Leitlinien praktisch angewandt: „Orthopädischer Eingriff bei einem 71-jährigen mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern “
Ein 71-jähriger Patient mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern (VHF<sup>♦</sup>) muss sich aufgrund eines Sturzes einem größeren orthopädischen Eingriff am linken Arm unterziehen. Zur Schlaganfallprophylaxe wird er seit 4 Jahren mit dem Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulans (NOAC) Apixaban behandelt. Bridging - ja oder nein?
Anhand eines fiktiven Patientenfalls möchten wir in dieser Artikelreihe auf eine besondere Situation in der klinischen Praxis eingehen und die Herangehensweise und mögliche leitliniengerechte Lösungen aufzeigen. Halten Sie in den nächsten Monaten Ausschau nach neuen Fällen!
Heute: „Orthopädischer Eingriff bei einem 71-jährigen mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern“
Anamnese
Ein 71-jähriger Mann ist gestürzt und hat sich dabei den linken Arm im Schaftbereich der Unterarmknochen gebrochen. Der Bruch soll im Zuge eines größeren orthopädischen Eingriffs mit einer Platte verschraubt werden. Aufgrund von diagnostiziertem VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎ wird der Rentner seit 4 Jahren mit Apixaban (ELIQUIS®) in der Standarddosierung* von 5 mg 2 x täglich oral antikoaguliert.
Bridging: ja oder nein?
Eine fortgesetzte orale Antikoagulation (OAK) im zeitlichen Umfeld einer Operation (OP) ist mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden.1 Postoperativ erhöht das Aussetzen der OAK jedoch das Risiko für venöse Thromboembolien (VTE).1 Die Notwendigkeit, das Thromboembolierisiko gegenüber dem Blutungsrisiko abzuwägen, führte zur Entwicklung verschiedener Strategien: Diese reichen von einer kontinuierlichen OAK bis hin zu einer Therapie-Pause mit oder ohne überbrückender Heparingabe (Bridging).2 Doch ist im Beispielfall ein solches Bridging nötig, wenn der VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎-Patient mit Apixaban behandelt wird?
Das sagt die aktuelle EHRA-Praxisleitlinie
Die EHRA (European Heart Rhythm Association)-Praxisleitlinie von 2021 zur Antikoagulationstherapie mit NOACs bei Patient:innen mit VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎ behandelt das Thema Bridging ausführlich.3 Sie empfiehlt, bei Patient:innen unter NOAC-Behandlung eine geplante OP in der Regel ohne überbrückende Heparingabe durchzuführen. Bridging bei NOAC-Patient:innen führt nachweislich zu einem signifikant höheren Risiko für schwere Blutungen.3 Wegen ihrer kurzen Halbwertszeit (z. B. Apixaban ca. 12 h4) erfordern NOACs kein routinemäßiges Bridging, sondern nur eine rechtzeitige perioperative Pause.3
Bridging nur in wenigen Hochrisikosituationen
Lediglich in sehr wenigen Hochrisikosituationen kann ein Bridging diskutiert werden: Dies gilt z. B. bei dringenden OPs mit hohem Blutungsrisiko an Patient:innen mit einem kürzlichen (≤ 3 Monate) thromboembolischen Ereignis (Schlaganfall, systemische Embolien oder VTE) oder bei denen ein Ereignis während einer früheren adäquaten Unterbrechung der NOAC-Therapie aufgetreten ist.3 In diesen Fällen kann zusätzlich zu einer rechtzeitigen Pause der NOAC-Therapie ein Wechsel zu unfraktioniertem Heparin oder niedrig dosiertem Dabigatran erwogen werden, beides mit der Möglichkeit einer schnellen Umkehrung.3
Wie ist das empfohlene perioperative Vorgehen bei Patient:innen, die mit NOAC behandelt werden?
Das perioperative Management von Patient:innen unter einem NOAC ist einfach: Aufgrund der kurzen Halbwertszeiten reicht in der Regel das Aussetzen der nächsten Dosis innerhalb von 24 h oder 48 h vor der OP.
Für Apixaban-Patient:innen gilt:
Wie lange pausieren?
Wie lange vor einer geplanten OP die Einnahme eines NOACs pausiert werden sollte, richtet sich u.a. nach dem während des Eingriffes zu erwartenden Blutungsrisiko (siehe Tab. 1).3 Neben der operationsbedingten sollte auch die individuelle Blutungsgefahr zur Risikostratifizierung berücksichtigt werden. Beachtet werden sollten z.B. Nierenfunktion sowie Wechselwirkungen des NOAC mit anderen Medikamenten.4
In der Abgabekarte „Perioperatives Management bei ELIQUIS®-Patient:innen“ finden Sie einen Überblick über mögliche relevante Wechselwirkungen von ELIQUIS® mit anderen Arzneimitteln.
Tab. 1: Klassifizierung von elektiven chirurgischen Eingriffen nach Blutungsrisiko3
Eingriffe mit geringfügigem Risiko
(d. h. mit nur gelegentlichen Blutungen und geringer klinischer Auswirkung)
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Zahnextraktionen (1-3 Zähne), Parodontalchirurgie, Implantatpositionierung, Entfernung von Zahnstein/Zahnreinigung
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Eingriff bei Katarakt oder Glaukom
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Endoskopie ohne Biopsie oder Resektion
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Oberflächliche Eingriffe (z. B. Abszessinzisionen, kleine dermatologische Exzisionen, Hautbiopsien)
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Implantation von Herzschrittmachern oder implantierbaren Kardioverter/Defibrillatoren (ICDs; mit Ausnahme komplexer Verfahren)
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Elektrophysiologische Untersuchung oder Katheterablation (außer komplexe Verfahren)
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Routinemäßige elektive Eingriffe an den Herzkranzgefäßen/peripheren Arterien (mit Ausnahme komplexer Verfahren)
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Intramuskuläre Injektion (z. B. Impfung)
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Eingriffe mit niedrigem Risiko
(d. h. seltene Blutungen oder mit nicht-schweren klinischen Auswirkungen)
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Komplexe zahnärztliche Verfahren
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Endoskopie mit einfacher Biopsie
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Kleine orthopädische Operationen (Fuß, Hand, Arthroskopie, etc.)
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Eingriffe mit hohem Risiko
(d. h. häufige Blutungen und/oder mit erheblichen klinischen Auswirkungen)
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Herzchirurgie
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Periphere arterielle Revaskularisationseingriffe (z. B. Reparatur von Aortenaneurysmen, Gefäßbypass)
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Komplexe invasive kardiologische Eingriffe, einschließlich Elektrodenextraktion, epikardiale Ablation ventrikulärer Tachykardien, Perkutane koronare Interventionen (PCI) bei chronischen Totalverschlüssen etc.
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Neurochirurgie
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Spinal- oder Epiduralanästhesie; diagnostische Lumbalpunktion
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Komplexe Endoskopie (z. B. multiple/große Polypektomie, Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP) mit Inzision eines Schließmuskels etc.)
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Abdominalchirurgie (einschließlich Leberbiopsie)
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Thoraxchirurgie
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Größere urologische Eingriffe/Biopsien (einschließlich Niere)
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Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie
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Große orthopädische Chirurgie
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Fazit:
Bei VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen unter Apixaban kann eine geplante OP in der Regel ohne Bridging durchgeführt werden.3 Bei OPs mit niedrigem Blutungsrisiko sollte Apixaban 24 h vor dem Eingriff letztmalig eingenommen werden.4 Ist das Blutungsrisiko wie im Beispielfall höher, wird ein Abstand von 48 h empfohlen.4 Nach der Pause sollte die Apixaban-Therapie unter Berücksichtigung der klinischen Situation und einer ausreichenden Hämostase so bald wie möglich wieder aufgenommen werden.4
VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎: nicht-valvuläres Vorhofflimmern
* Zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen beträgt die Standarddosierung von ELIQUIS® 5 mg 2x täglich. Bei VHF¨-Patient:innen mit mindestens zwei der folgenden Kriterien: Alter ≥ 80 Jahre, Körpergewicht ≤ 60 kg oder Serumkreatinin ≥ 1,5 mg/dl (133 µmol/l) beträgt die empfohlene Dosis von ELIQUIS® 2,5 mg 2 x täglich. Bei schwerer Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance 15-29 ml/min) wird ELIQUIS® 2,5 mg 2 x täglich empfohlen.
- Spyropoulos AC, Douketis JD. How I treat anticoagulated patients undergoing an elective procedure or surgery. Blood 2012; 120(15):2954–62.
- Weitz JI et al. Periprocedural management of new oral anticoagulants in patients undergoing atrial fibrillation ablation. Circulation 2014; 129(16):1688–94.
- Steffel J et al. 2021 European Heart Rhythm Association Practical Guide on the Use of Non-Vitamin K Antagonist Oral Anticoagulants in Patients with Atrial Fibrillation. Europace 2021; 23(10):1612–76.
- Fachinformationen Eliquis® 5 mg / 2,5 mg, aktueller Stand.