Kinder und Jugendliche erhalten Informationen in Bezug auf sexuelle Bildung aus diversen Quellen. So kann sexuelle Bildung von Schulen, den Eltern, gynäkologischen Praxen und Personen in sozialen Medien vermittelt werden. Allgemein gilt: ein großes Gespräch reicht nicht, so Prof. Dr. Mandy Mangler, Chefärztin der Gynäkologie am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und dem Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. Vielmehr müssten Kinder und Jugendliche kontinuierlich zu dem Thema abgeholt werden – mit altersgerechten Begrifflichkeiten und Erklärungen. Denn: Je früher man beginnt, sexuelle Bildung kindgerecht zu besprechen, desto besser aufgeklärt sind junge Menschen im späteren Verlauf ihres Lebens und wissen mehr, beispielsweise über sexuell übertragbare Infektionen. Dazu zählt auch, Sexualorgane konkret und medizinisch korrekt zu benennen. Jedoch sind hier auch die Schulen in die Verantwortung zu ziehen: "In vielen Biologiebüchern werden veraltete, problematische Begriffe für die weiblichen Sexualorgane verwendet. Außerdem werden häufig Penis und Vagina als Äquivalent dargestellt, das ist aber faktisch falsch. Histologisch bilden Penis und Klitoris nämlich ein Paar", so Mangler und bezieht sich damit auf Penis- und Klitorisschwellkörper als Analoga.
Wie sollen also Lehrkräfte an Schulen mit dem Thema sexuelle Bildung umgehen, wenn die Lehrbücher teilweise veraltet sind? Denn der Grad der Aufklärung hängt nicht nur vom Wissen der aufklärenden Personen ab, sondern auch von deren Kommunikationsfähigkeit, den eigenen Erfahrungen und der Zeit, hält Dr. Heike Kramer, Ärztin und Vorsitzende der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung, fest. Demnach ist eine Anpassung der Lehrer-Grundausbildung essentiell, in der die angehenden Lehrerinnen und Lehrer damit vertraut gemacht werden, wie sie Inhalte zur sexuellen Bildung optimal vermitteln können.
TikTok, Instagram und Co. spielen im Alltag von Kindern und Jugendlichen eine prägnante Rolle, und damit auch im Bereich der sexuellen Bildung. Jedoch können sich gerade in sozialen Netzwerken Fehlinformationen besonders schnell verbreiten. Auch gehen ¼ der Pornografie-konsumierenden Jungen davon aus, dass es sich dabei um eine verlässliche Informationsquelle in Bezug auf Sex und Sexualität handelt. Des Weiteren kann im Internet durch die oft realitätsferne Darstellung von Körpern die eigene Körperunsicherheit, die während der Pubertät zwangsläufig auftritt, verstärkt werden.
Auf der anderen Seite jedoch bietet das Internet auch große Chancen, was die Vermittlung sexueller Bildung angeht. So können Influencer, YouTuber und weitere Akteure den Kindern und Jugendlichen in sozialen Netzwerken auf Augenhöhe begegnen und ihnen wichtige Themen in Kontexten, in denen sich junge Menschen ohnehin tagtäglich bewegen, nahebringen.
Was den Expertinnen und Experten auffällt: Gerade im Bereich Notfallverhütung mit der Pille danach herrscht noch Aufklärungsbedarf. Eine aktuelle YouGov-Umfrage zeigte, dass nur 29% der Befragten die Pille danach als Methode zur Verhinderung einer ungeplanten Schwangerschaft nennen können, wenn nicht verhütet wurde oder die Verhütungsmethode versagt hat. Außerdem fühlt sich fast jeder Zweite schlecht bis sehr schlecht über den Wirkungsmechanismus der Pille danach informiert. Demnach nimmt knapp die Hälfte der Teilnehmenden an, dass die Pille danach eine Abstoßung der befruchteten Eizelle bewirkt. Die Pille danach muss also mehr ins Bewusstsein der Jugendlichen gerückt werden, damit ungewollte Schwangerschaften verhindert werden können.
Eines steht nach der Tagesspiegel-Veranstaltung fest: Aufklärung und sexuelle Bildung sind zeitlose, aber komplexe Themen – sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für die aufklärenden Akteure.
Natürlich spielen dabei auch Ärztinnen und Ärzte eine Rolle, seien es Pädiater oder gynäkologische Praxen. Nezahat Baradari, Kinder- und Jugendärztin, MdB und Mitglied des Gesundheitsausschusses, hält fest, dass Aufklärung im Zuge der Jugenduntersuchung J1 einen großen Teil einnehmen sollte. Im Praxisalltag sei das aber aufgrund der Arbeitslast nicht möglich. Daher ist es auch von Vorteil, dass junge Menschen ihr Wissen aus so vielen unterschiedlichen Quellen beziehen. Nichtsdestotrotz müsse aber die Politik mehr Geld in sexuelle Bildung investieren, um Prävention und Aufklärung zu stärken und es Ärztinnen und Ärzten durch entsprechende Vergütung im EBM-System ermöglichen, mehr Aufklärungsarbeit leisten zu können.
Kramer betont abschließend:
"Oft haben die Schülerinnen und Schüler viele Infos, das sind aber alles Puzzleteile, die nicht zusammengesetzt werden können. Dafür braucht es dann gezielte und professionelle Aufklärungsangebote."
Insgesamt plädieren die Diskutierenden dafür, Kindern und Jugendlichen nicht nur die Risiken von Sexualität beizubringen, sondern auch Fragen zu Identität und Körper in den Vordergrund zu rücken und den lebensqualitätssteigernden Aspekt von Sexualitäz zu betonen, um so ein umfassendes Bild von Sexualität zu vermitteln.