CRISPR/Cas9: Kennen Sie die wahre Geschichte? (Teil II)

Kennen Sie die Ursprünge von CRISPR/Cas9? Prof. Dr. Reinhard Renneberg nimmt vier Entdeckergruppen unter die Lupe.

Wieso der Name CRISPR/Cas9?

Fortsetzung zu CRISPR/Cas9: Kennen Sie die wahre Geschichte (Teil I)?

Inzwischen waren die merkwürdigen wiederholten DNA-Sequenzen weltweit in 20 verschiedenen Bakterien und Archaeen beschrieben worden. Der Name "tandem repeats" gefiel aber Mojica selber nicht so recht. Bei einem Tandem sitzen die Fahrer nämlich eng hintereinander. Die repeats waren aber räumlich unterbrochen…interspaced! Kein echtes Tandem! 
Er taufte sie deshalb "short regularly spaced repeats" oder SRSR. Das Wort-Ungetüm war aber nur schwer auszusprechen und – vor allem – schwer zu merken. 

Dr.Ruud Jansen von der Uni Utrecht (NL) untersuchte ebenfalls diese Sequenzen, aber in Tuberkulose-Bakterien. Er nannte sie "direct repeats". Aber er gab in einer E-Mail seinem Freund Mojica völlig Recht: "Klar, Francis! Wir brauchen einen viel besseren Namen!" Die Story: Eines Abends, bei der Heimfahrt mit dem Auto aus dem Labor, hatte Francisco Mojica – wie er mir in einer E-Mail schrieb – plötzlich eine Erleuchtung für den Namen: 

"Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats!"

In der Langform war das eher ein Zungenbrecher, aber in der Abkürzung klang CRISPR wie "crispy= knusprig!" Zu Hause, nach seiner Ankunft, überfiel Mojica ganz euphorisch seine Frau Angeles Román: "Geli-Schatz, was hältst Du von dem von MIR gerade gefundenen tollen Namen… CRISPR?" Die Spanierin meinte dazu nur trocken: "Klingt wie ein Hundename! Crispr, Crispr, komm sofort her! Sitz, Crispr!" Darauf der Mojica enttäuscht-prophetisch: "Du wirst es schon sehen: CRISPR wird Geschichte schreiben!"

Ruud Jansen in den Niederlanden dagegen war sofort hellauf begeistert, als er den Namen CRISPR zum ersten Mal hörte: CRISPR war toll! Am 21. November 2001 schickte er an Mojica eine freudig bejahende Email. Ruud Jansen bekräftigte ihrer beider Namens-Entscheidung in einem Artikel im April 2002. Er berichtete darin außerdem über Gene, die eng mit CRISPR verbunden, assoziiert seien. Er nannte sie kurzerhand "CRISPR associated enzymes", kurz: Cas. 

Warum gibt es nun Spacer und Clustered repeats? 

Durch das phantastische Humangenom-Projekt um die Jahrtausendwende 2000 und die rapide technische Entwicklung der Gen-Sequenzierung waren 2003 bereits 200 DNA-Sequenzen von Bakterien und auch von Mensch und Maus öffentlich verfügbar. Besonders war Francisco Mojica von den spacern fasziniert, den Regionen "normal" aussehender DNA-Segmente, die zwischen repeats lagen (den wiederholten CRISPR-Segmenten). Er nahm die spacer-Sequenzen von Escherichia coli und jagte sie per Computer durch Sequenz-Datenbasen, die neuerdings leicht verfügbar waren. 

Was Mojica fand, verschlug ihm den Atem: Die spacer-Sequenzen waren perfekt identisch mit den Sequenzen von Viren, die zuvor die Darmbakterien attackiert hatten…und zwar von Bakteriophagen! Die Phagen-DNA war also offenbar nach der Attacke in die Bakterien exakt eingebaut worden… Das traf auch bei allen anderen Bakterien mit CRISPR-Sequenzen zu: Die spacer-DNA der Bakterien war identisch mit der zuvor attackierenden Virus-DNA… Sensationell! 

Mojica hatte in Alicante das große Privileg, reine Grundlagenforschung zu betreiben… ohne ständig den praktischen Nutzen seiner Forschung nachweisen zu müssen. Er versuchte auch nie, seine Entdeckungen zu patentieren. "Meine einzige Motivation war…meine unglaubliche Neugier!" Und: Seine prophetische Vorhersage an seine ungläubige Frau Geli ist heute wahr geworden…Mojica ist ein glücklicher, zufriedener Mensch… was gibt es Schöneres! 

Mail von Ruud Jansen an Francisco Mojica © Mojica F.J.M., Garrett R.A. (2013) Discovery and Seminal Developments in the CRISPR Field. In: Barrangou R., van der Oost J. (eds) CRISPR-Cas Systems. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-34657-6_1).

Ruud Jansen, Francisco Mojica © F Mojica

CRISPR/Cas9: Das Geheimnis des Phagen-resistenten Joghurts

Der Franzose Rodolphe Barrangue in den USA und sein befreundeter Landsmann Philippe Horvath in Frankreich arbeiteten beide, aber durch den Atlantik getrennt, für den dänischen Joghurt-Riesen Danisco, der neben den Endprodukten weltweit Tausende Tonnen sogenannter Starter-Kulturen für Milchprodukte wie Joghurt liefert. 

Die größte Gefahr für Joghurt-Bakterien wie Streptococcus thermophilus sind bakterienbefallende Viren, Bakteriophagen. Deshalb forschte natürlich man bei Danisco intensiv an Phagen: ob und wie sich Bakterien gegen Killer-Phagen schützen und verteidigen können. 

Der aus Paris stammende Barrangou übersiedelte in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach Raleigh im amerikanischen Nord-Carolina, um dort Fermentations-Technologie zu studieren. Danisco in Madison Barrangou startete 2005 als Wissenschaftler in Madison im Bundesstaat Wisconsin bei Danisco (heute DuPont). Sein bester Freund Horvath forschte dagegen im zentralfranzösischen Dangé-Saint-Romain. 

Und zwar genauso an Viren, die Joghurt-Kulturen befielen, also Phagen. Beide telefonierten zwei bis dreimal dazu täglich zwischen Frankreich und den USA: Sie vereinbarten Streptococcus thermophilus als gutes Zielobjekt für gemeinsame Phagen-Experimente. Horvats französisches Labor hatte allerdings keine Erlaubnis für Gentechnik-Experimente, also machte man sie im amerikanischen Wisconsin… 

Bakterien verlieren Resistenz durch Ausschaltung CRISPR-assoziierter Gene

Das Ergebnis ihrer Experimente: Wenn zwei CRISPR assoziierte (Cas-) Gene "ausgeschaltet" wurden (eins davon Cas9 genannt, es wurde dann später berühmt), verloren die Bakterien völlig ihre Resistenz gegen Phagen! Im August 2005 wurde Barrangou, Horvath und Danisco das Europa-Patent EP 1 740 726 erteilt, eines der ersten CRISPR-Patente überhaupt. 

Im März 2007 veröffentlichten Barrangou und Horvath ihre sensationellen CRISPR-Ergebnisse in der amerikanischen "Science". Damit war die CRISPR-Katze aus dem Sack: Phagen, die Streptokokken befallen und deren DNA im Gedächtnis der Bakterien gespeichert wurde! 

Nun griffen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna ein, die 2021 den Nobelpreis bekamen.

Und nun kennen Sie die wahren Erst-Entdecker von CRISPR/Cas9!