Schlaganfallprophylaxe bei VHF<sup>♦</sup>: GI-Blutungen im Fokus
Eine orale Antikoagulation kann effektiv thromboembolische Ereignisse verhindern, geht aber mit einem erhöhten Risiko für Blutungskomplikationen einher.<sup>1</sup> GI-Blutungen stellen hierbei die relativ häufigste schwere Blutungsart dar.<sup>2</sup> Ein auch im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten gesteigertes Risiko wurde lange Zeit als Klasseneffekt der nicht-Vitamin-K-abhängigen-oralen Antikoagulanzien (NOACs) angesehen. Doch trifft das auf alle NOACs zu?
Für die Bewertung des Sicherheitsprofils eines Antikoagulans sind schwere gastrointestinale (GI-) Blutungen ein relevanter Faktor. Sie können eine Hospitalisierung erforderlich machen, was nicht nur die Lebensqualität der Patient:innen einschränkt – auch die Mortalitätsrate nach einer Hospitalisierung aufgrund von Blutungen aus dem oberen GI-Trakt ist mit > 10 % nach 28 Tagen hoch.3,4
Klinische Studie: GI-Blutungen unter Apixaban und Warfarin vergleichbar
Allgemein wurden GI-Blutungen lange als Klasseneffekt der NOACs angesehen. Das Risiko steigt insbesondere mit dem Alter, Komorbiditäten als auch durch Medikamente, wie z.B. nicht-steroidale Antirheumatika oder Acetylsalicylsäure an.5, 6
Betrachten wir die für das NOAC Apixaban (ELIQUIS®) zulassungsrelevante Studie ARISTOTLE genauer: Sie schloss 18.201 Patient:innen mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern (VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎) und mind. einem Risikofaktor* für einen Schlaganfall ein. Hier zeigte sich unter Apixaban ein gegenüber Warfarin um 21 % geringeres Risiko für Schlaganfälle oder systemische Embolien (primärer Endpunkt) – bei einem gleichzeitig um 31 % niedrigeren Risiko für schwere Blutungen† (wichtiger sekundärer Endpunkt; Abb. 1).7
Mit einem Anteil von ca. 30 % waren in ARISTOTLE schwere GI-Blutungen die häufigste Form der schweren Blutungen unter Apixaban und damit etwa doppelt so häufig, wie die gefürchteten intrakraniellen Blutungen.7
Die genauere Analyse der Studienergebnisse zeigte allerdings: Unter Apixaban 5 mg 2 x tgl.‡ traten schwere GI-Blutungen mit einer bzgl. Warfarin vergleichbaren Inzidenz auf (105 Ereignisse [0,76 % /Jahr] vs. 119 [0,86 %/Jahr]; p = 0,37).7 In der Standarddosierung reduzierte Apixaban Schlaganfälle oder systemische Embolien also effektiver als Warfarin, ohne einen Hinweis auf ein gegenüber dem VKA erhöhtes Risiko für GI-Blutungen.
Abbildung 1: Schlaganfälle/systemische Embolien (prim. Endpunkt), schwere Blutungen (wichtiger sek. Endpunkt) sowie schwere GI-Blutungen unter Apixaban im Vergleich zu Warfarin in der Zulassungsstudie ARISTOTLE. a: p 0,01; b: p < 0,0001; c: p = 0.37 7
Klinische randomisierte Studien wie ARISTOTLE sind in der Regel gut kontrolliert und haben genau definierte Einschlusskriterien. Im Praxisalltag werden hingegen Patient:innen mit verschiedensten Komorbiditäten behandelt und auch Anwendungsfehler sind nicht ausgeschlossen. Retrospektive Datenbankanalysen§ können die Zulassungsstudien diesbezüglich ergänzen, denn sie erlauben eine Einschätzung der Effektivität und Verträglichkeit im Versorgungsalltag.
Deutscher Versorgungsalltag: Unter Apixaban GI-Blutungen seltener als unter Phenprocoumon
In der deutschen retrospektiven Datenbankanalyse§ CARBOS E+ waren anonymisierte Krankenversicherungsdaten von insgesamt 61.205 erwachsenen Patient:innen analysiert worden.8 Von den Patient:innen waren 10.117 neu auf Apixaban** eingestellt worden, 23.823 auf Phenprocoumon, der Rest auf ein anderes NOAC.8
In Hinblick auf die primären Endpunkte traten unter Apixaban sowohl signifikant weniger Schlaganfälle oder systemische Embolien†† (HR: 0,77; 95 %-KI: 0,66–0,90, p = 0,001)†† als auch schwere Blutungen†† (HR: 0,58; 95 %-KI: 0,49–0,69, p < 0,001)‡‡ im Vergleich zu Phenprocoumon auf§§.8
Bezüglich des sekundären Endpunkts GI-Blutungen§§,†† war in CARBOS E+ das Risiko unter Apixaban signifikant geringer als unter Phenprocoumon (HR: 0,71; 95 %-KI: 0,60‒0,82, p < 0,001)‡‡.8 Vergleichbare Tendenzen ließen sich in einer retrospektiven Datenbankanalyse aus dem US-amerikanischen Versorgungsalltag finden, dort allerdings im Vergleich zu dem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Warfarin.9
Nach GI-Blutung weiter antikoagulieren?
Tritt eine schwere GI-Blutung auf, stellt sich die Frage, ob und wie die Schlaganfallprophylaxe fortgesetzt werden sollte. Ohne Fortführung der oralen Antikoagulation (OAC) erhöht sich das Risiko für Schlaganfälle und die Mortalität.10 Laut ESC-Leitlinie sollten nach Behandlung der Blutungen einem multidisziplinären Team darüber entschieden werden, ob eine orale Antikoagulation so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden kann. In diese Überlegungen mit einbezogen werden sollten Antikoagulanzien wie Apixaban oder Dabigatran (nur in der Dosierung 110 mg) mit gegenüber Warfarin vergleichbarem GI-Blutungsrisiko.10
Auch die EHRA (European Heart Rhythm Association) sieht eine multidisziplinäre Beurteilung als Grundlage der Entscheidung, ob eine OAC wieder aufgenommen wird. Dabei sollten das Schlaganfall- und das Blutungsrisiko sorgfältig neu bewertet werden. Zusätzlich hat sie Faktoren zusammengestellt, die gegen eine Fortführung der Antikoagulation sprechen:11
- Blutung nicht lokalisierbar
- Multiple Angiodysplasien im GI-Trakt
- Ursache irreversibel /nicht behandelbar
- Blutung während Behandlungsunterbrechung
- Chronischer Alkoholabusus
- Höheres Alter
Wird sich gegen eine Wiederaufnahme der Antikoagulation entschieden, ist die Möglichkeit eines interventionellen Verschlusses des linken Vorhofohrs (LAA) abzuwägen. Bei einer Entscheidung für eine Antikoagulation gilt es laut EHRA, die NOAC-Gabe so früh wie möglich (wieder) aufzunehmen.11
VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎ = nicht-valvuläres Vorhofflimmern
*wie Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke (TIA) in der Anamnese, Alter ≥ 75 Jahre, Hypertonie, Diabetes mellitus, symptomatische Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse ≥ II)
† Schwere Blutungen nach Kriterien der ISTH (International Society on Thrombosis and Haemostasis) oder adaptiert nach den Kriterien.
‡ 4,7 % der Patient:innen erfüllten die Dosisreduktionskriterien und erhielten Apixaban 2,5 mg 2 x tgl.
§Limitationen: Beobachtungsstudien zeigen nur Assoziationen zwischen Variablen, keine Kausalität • Die Definitionen der Endpunkte unterscheiden sich teilweise von denen der RCTs und sind mittels ICD-10-Codes erhoben • Wie bei jeder Versicherungsdatenbank besteht die Möglichkeit für Kodierungsfehler und fehlende Daten • Eine Adjustierung ist nur für die bekannten demographischen und klinischen Baseline-Charakteristika möglich. Für potenzielle nicht beobachtbare Confounder kann nicht adjustiert werden • Die Ergebnisse treffen u. U. nur auf die in der jeweiligen Datenbank erfasste Population zu • Bestimmte spezifische Patientenmerkmale wie z. B. Laborparameter (INR, GFR etc.) sind nicht verfügbar • OTC-Medikationen wie ASS oder NSAR können nicht erfasst werden
** In der Apixaban-Gruppe erhielten 63 % der Patient:innen die Standarddosierung 5 mg 2 x tgl., 37 % wurden mit der reduzierten Dosierung von 2,5 mg 2 x tgl. behandelt.
†† Die in der Studie von Hohnloser et al. verwendeten Definitionen für Schlaganfälle/systemische Embolien und Blutungen unterschieden sich von jenen, die in der ARISTOTLE-Studie7 genutzt wurden.
‡‡ Die Hazard Ratios wurden nach dem Cox-Regressionsmodell unter Berücksichtigung demografischer und klinischer Störfaktoren ermittelt, um für mögliche Störfaktoren zu adjustieren.
§§ Im Krankenhaus behandelte Blutungen, die bei Entlassung anhand der ICD-10 GM kodiert wurden (ICD-10 GM: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification).
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