Die vor kurzem erschienene Version 6.0 der Nationalen VersorgungsLeitlinie Chronische KHK enthält alle in den letzten 6 Jahren aktualisierten Kapitel –2016: Epidemiologie; Schweregrade und Klassifizierungen; Diagnostik bei (Verdacht auf ) KHK; 2019: Therapieplanung und gemeinsame Entscheidungsfindung; Konservative nicht-medikamentöse Therapie; Medikamentöse Therapie; Rehabilitation; Versorgungskoordination und Langzeitbetreuung; 2022: Revaskularisationstherapie. Im Folgenden liegt der Fokus ausschließlich auf dem 2022 aktualisierten Kapitel 8 „Revaskularisationstherapie“. Vorab soll noch angemerkt werden, dass der Begriff „Chronische KHK“ der NVL-Leitlinie mittlerweile im internationalen Schrifttum mit dem Begriff „Chronisches Koronarsyndrom“ analog zum „Akuten Koronarsyndrom“ ersetzt worden ist. „Chronische Koronare Herzkrankheit“ und „Chronisches Koronarsyndrom“ sind demzufolge synonym verwendbar.
Die Aktualisierung des Kapitels „Revaskularisationstherapie“ wurde unter der kompetenten Moderation des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (äzq) im Wesentlichen von Delegierten der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK), der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTH), der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) sowie der DGIM erarbeitet und anschließend von allen 18 beteiligten Gesellschaften/Institutionen konsentiert. DGIM-Mandatsträger waren Prof. Dr. med. Claudius Jacobshagen, ViDia Christliche Kliniken Karlsruhe und Prof. Dr. med. Karl Werdan, Universitätsklinikum Halle (Saale).
Die in diesem Kapitel dargestellten Maßnahmen dienen dazu, diejenigen Patienten mit chronischer Koronarer Herzkrankheit (KHK) zu identifizieren, die von einer Revaskularisation – perkutane Koronarintervention (PCI) und aortokoronare Bypassoperation (CABG) – in Bezug auf die Therapieziele „Symptomatik und Lebensqualität“ sowie „Verbesserung der Prognose“ einen Nutzen haben. Dabei wird vorausgesetzt, dass eine stenosierende KHK vorliegt, z.B. dokumentiert anhand eines nicht-invasiven Ischämie-Nachweises bei symptomatischen Patienten und Patientinnen (Angina pectoris oder Äquivalent). Die Leitlinie betont, dass bei diesen Patienten parallel zu eventuellen Maßnahmen der Revaskularisation immer auch Medikamente und Verhaltensänderungen (siehe die entsprechenden Kapitel) eingesetzt werden sollen.
Das aktualisierte Revaskularisationskapitel enthält insgesamt 12 Empfehlungen, welche von allen beteiligten Fachgesellschaften im Konsens getragen werden. Die meisten Empfehlungen wurden im Vergleich zur Vorversion bestätigt, eine Empfehlung wurde modifiziert (Wahl des Therapieverfahrens bei der Hauptstammstenose), und eine Empfehlung wurde neu gestaltet (Therapieziel: „Verbesserung der Prognose“). Die Empfehlungen sind mit den üblichen Empfehlungsgraden „soll“ (⇑⇑), „sollte“ (⇑), „kann“ (⇔), „sollte nicht“ (⇓) und „soll nicht“ (⇓⇓) versehen.
Ein „Herzensanliegen“ dieser NVL-Leitlinie ist die adäquate Einbindung des Patienten in die Entscheidungsfindung, was vor allem bei invasiven Maßnahmen im Falle der Revaskularisationstherapie von großer Relevanz ist. Die NVL-Leitlinie konstatiert demzufolge: „Es ist deshalb unangemessen, bei Menschen mit vermuteter oder nachgewiesener KHK aus Befunden gleichsam automatisch bestimmte Behandlungskonsequenzen zu ziehen. Diese Leitlinie empfiehlt deshalb an wesentlichen Punkten des Entscheidungsalgorithmus den Einsatz von Entscheidungshilfen. Mit deren Hilfe sollen Betroffene die sehr unterschiedlichen Optionen des weiteren Vorgehens und eine eigene Präferenz dazu entwickeln können.“ Diese Entscheidungshilfen sollen als Grundlage für das Patient:innen-Ärztin/Arzt-Gespräch dienen. Erfahrungsgemäß werden sie leider viel zu selten von Kardiolog:innen und Herzchirurg:innen eingesetzt.
Über diese Empfehlung wurde verständlicherweise am längsten „gerungen“, ist doch eine möglichst hohe Evidenz üblicherweise die Basis für eine starke Empfehlung. Allerdings deutet zumindest eine post hoc Auswertung der ISCHEMIAStudie darauf hin, dass hinsichtlich der Rate von Myokardinfarkten ein prognostischer Vorteil bestehen könnte. Die Leitliniengruppe hielt es für plausibel anzunehmen, dass in diesen Ausnahmefällen die invasive Diagnostik mit anschließender PCI eine alternative Option ist und sprach deshalb eine offene (⇔) Empfehlung aus.
Schließlich hat die Leitliniengruppe nach Prüfung der Evidenz entschieden, die Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) zur Unterstützung der Therapieentscheidung bei geplanter Revaskularisation zu empfehlen, und zwar – bei geeigneter Anatomie – im Falle unklarer funktioneller Relevanz.
Die derzeit gültige NVL Chronische KHK mit dem aktualisierten Revaskularisationskapitel ist auf den Internetseiten des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (äzq) und im Leitlinienregister der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) abzurufen.
Tab. 1 Revaskularisation | ||
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Ausmaß KHK | Empfehlungsgrad | |
CABG | PCI | |
1-GE mit proximaler RIVA-Stenose (PCI weniger invasiv, jedoch bezüglich Reintervention CABG unterlegen) | ⇑⇑ | ⇑⇑ |
1- oder 2-GE ohne proximale RIVAStenose | ⇑ | ⇑⇑ |
2-GE mit proximaler RIVA-Stenose (SYNTAX-Score ≤22) | ⇑⇑ | ⇑⇑ |
2-GE mit proximaler RIVA-Stenose (SYNTAX-Score ≥23) | ⇑⇑ | ⇑ |
3-GE (SYNTAX-Score ≤22) | ⇑⇑ | ⇑ |
3-GE (SYNTAX-Score ≥23) | ⇑⇑ | nicht empfohlen |
HSS (SYNTAX-Score ≤22) | ⇑⇑ | ⇑⇑ |
HSS (SYNTAX-Score 23–32) | ⇑⇑ | ⇑ |
HSS (SYNTAX-Score ≥33) | ⇑⇑ | nicht empfohlen |
Wer Interesse an den Details der Leitlinie (AWMF-Registernummer nvl – 004) hat, kann sie hier herunterladen: AWMF Leitlinienregister