Antikoagulation ist nicht gleich Blutverdünnung
Die Blutgerinnung versiegelt undichte Stellen im Gefäßsystem, indem sie einen Pfropf bildet, der die Leckage abdichtet, ohne den Blutfluss im Gefäß zu behindern. Eine langsame Blutgerinnung führt zu einer verlängerten Blutung mit höherem Blutverlust, eine besonders schnelle Gerinnung kann einen Gefäßverschluss verursachen.
Prof. Dr. Carl-Erik Dempfle
IMD Gerinnungszentrum, Mannheim MVZ
Die Blutgerinnung versiegelt undichte Stellen im Gefäßsystem, indem sie einen Pfropf bildet, der die Leckage abdichtet, ohne den Blutfluss im Gefäß zu behindern. Eine langsame Blutgerinnung führt zu einer verlängerten Blutung mit höherem Blutverlust, eine besonders schnelle Gerinnung kann einen Gefäßverschluss verursachen. Der Sinn der gerinnungshemmenden Therapie (Antikoagulation) ist eine Verlangsamung des Gerinnungsprozesses, sodass körpereigene Mechanismen in der Lage sind, eine bestehende Flussbehinderung im Gefäß zu beseitigen. Gerinnungshemmende Medikamente „verdünnen“ somit nicht das Blut, sie vermindern durch verschiedene Mechanismen die Aktivität des Enzyms Thrombin (Abbildung)1,2:
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Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) vermindern die Aktivierung von Prothrombin zu Thrombin durch Hemmung von Faktor Xa (Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban) oder inhibieren Thrombin direkt (Dabigatran).2
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Niedermolekulare Heparine und Fondaparinux aktivieren Antithrombin (AT), das dann Faktor Xa bindet und damit inaktivieren kann.2
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Vitamin-K-Antagonisten (VKA) wie Phenprocoumon und Warfarin reduzieren die Bildung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in der Leber, wodurch bei Gerinnungsaktivierung weniger Faktor Xa und Thrombin entstehen.2
In manchen Gefäßbereichen, insbesondere bei schneller Fließgeschwindigkeit durch enge Gefäße (hohe Scherrate), können durch die Anheftung (Adhäsion) der Thrombozyten Blutgerinnsel entstehen.3 Beispiele sind die Herzkranzgefäße oder andere verengte Arterien. Hier ist es hilfreich, die Adhäsion und Aggregation von Thrombozyten zu vermindern. Dies geschieht ebenfalls nicht durch eine „Blutverdünnung“, sondern durch Verabreichung spezifischer Medikamente zur Thrombozytenfunktionshemmung (z. B. Acetylsalicylsäure, Clopidogrel).
Bei manchen Patient:innen ist eine Kombination aus Antikoagulation und Thrombozytenhemmung sinnvoll, beispielsweise bei Patient:innen mit gleichzeitigem Vorhofflimmern (VHF; Gerinnselbildung im linken Vorhof, einem Areal mit großem Gefäßquerschnitt und niedriger Scherrate) und koronarer Herzerkrankung (KHK; enge Herzkranzgefäße, hohe Scherrate).
Antikoagulation im Wandel der Zeit
Die Therapie wird kontinuierlich weiterentwickelt, um die Therapieintensivität individuell anzupassen, sodass ein verbesserter Nutzen (weniger Gefäßverschlüsse) nicht durch ein höheres Blutungsrisiko „erkauft“ wird. Dauer und Dosierung der Antikoagulation werden in einer ständigen Risiko-Nutzen-Bewertung für jede:n Patient:in einzeln evaluiert und bei Bedarf angepasst.4,5
Wirkmechanismus Antikoagulation/Wirkorte der unterschiedlichen Gerinnungshemmer; modifiziert nach1.
AT: Antithrombin; DOAK: direktes orales Antikoagulans; VKA: Vitamin-K-Antagonist; TF: Tissue Factor.
- Mackman N. Triggers, targets and treatments for thrombosis. Nature 2008;451(7181):914-8
- InformedHealth.org. IQWiG. In brief: What are anticoagulants? 2022. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK279433/, abgerufen am: 13.05.2024
- Reininger AJ. Thrombusformation im Blutfluss. In: Pötzsch B,Madlener K (Hrsg.), Hämostaseologie. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg, 2010;73-80
- Alexander P, Visagan S, Issa R, et al. Current Trends in the Duration of Anticoagulant Therapy for Venous Thromboembolism: A Systematic Review. Cureus 2021;13(10):e18992
- AWMF. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie. 2023. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/065-002, abgerufen am: 09.11.2023