Ständige Abwägung zwischen Sicherheit und Risiko

Bei einer akuten venösen Thromboembolie (VTE) ist die Gerinnung typischerweise stark aktiviert. Daher wird bis zum Abklingen der übermäßigen Gerinnungsaktivierung initial eine höher dosierte gerinnungshemmende Therapie eingesetzt.

Prof. Dr. Carl-Erik Dempfle
IMD Gerinnungszentrum, Mannheim MVZ
 

Bei einer akuten venösen Thromboembolie (VTE) ist die Gerinnung typischerweise stark aktiviert. Daher wird bis zum Abklingen der übermäßigen Gerinnungsaktivierung initial eine höher dosierte gerinnungshemmende Therapie eingesetzt. Dies wird entweder über eine höhere Anfangsdosierung erreicht, an die sich dann eine längere Behandlung mit einer niedrigeren Erhaltungsdosis anschließt (z. B. Apixaban, Rivaroxaban), oder durch eine initiale Behandlung mit niedermolekularem Heparin oder Fondaparinux für > 5 Tage vor Beginn der oralen Medikation (z. B. Edoxaban, Dabigatran).1 Bei Kindern und Jugendlichen mit VTE sind Apixaban, Rivaroxaban und Dabigatran zugelassen (siehe jeweilige Fachinformation für die genaue Dosierung und das entsprechende Dosierungsschema). Für die weitere Therapie richtet sich die Dosierung nach dem Körpergewicht (siehe jeweilige Fachinformation). Bei Vitamin-K-Antagonisten (VKA, z. B. Phenprocoumon oder Warfarin) ist nach akuter VTE aufgrund des verzögerten Wirkbeginns immer eine anfängliche Behandlung mit niedermolekularem Heparin oder Fondaparinux erforderlich. Die parenterale Behandlung wird in diesem Fall abgesetzt, wenn der therapeutische Bereich der VKA (typischerweise International Normalized Ratio [INR] 2,0 bis 3,0) erreicht ist.1

Individuelle Nutzen-Risiko-Betrachtung

Die Dauer der gerinnungshemmenden Therapie richtet sich nach der individuellen Risikobewertung. Gründe für eine dauerhafte Gerinnungshemmung sind eine Rezidiv-VTE, eine VTE im Rahmen einer aktiven Tumorerkrankung, oder starke angeborene oder erworbene Thrombose-Risikofaktoren (z. B. Antithrombin-Mangel, Protein-C-Mangel, homozygote Faktor-V-Leiden-Mutation, kombinierte Thrombophilien, Antiphospholipid-Syndrom, etc.; siehe Abbildung).2 

Ist das individuelle Rezidivrisiko nach einer ersten VTE gering, oder sind die auslösenden Risikofaktoren nicht mehr vorhanden, kann die gerinnungshemmende Therapie versuchsweise beendet werden. Dabei sollten drei bis vier Wochen nach dem Absetzen die Aktivierungsparameter der Gerinnung (i. d. R. D-Dimer-Antigen) kontrolliert werden. Ein erhöhter D-Dimer-Spiegel zu diesem Zeitpunkt weist auf eine deutlich erhöhte Thrombosegefahr hin und ist ein Grund, die gerinnungshemmende Therapie unverzüglich wieder zu starten. Von einem erneuten Absetzversuch ist in diesem Fall abzuraten. Bei grenzwertigem Befund (D-Dimer nur knapp über der Grenze des Normalbereichs) sollte die Messung nach drei Monaten wiederholt werden.2


Stratifizierung des Risikos für Rezidiv-VTE – „Antikoagulationsampel“; modifiziert nach2.

Individuelle Dosisreduktion in besonderen Situationen

Für die langfristige VTE-Sekundärprophylaxe ist es sinnvoll, die Intensität der Gerinnungshemmung dem individuellen Risiko anzupassen. In vielen Fällen kann die Dosis des gerinnungshemmenden Medikaments nach Ende der ersten sechs Monate reduziert werden. Dosisreduzierungen spielen auch bei Patient:innen mit Nierenfunktionsstörungen eine große Rolle. Welche Punkte hier beachtet werden müssen, erfahren Sie in den nächsten Beiträgen.

Referenzen

  1. Bauersachs R. Navigating challenging clinical scenarios in venous thromboembolism (VTE) patient management. ESC Kongress 2023, Amsterdam.
  2. AWMF. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie. 2023. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/065-002, abgerufen am: 09.11.2023