform: fünf bis zehn Jahre
Diese Schwächen soll die nun anstehende Reform adressieren. Den Zeitbedarf für die Umsetzung schätzt Kommissionsmitglied Professor Rajan Somasundaram, Chef der Notfallmedizin am Campus Benjamin Franklin der Charité, auf fünf bis zehn Jahre. Die Reformelemente:
- Notfallbehandlung als Kassenleistung: Im SGB V wird ein eigenes Leistungssegment Notfallbehandlung kodifiziert, mit dem der Leistungsanspruch von Versicherten konkretisiert wird. Er umfasst künftig die Leistung der Leitstelle, das Notfall-Management, die Notfallversorgung vor Ort durch Notfallsanitäter, neu zu schaffende akademische Berufe und Notärzte, systematisch unterstützt von telemedizinisch en Instrumenten. Die Notfallversorgung umfasst auch pflegerische Maßnahmen einschließlich Palliativmedizin und -pflege sowie psychiatrisch-psychische Krisenintervention. Getrennt davon wird die Transportleistung vergütet, und zwar auch dann, wenn der Transport zum Hausarzt oder zu einem anderen niedergelassenen Arzt oder MVZ führt.
- Qualität und Transparenz: Im SGB V soll ein Vertragsmodell für die Beziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen etabliert werden. Ferner sollen Merkmale für Prozess- und Strukturqualität, insbesondere für die Mindestpersonalausstattung und die erforderlichen Qualifikationen definiert werden.
- Prozessoptimierung: Für die Patientensteuerung und Prozessoptimierung soll ein zentrales Echtzeit-Register für die Abfrage verfügbarer und geeigneter Ressourcen verwendet werden. Vorbild dafür könnte IVENA (interdisziplinärer Versorgungsnachweis) sein. Das Register sollte mit dem DIVI-Intensivregister verknüpft sein. Durch einheitliche automatisierte und kontinuierliche Datenerfassung aus Präklinik und Klinik soll mit Hilfe KI-gestützter Algorithmen eine prospektive Bedarfsermittlung möglich sein.
- Konzentration: Die Zahl der Rettungsleitstellen soll von derzeit rund 240 auf 80 Millionen – etwa eine je eine Million Einwohner reduziert werden. Diese Leitstellen sollen 24/7 telenotärztlich besetzt sein. Die Planung dafür sollte landkreisübergreifend erfolgen.
- Neue Berufe: Neue berufliche Qualifikationen sollen Engpässe bei Notärzten überwinden helfen: Einerseits soll dies mit der Erweiterung von Befugnissen qualifizierter Notfallsanitäter gelingen, darüber hinaus sollen neue Berufsbilder wie die des advcanced paramedic practitioner auf Basis von Bachelor- und Masterstudiengängen entstehen. Diese Berufe sollen Heilkundebefugnisse bekommen und Leistungen von Notfallärzten substituieren. Mediziner sollen ihre Fähigkeiten perspektivisch und auf präklinisch komplexe Fälle konzentrieren können.
- Erste Hilfe und Reanimation: Die Gesundheitskompetenz der Bürger soll effektiv mit Blick auf die Notfallversorgung gestärkt werden: durch verpflichtende Ausbildung zur Ersten Hilfe, insbesondere zum Thema Reanimation in Grund- und weiterführenden Schulen sowie am Arbeitsplatz. Dafür sollen die Kultusminister der Länder eingebunden werden. Ferner sollen flächendeckend Defibrillatoren aufgestellt werden.
Finanziert werden sollen die Leistungen der Leitstellen, die Notfallversorgung vor Ort sowie die notwendigen Transporte von den Krankenkassen, die dazu bundeseinheitliche Entgelte vereinbaren. Die Vergütung sollte sich aus Vorhaltepauschalen sowie leistungsabhängigen Bestandteilen zusammensetzen. Für Investitionen sollen im Rahmen ihrer Zuständigkeit für Gefahrenabwehr die Länder verantwortlich bleiben – perspektiv geprüft werden sollte aber auch eine monistische Finanzierung allein durch die Krankenkassen.