Leitlinien praktisch angewandt: „Die junge Frau mit aktivem Ovarialkarzinom und venöser Thromboembolie“
Eine junge Patientin (35 Jahre) mit aktivem Ovarialkarzinom und einer venösen Thromboembolie (VTE) in der Beckenvene wird seit fast 6 Monaten mit dem Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulans (NOAC) Apixaban (ELIQUIS<sup>®</sup>) oral antikoaguliert. Ist in diesem Fall ab Monat 7 eine verlängerte Rezidivprophylaxe angezeigt?
Anhand eines fiktiven Patient:innenfalls möchten wir in dieser Artikelreihe auf eine besondere Situation in der klinischen Praxis eingehen und die Herangehensweise sowie mögliche leitliniengerechte Lösungen aufzeigen. Halten Sie in den nächsten Monaten Ausschau nach neuen Fällen!
Heute: „Die junge Frau mit aktivem Ovarialkarzinom und VTE“
Anamnese
Bei einer 35-jährigen Patientin mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom drückte der Tumor auf die Beckenvene, was die Entstehung einer tiefen Venenthrombose (TVT) zur Folge hatte. Da die Patientin zum Diagnosezeitpunkt hämodynamisch stabil war, wurde die initiale Antikoagulation mit Apixaban* unverzüglich begonnen.
Die Therapieentscheidung erfolgte in Übereinstimmung mit den relevanten Leitlinien, die Apixaban bei Patient:innen mit krebsassoziierter VTE zur initialen und weiteren Behandlung empfehlen.2–5
Die Patientin erhielt initial die für Erwachsene übliche Dosis Apixaban 10 mg 2x tägl. für 7 Tage, anschließend wurde die Dosis auf 5 mg 2x tägl. angepasst.1 Ist ab Monat 7 eine verlängerte Rezidivprophylaxe angezeigt?
Was sagt die aktuelle deutsche AWMF-Leitlinie?
Die aktuelle AWMF-S2k-Leitlinie empfiehlt, bei akuter TVT nach 3-6 Monaten eine Reevaluierung vorzunehmen, um eine Entscheidung über die Fortführung der Antikoagulation zu treffen.2 Bei jeder VTE sollen die relativen Risikofaktoren identifiziert werden, die mutmaßlich zum Thrombosegeschehen beigetragen haben. Laut Antikoagulationsampel (Abb. 1) gehören aktive Tumorerkrankungen zu den persistierenden starken Risikofaktoren, die ein hohes VTE-Rezidivrisiko bedingen und eine zeitlich unbefristete Antikoagulation in Therapiedosis† benötigen.2
Abb. 1: Antikoagulationsampel: Stratifizierung des Risikos für Rezidiv-VTE, modifiziert nach der AWMF-S2k-Leitlinie 2023.2 Laut Fachinformation von ELIQUIS® beträgt die empfohlene Dosis zur verlängerten VTE-Rezidivprophylaxe nach 6 Monaten 2,5 mg 2x täglich.1 In der Zulassungsstudie AMPLIFY-EXT6 waren Tumorpatient:innen, die eine zeitlich unbefristete Antikoagulation benötigten, ausgeschlossen. Für die verlängerte Rezidivprophylaxe der Tumorassoziierten VTE nach 6 Monaten liegen nun Daten aus der EVE-Studie zum Vergleich ELIQUIS® 2,5 mg vs. 5 mg 2x täglich vor.7 APS: Antiphospholipidsyndrom
Bei der Patientin mit aktivem Ovarialkarzinom und VTE ist gemäß AWMF-S2k-Leitlinie eine verlängerte Rezidivprophylaxe angezeigt. Nun liegen erste Studiendaten von Apixaban in der verlängerten Rezidivprophylaxe bei erwachsenen VTE-Krebspatient:innen vor.
Daten zu 2,5 mg Apixaban 2x tägl.
Die CAP-Studie8 lieferte 2022 erste Hinweise zur Wirksamkeit und Sicherheit für den Einsatz von niedrig dosiertem Apixaban (2,5 mg 2x tägl.) in der verlängerten Rezidivprophylaxe bei VTE-Krebspatient:innen.
Die EVE-Studie, eine vom Prüfarzt initiierte, multizentrische, randomisierte, doppelblinde Studie, verglich den Einsatz von 2,5 mg vs. 5 mg† Apixaban, jeweils 2x täglich.7 Erwachsene mit aktiver Krebserkrankung‡ und einer VTE§, die nach dem Ereignis eine 6–12-monatige Antikoagulation abgeschlossen hatten, wurden in die Studie aufgenommen und für weitere 12 Monate mit Apixaban 2,5 mg oder 5 mg† 2x tägl. behandelt (n = 360).7
Näheres zum Studiendesign der EVE-Studie entnehmen Sie bitte nachfolgendem Akkordeon.
Primärer Endpunkt: Schwere/klinisch relevante nicht-schwere (CRNM)-Blutungen - kombinierter primärer Endpunkt (ISTH-Definitionen)
Sekundärer Endpunkt: Symptomatisches VTE-Rezidiv - Symptomatisches Wiederauftreten einer VTE, einschließlich TVT, LE oder tödlicher LE, arterielle Thromboembolien (Myokardinfarkte, Schlaganfälle, transitorische ischämische Attacken, periphere Embolien)
Einschlusskriterien:
- Bestätigte VTE§ und aktive Krebserkrankung‡
- Alter ≥ 18 Jahre
- Lebenserwartung ≥ 6 Monate
- ECOG-Leistungsstatus 0, 1 oder 2
- Labor-Kriterien: U. a. Thrombozytenzahl ≥ 50.000/mm3, Kreatinin-Clearance ≥ 30 ml/min, negativer Schwangerschaftstest
Ausschlusskriterien:
- < 6 oder > 12 Monate vorherige Antikoagulationstherapie
- Starke CYP3A4-Induktoren oder -Inhibitoren
- Thienopyridin-Therapie
- Schwere Leber- oder Nierenerkrankung
- Koexistierende Indikationen für eine therapeutische Antikoagulation (z. B. Vorhofflimmern, mechanische Herzklappe)
- Aktive Blutungen oder Neigung zu Blutungen
- Früheres Versagen von Antikoagulanzien
Ergebnisse der EVE-Studie7
Apixaban 2,5 mg vs. 5 mg† (jeweils 2x tägl.) war assoziiert mit:7
- einer vergleichbaren Rate an schweren und CRNM-Blutungen zwischen 2,5 mg und 5,0 mg†
- einer vergleichbaren Rate an VTE-Rezidiven zwischen 2,5 mg und 5,0 mg†
- einer numerisch geringeren Rate an CRNM-Blutungen (Hazard Ratio 0,66; 95 %-KI: 0,32 - 1,37; p = 0,26) für 2,5 mg (12 Patient:innen [6,7 %]) im Vergleich zu 5,0 mg† (18 Patient:innen [9,9 %])
- einer insgesamt geringen Anzahl an VTE-Rezidiven und schweren Blutungen in beiden Studienarmen (Abb. 2)
Abb. 2: EVE-Studie: VTE-Rezidive und schwere und CRNM-Blutungen unter 2,5 mg Apixaban 2x tägl. vs. 5 mg †Apixaban 2x tägl. bei erwachsenen Krebspatient:innen mit VTE. Modifiziert nach McBane et al.7 In der Zulassungsstudie AMPLIFY-EXT6 waren Tumorpatient:innen, die eine zeitlich unbefristete Antikoagulation benötigten, ausgeschlossen. Für die verlängerte Rezidivprophylaxe der Tumorassoziierten VTE nach 6 Monaten liegen nun Daten aus der EVE-Studie zum Vergleich ELIQUIS® 2,5 mg vs. 5 mg 2x täglich vor.7
Fazit:
Bei der Patientin mit aktivem Ovarialkarzinom (ein persistierend starker Risikofaktor, der ein hohes VTE-Rezidivrisiko bedingt) und VTE ist gemäß AWMF-S2k-Leitlinie eine verlängerte Rezidivprophylaxe angezeigt.2 Für die verlängerte Rezidivprophylaxe der tumorassoziierten VTE bei Erwachsenen nach 6 Monaten liegen nun erste Daten aus der EVE-Studie zum Vergleich ELIQUIS® 2,5 mg vs. 5 mg† 2x täglich vor.7
* ELIQUIS® ist zugelassen zur Behandlung von tiefer Venenthrombose (TVT) und Lungenembolie (LE) sowie Prophylaxe von rezidivierenden TVT und LE bei Erwachsenen. Patient:innen mit aktiver Krebserkrankung können ein hohes Risiko für sowohl VTE als auch Blutungen haben. Wenn Apixaban zur Behandlung von TVT oder Lungenembolie (LE) bei Krebspatienten in Erwägung gezogen wird, sollte eine sorgfältige Abwägung des Nutzens gegen das Risiko erfolgen.1 ELIQUIS® ist bei malignen Neoplasien mit hohem Blutungsrisiko kontraindiziert.1
† Laut Fachinformation von ELIQUIS® beträgt die empfohlene Dosis zur verlängerten VTE-Rezidivprophylaxe bei Erwachsenen nach 6 Monaten 2,5 mg 2x täglich.1 In der Zulassungsstudie AMPLIFY-EXT6 waren Tumorpatient:innen, die eine zeitlich unbefristete Antikoagulation benötigten, ausgeschlossen. Für die verlängerte Rezidivprophylaxe der Tumorassoziierten VTE nach 6 Monaten liegen nun Daten aus der EVE-Studie zum Vergleich ELIQUIS® 2,5 mg vs. 5 mg 2x täglich vor.7
‡ Aktive Krebserkrankung war definiert als metastasierte Erkrankung und/oder Anzeichen von Krebs in der Querschnitts- oder Positronen-Emissions-Tomographie (PET), krebsbedingte Operationen, Chemo- oder Strahlentherapie innerhalb der letzten 6 Monate. Nicht-Melanom-Hautkrebs erfüllte nicht die Krebsanforderung.
†† Nach Absetzen der Antikoagulation
§ Eine akute VTE musste objektiv durch eine bildgebende Untersuchung bestätigt worden sein und die Patient:innen mussten für 6 Monate (aber nicht länger als 12 Monate) therapeutisch antikoaguliert worden sein. Folgende Venenthrombosen erfüllten die Einschlusskriterien: tiefe Bein- oder Armvenenthrombose, Lungenembolie, zerebrale Sinusthrombose oder splanchnische Venenthrombose (Leber-, Pfortader-, Milz-, Mesenterial-, Nieren- und Gonadalvenenthrombose). Patient:innen mit Beinvenenthrombosen konnten unabhängig von der Lokalisation (proximal vs. distal) eingeschlossen werden.
- Fachinformationen ELIQUIS® 5 mg, 2,5 mg, aktueller Stand
- Dt. Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. AWMF S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie. Stand: 2023. AWMF Registernummer 065 – 002 - gültig bis 13.02.2028. Available from: URL: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/065-002.
- Riess H, Angelillo-Scherrer A, Alt-Epping B, Langer F, Wörmann B, Pabinger-Fasching I. Onkopedia Leitlinien - Thromboembolien bei Tumorpatienten (früher: Venöse Thromboembolien (VTE) bei Tumorpatienten); 2020 [eingesehen am 12.12.23]. Available from: URL: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/thromboembolien-bei-tumorpatienten-frueher-venoese-thromboembolien-vte-bei-tumorpatienten/@@guideline/html/index.html.
- Stevens SM et al. Antithrombotic Therapy for VTE Disease: Second Update of the CHEST Guideline and Expert Panel Report - Executive Summary.Chest 2021; 160(6):2247–59.
- Lyman GH et al. American Society of Hematology 2021 guidelines for management of venous thromboembolism: prevention and treatment in patients with cancer. Blood Adv 2021; 5(4):927–74.
- Agnelli G et al. Apixaban for extended treatment of venous thromboembolism.N Engl J Med 2013; 368(8):699–708.
- McBane RD et al. Extending venous thromboembolism secondary prevention with apixaban in cancer patients. The EVE trial.Journal of Thrombosis and Haemostasis 2024.
- Larsen T-L et al. Low dose apixaban as secondary prophylaxis of venous thromboembolism in cancer patients - 30 months follow-up.J Thromb Haemost 2022; 20(5):1166–81.