Venöse Thromboembolien: In welchen Fällen die Antikoagulation nach 3 bis 6 Monaten fortsetzen?
Eine tiefe Venenthrombose (TVT) oder eine Lungenembolie (LE) sollte für mindestens 3 bis 6 Monate mit einem oralen Antikoagulans behandelt werden. Und dann? Welche Risikofaktoren sprechen für eine Verlängerung bzw. Sekundärprophylaxe?
Wie lassen sich Patient:innen, bei denen nach 3 bis 6 Monaten nach einer venösen Thromboembolie (VTE = TVT oder LE) die Antikoagulation abgesetzt werden kann, von denen unterscheiden, die eine längere Antikoagulation benötigen? Ausschlaggebend ist hierbei das längerfristige Rezidivrisiko. Dieses wird vor allem durch die Eigenschaften der Index-VTE, aber auch insbesondere durch das Vorliegen, bzw. Fehlen identifizierbarer Risikofaktoren bestimmt. Einen hilfreichen Überblick für die Entscheidungsfindung liefert die Antikoagulationsampel aus der 2023 aktualisierten AWMF-S2k-Leitlinie (Abb. 1):1
Abb. 1:Antikoagulationsampel: Stratifizierung des Risikos für VTE-Rezidive, modifiziert nach der AWMF-S2k-Leitlinie 2023.1
An den beiden Extremen (grüner und roter Bereich der Ampel), die ca. 75−80 % aller VTE-Patient:innen einschließen, ist das Vorgehen für die Sekundärprophylaxe klar definiert:1
- Bei transienten, starken Risikofaktoren (z. B. Operation mit Allgemeinanästhesie > 30 Min.; siehe Abb. 1) ist keine verlängerte Sekundärprophylaxe erforderlich und die Therapie wird mit Ablauf der Erhaltungsphase beendet.
- Bei persistierenden, starken Risikofaktoren (z. B. Tumorerkrankung; siehe Abb. 1) oder VTE-Rezidiven ohne stark transiente/reversible Risikofaktoren ist eine Antikoagulation auf unbestimmte Zeit in Therapiedosis* angezeigt.
Aber was ist bei den Patient:innen mit intermediären Rezidivrisiko zu tun?
Bei intermediärem Risiko ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung gefragt
Die Praxisleitlinie der Gesellschaft für Gefäßchirurgie sieht hier ein individuelles Vorgehen vor, abhängig von Rezidivrisiko, Blutungsrisiko und der Patient:innenpräferenz.3 Die AWMF-S2k-Leitlinie1 sowie die CHEST-Leitlinie zur antithrombotischen Behandlung von VTE4 empfehlen außerdem:
- wenn transiente, schwache Risikofaktoren (außer einer Operation) vorliegen, kann eine Fortführung der Antikoagulation erwogen werden (gemäß CHEST-Leitlinie Absetzen nach 3 Monaten).
- wenn persistierende, schwache Risikofaktoren (z. B. milde Thromboembolien oder aktive Autoimmunerkrankungen) vorliegen, sollte ein Fortsetzen der Antikoagulation in der Regel in reduzierter Dosis* erwogen werden, sofern der Nutzen das Blutungsrisiko überwiegt.
- bei spontanen VTE-Ereignissen ohne Risikofaktoren/Trigger ist es sinnvoll, weitere Faktoren in die Bewertung des Rezidivrisikos aufzunehmen. Folgende Gründe sprechen für eine verlängerte Antikoagulation unbestimmter Dauer: männliches Geschlecht, positive Familienanamnese, milde Thrombophilie, hohe Restthrombuslast und/oder erhöhte D-Dimere bei Therapieende.1
Bei moderatem Rezidivrisiko ist eine Fortführung der Antikoagulation oft sinnvoll, allerdings muss der klinische Nutzen immer gemeinsam mit dem individuellen Blutungsrisiko und der Patient:innenpräferenz bewertet werden. Die AWMF-S2k-Leitlinie rät zu einer regelmäßigen Wiederholung der Nutzen-Risiko-Abwägung in etwa 1– bis 2-jährlichen Abständen (unter Berücksichtigung ggf. neuerer Studiendaten).1
Was bedeutet das für die Praxis?
Prof. Dr. med. Rupert Bauersachs, Angiologe und Hämostaseologe am Cardioangiologischen Centrum Bethanien, Frankfurt am Main, zur Entscheidung über eine verlängerte Rezidivprophylaxe:
Verlängerte Rezidivprophylaxe mit Apixaban: ab Monat 7 in niedrigerer Dosierung
Über die Dauer der Antikoagulation wird, insbesondere bei Patient:innen mit intermediärem Rezidivrisiko, patient:innenindividuell unter Berücksichtigung des aktuellen Rezidiv- und Blutungsrisikos entschieden.1, 4 Oft ist die Angst vor schweren Blutungen der Grund dafür, dass keine längerfristige VTE-Rezidivprophylaxe durchgeführt wird.2 Doch diese Bedenken lassen sich mit einem Blick auf die klinischen Studien zur VTE-Behandlung mit Apixaban entkräften.
Erfolgt nach 3-6 Monaten eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung, so können die Ergebnisse der Studie AMPLIFY-EXT2 als Entscheidungshilfe herangezogen werden:
- In dieser Studie, in der VTE-Patient:innen eingeschlossen wurden, die zuvor bereits für 6-12 Monate unter einer oralen Antikoagulation standen, war über die Studiendauer von 12 Monaten das Risiko für schwere Blutungen (primärer Sicherheitsendpunkt) unter Apixaban (ELIQUIS® 2,5 mg 2 x tgl.§) und Placebo vergleichbar. Auch der kombinierte sekundäre Sicherheitsendpunkt Schwere oder klinisch relevante nicht schwere (CRNM) Blutungen war auf Placebo-Niveau (RR: 1,20; 95 %-KI: 0,69-2,10; Abb. 2).2
Abb. 2: Schwere oder CRNM-Blutungen (sekundärer Sicherheitsendpunkt) bei der verlängerten Rezidivprophylaxe mit Apixaban versus Placebo. Ergebnisse der AMPLIFY-EXT-Studie.2 RR: relatives Risiko
Gleichzeitig ließ sich durch die Behandlung mit Apixaban über die Studiendauer von 12 Monaten das Risiko für VTE-Rezidive oder Todesfälle jeglicher Ursache (primärer Wirksamkeitsendpunkt) gegenüber Placebo um 76 % senken (RR: 0,24; 95 %-KI: 0,15-0,40; p < 0,001).2 Auch VTE-Rezidive oder VTE-assoziierte Todesfälle (sekundärer Wirksamkeitsendpunkt) waren unter Apixaban im Vergleich zu Placebo um 81 % reduziert (RR: 0,19; 95 %-KI: 0,11-0,33; Abb. 3).2
Abb. 3: Rezidivierende VTE oder VTE-assoziierter Tod (sekundärer Wirksamkeitsendpunkt) bei der verlängerten Rezidivprophylaxe mit Apixaban versus Placebo. Ergebnisse der AMPLIFY-EXT-Studie.2 RR: relatives Risiko
Fazit:
Gemäß AWMF-S2k-Leitlinie ist unter Berücksichtigung des aktuellen VTE-Rezidiv-Risikos eine Fortführung der Antikoagulation zu erwägen.1 In diesem Zusammenhang sind individuelle Patient:innenpräferenz aber auch das Blutungsrisiko zu berücksichtigen.1 Apixaban ist für Patient:innen, die nach einer 6-monatigen Antikoagulation weiter behandelt werden sollen, ausschließlich in niedrigerer Dosierung (2,5 mg 2 x tgl.‡,§) zugelassen.5 Die Ergebnisse der AMPLIFY-EXT-Studie verdeutlichen, dass Apixaban in der Dosierung 2,5 mg 2 x tgl. eine wirksame Therapieoption mit gutem Sicherheitsprofil und einfacher Handhabe in der Phase der VTE-Rezidivprophylaxe darstellen kann. Hierzu zeigen die Daten der Sicherheitsendpunkte im Vergleich zu Placebo ein vergleichbares Risiko für schwere Blutungen sowie für „schwere oder CRNM-Blutungen“.2
VTE = venöse Thromboembolie (tiefe Venenthrombose (TVT) und/oder Lungenembolie (LE))
CRNM = clinically relevant nonmajor
* Laut Fachinformation von Apixaban beträgt die empfohlene Dosis zur Prophylaxe von rezidivierenden TVT und LE 2,5 mg 2 x tägl. nach Abschluss einer 6-monatigen Behandlung mit entweder 2 × tägl. Apixaban 5 mg oder einem anderen Antikoagulans. In der zugrundeliegenden Zulassungsstudie AMPLIFY-EXT waren Patient:innen mit den oben in der Leitlinie genannten persistierenden starken Risikofaktoren nicht eingeschlossen.2
** Nach Absetzen der Antikoagulation. APS: Antiphospholipidsyndrom
‡ Bei der Behandlung von VTE mit Apixaban gibt es keine Dosisreduktionskriterien in Bezug auf Alter, Gewicht oder Nierenfunktion.5.
§ Die Dosierung von Apixaban 2,5 mg 2 x täglich ist nur für die verlängerte Rezidivprophylaxe nach abgeschlossener 6-monatiger Antikoagulationsbehandlung zugelassen.
- Dt. Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. AWMF S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie. Stand: 2023. AWMF Registernummer 065 – 002 - gültig bis 13.02.2028. Available from: URL: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/065-002.
- Agnelli G et al. Apixaban for extended treatment of venous thromboembolism. N Engl J Med 2013; 368(8):699–708.
- Kakkos SK et al. Editor's Choice - European Society for Vascular Surgery (ESVS) 2021 Clinical Practice Guidelines on the Management of Venous Thrombosis. Eur J Vasc Endovasc Surg 2021; 61(1):9–82 [eingesehen am 03.12.21]. Available from: URL: https://www.ejves.com/action/showPdf?pii=S1078-5884%2820%2930868-.
- Stevens SM et al. Antithrombotic Therapy for VTE Disease: Second Update of the CHEST Guideline and Expert Panel Report - Executive Summary. Chest 2021; 160(6):2247–59.
- Fachinformationen Eliquis® 5 mg / 2,5 mg, aktueller Stand.