Entsprechend einem Auftrag des Koalitionsvertrags hatte die Bundesregierung Anfang 2023 einer Kommission von 18 Wissenschaftlern aus den Bereichen Recht, Ethik, Medizin und Sozialwissenschaften den Auftrag erteilt, ein Gutachten zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin zu erarbeiten. Am Montag wurde das Gutachten, das einstimmige Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Rechtsrahmens für den Schwangerschaftsabbruch, die Eizellspende und die altruistische Leihmutterschaft enthält, an die Minister Karl Lauterbach (Gesundheit) und Marco Buschmann (Justiz) sowie die Ministerin Lisa Paus (Frauen) übergeben.
Angesichts weitreichender Vorschläge für eine weitreichende Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs – im Strafrecht geregelt werden sollte danach nur noch eine Abtreibung ab dem Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Fötus ex utero – liegt die Entscheidung über die weitere Debatte über eine Reform in der Hand des Bundestages. Entsprechend zurückhaltend äußerten sich die Minister in Bezug auf die Konsequenzen und insbesondere auf das Entscheidungsprocedere. Denkbar ist, wie bei Entscheidungen in Gewissensfragen üblich, dass alternative Entwürfe aus der Mitte des Parlaments fraktionsübergreifend eingebracht werden. Das Gutachten sehen die Minister als eine gute Grundlage für eine sachorientierte Debatte. Eine Spaltung von Politik und Gesellschaft wie in den USA oder Polen müsse unbedingt vermieden werden.
Ungeachtet einer weitgehenden Änderung von Paragraf 2018 sieht Lauterbach dringenden Handlungsbedarf hinsichtlich eines ausreichenden Leistungsangebots für Schwangerschaftsabbrüche durch niedergelassene Ärzte oder Krankenhäuser, insbesondere in Süddeutschland. Ferner müssten Ärzte in ihrer Aus- und Weiterbildung intensiver Kompetenzen zum Thema Schwangerschaftsabbruch erwerben.
Nach Einschätzung der Kommission sind die geltenden Regelungen des Strafrechts zum Schwangerschaftsabbruch sowie zum Verbot der Leihmutterschaft und der Eizellspende, das 1990 vom Bundestag beschlossen wurde, nicht mehr zeitgemäß. Dies entspreche nicht mehr der aktuellen internationalen Rechtsentwicklung und Rechtsprechung zu Menschenrechten, insbesondere zum Selbstbestimmungsrecht von Frauen.
Die maßgeblichen Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1977 und 1993, die zum Paragrafen 2018 in seiner heutigen Fassung geführt haben, seien aus aktueller Sicht wenig konsistent. So werte das geltende Strafrecht den Schwangerschaftsabbruch generell als rechtswidrig, postuliere aber zugleich eine staatliche Verpflichtung, flächendeckend ein medizinisches Angebot zur Sicherstellung der Versorgung zu schaffen.
De facto wirke die generelle Rechtswidrigkeit stigmatisierend – sowohl für die betroffenen Frauen als auch für Ärzte, die Abbrüche durchführen. De facto gebe es zwar nur jährlich eine einstellige Zahl von Strafverfolgungsverfahren gegen Frauen, durchaus relevant sei aber die Zahl der Verfahren gegen Ärzte – mit der Wirkung, dass dies abschreckend wirke, die Leistung in einer Praxis oder Klinik anzubieten.
Die Expertenkommission empfiehlt für den Schwangerschaftsabbruch einen neuen, gestuften Rechtsrahmen:
Die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs müsse konsequent und folgerichtig auch in anderen Bereichen der Rechtsordnung umgesetzt werden, insbesondere im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Gesetzgeber könne sich für eine Beratungspflicht entscheiden. Das Beratungsangebot müsse ohne Verzögerung, niedrigschwellig und vielsprachig zur Verfügung stehen und ergebnisoffen sein. Erwägenswert sei, Ärzte zu verpflichten, betroffene Frauen darüber zu informieren.
Sanktionen im Falle eines nicht rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs könne der Gesetzgeber einerseits im Strafgesetzbuch vorsehen, andererseits auch in anderen Rechtsgebieten, insbesondere in berufsrechtlichen Regelungen. Erforderlich hingegen sei eine Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs dann, wenn dieser gegen den Willen der Schwangeren, durch nicht qualifiziertes Personal oder durch vorsätzliche oder fahrlässige Schädigung des Ungeborenen erfolgt.
Auch das geltende Verbot der Eizellspende halten die Gutachter für nicht mehr zeitgemäß. Angesichts empirisch wissenschaftlicher Untersuchungen habe sich die Einschätzung zu Risiken und Gefährdungen des Kindeswohls – dies war in der Debatte um neue Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin Ende der 1980er Jahre der ausschlaggebende Aspekt – wesentlich verändert. Die damals befürchteten Risiken seien zu hoch bewertet worden. Auf einer gesetzlichen Grundlage, die primär die Schutzbedürftigkeit der Frau und das Kindeswohl adressiert, sei eine Legalisierung sowohl der nicht rein fremdnützigen als auch der rein fremdnützigen Eizellspende verfassungsrechtlich möglich. Im Fall der fremdnützigen Spende müsse das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner biologischen Abstimmung gesichert sein. Mögliche Gesundheitsrisiken müssten versichert sein, ferner müsse die Frau eine angemessene Aufwandsentschädigung erhalten.
Auch eine Leihmutterschaft könnte der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen legalisieren: Wenn zwischen Leihmutter und Wunscheltern ein langes freundschaftliches Verhältnis oder eine Verwandtschaft bestehe oder wenn zwischen Leihmutter und Eltern vereinbart werde, dass durch die Leihmutterschaft eine Beziehung zwischen der Leihmutter und den Wunscheltern über die Geburt des Kindes hinausreicht. Es brauche ferner einen Rechtsrahmen für qualifizierte Zentren, für die Möglichkeit, dass sich eine Leihmutter kurz nach der Geburt entgegen der getroffenen Vereinbarung dazu entscheide, das Kind selbst für sich zu behalten, das Recht der Leihmutter, Auskunft über das Wohlergehen des Kinder zu erhalten und eine angemessene Aufwandsentschädigung.