Aktualisierte S3-Leitlinie „Living Guidelines zur Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa“
Aktuell arbeiten Delegierte der DGIM-Kommission „Leitlinien“ an über 60 Leitlinien der internistischen Schwerpunktgesellschaften mit. Die S3-Leitlinie „Living Guidelines zur Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa“ ist eine davon, deren aktuelle Konsultationsfassung kürzlich abgeschlossen wurde.
Die S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa“ wurde zuletzt 2018 komplett überarbeitet und hat einen Gültigkeitszeitraum von fünf Jahren. Zur Abbildung relevanter Neuerungen erfolgt eine jährliche Überprüfung der aktuellen Literatur durch eine Lenkungsgruppe und eine Formulierung konsentierter Empfehlungen im Sinne einer „Living Guideline“. Hiermit wird erreicht, dass relevante neue medizinische Erkenntnisse in eine Leitlinie einfließen können, ohne dass die Leitlinie komplett überarbeitet werden muss. Die aktuelle Konsultationsfassung der Living Guideline Colitis ulcerosa wurde im September 2022 veröffentlicht.
Key facts
Die Prävalenz der Colitis ulcerosa (CU) hat weltweit in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Deutschlandweit gehen wir aktuell von etwa 200.000 betroffenen Patient:innen aus. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen beobachten wir eine deutliche Zunahme der Inzidenz. Mit der aktualisierten Living Guideline werden evidenzbasierte Empfehlungen für alle an der Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa beteiligten Berufs- und Fachgruppen zur Verfügung gestellt.
Wesentliche Neuerungen haben sich in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Therapie mit Immunmodulatoren ergeben. Bei Nichtansprechen auf eine konventionelle Therapie stehen sowohl bei steroidabhängigen als auch bei steroidrefraktären Krankheitsverläufen verschiedene Substanzgruppen zur Verfügung, zu denen neben den Thiopurinen die TNF-Antikörper (Adalimumab, Golimumab, Infliximab), JAK-Inhibitoren (Filgotinib, Tofacitinib), ein Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor (S1PR)-Modulator (Ozanimod), IL12-/IL23-Antikörper (Ustekinumab) und das Antiadhäsionsmolekül Vedolizumab zählen. Der im Sommer 2022 neu zugelassene JAK1-Inhibitor Upadacitinib ist nicht Bestandteil der Leitlinienempfehlungen, da die relevanten Studiendaten zum Zeitpunkt der Aktualisierung noch nicht publiziert waren. In den Leitlinien-Empfehlungen sind die aufgeführten Substanzen alphabetisch aufgeführt und es wird bewusst keine Reihenfolge für den klinischen Einsatz vorgegeben, da keine entsprechenden direkten Vergleichsstudien vorliegen. Nichtsdestotrotz gibt es Unterschiede in der Wirksamkeit und in der Schnelligkeit des Wirkeintrittes, was neben anderen Faktoren wie Nebenwirkungspotenzial, Patientenalter und individuelle Komorbiditäten bei der Therapiewahl berücksichtigt werden sollte. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Substanzen, die bei Versagen der konventionellen CU- Therapie eingesetzt werden, sowie deren mögliche Differentialindikationen werden in der Leitlinie ausführlich diskutiert.
Folgende neue Aspekte wurden im Jahr 2022 in die Living Guideline aufgenommen:
- Basierend auf neuen Daten aus der SELECTION Studie wurde nun auch Filgotinib als oraler überwiegender JAK-1-Inhibitor mit in die Empfehlungen zur Therapie der steroidabhängigen und steroidrefraktären Colitis ulcerosa aufgenommen.
- Zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Colitis ulcerosa bei Versagen der konventionellen Therapie wird für Patienten mit steroidabhängigem und steroidrefraktärem Verlauf nach den TRUE-NORTH Studiendaten auch der Sphingosin1-Phosphat-Modulator Ozanimod empfohlen.
- Für die Therapie der chronischen Antibiotika-refraktären Pouchitis kann neben verschiedenen anderen Biologika das AntiAdhäsionsmolekül Vedolizumab eingesetzt werden. Die Wirksamkeit von Vedolizumab in dieser Indikation konnte kürzlich in der EARNEST-Studie gezeigt werden.
Weitere wichtige Aussagen der Living Guideline Colitis ulcerosa:
- Bei der Diagnostik sollte die hochauflösende Darmsonografie Bestandteil der Erstdiagnose und im Therapiemonitoring sowie bei einem schweren akuten Schub zur Erfassung von Komplikationen sein.
- In der Verlaufskontrolle nach einer medikamentösen Remissionsinduktion besitzt die endoskopische Kontrolle zur Evaluation des Therapieziels Mukosaheilung eine wichtige Rolle. Alternativ kann in der Verlaufskontrolle auch fäkales Calprotectin als Surrogat-Parameter bestimmt werden.
- Wenngleich das Risiko für das Auftreten eines Colitis ulcerosa assoziierten Colonkarzinoms in den letzten Jahren abgenommen hat, sollte bei allen CU -Patienten zwischen dem 6.−8. Erkrankungsjahr eine Überwachungskoloskopie mit Risikostratifizierung durchgeführt werden. Es sollte eine risikoadaptierte endoskopische Kontrolle durchgeführt werden mit einem Fokus auf Patienten mit einem hohen Karzinomrisiko. Zu diesen Patienten zählen insbesondere Patienten mit einer Primär sklerosierenden Cholangitis (PSC), aber auch Patienten mit einer Stenose, einer intraepithelialen Neoplasie innerhalb der letzten Jahre, Patienten mit einer ausgedehnten Colitis mit ausgeprägter Entzündungsaktivität in der Vergangenheit sowie Patienten, die erstgradige Verwandte mit einem kolorektalen Karzinom unter 50 Jahren haben.
- Die Überwachungskoloskopie sollte als Chromoendoskopie oder als hochauflösende Weißlichtkoloskopie mit gezielten Biopsien durchgeführt werden. Bei gleichzeitigem Vorliegen einer PSC sollten zusätzlich auch randomisiert Stufenbiopsien entnommen werden.
- Bei Ansprechen auf eine konventionelle Therapie, welche Aminosalizylate oder topische und systemische Steroide umfasst, sollte eine mindestens zweijährige remissionserhaltende Therapie mit 5-Aminosalicylsäure durchgeführt werden. Alternativ kann in der Remissionserhaltung auch der E. coli-Stamm Nissle 1917 eingesetzt werden, wenn eine Mesalazinunverträglichkeit besteht. Eine Langzeittherapie mit 5-ASA kann den Colitis-Patienten auch unter dem Aspekt einer Karzinomprävention angeboten werden.
- Bei Patienten mit einem unzureichenden Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie sollte neben dem Ausschluss einer C. difficile-Infektion eine CMV-Neuinfektion oder -Reaktivierung ausgeschlossen sein und ggf. eine entsprechende Therapie eingeleitet werden.
- Da sowohl JAK-Inhibitoren als auch S1PR-Modulatoren ebenso wie viele andere Biologika das Risiko für das Auftreten eines Herpes zoster begünstigen können, sollte eine Immunisierung mit dem Totimpfstoff gegen Herpes zoster in dieser Patientengruppe erfolgen.
- Bei Patienten mit negativer EBV-Serologie sollte wegen des Risikos einer Lymphomentwicklung oder eines Makrophagen-Aktiverungssyndroms, falls möglich, auf den Einsatz von Thiopurinen verzichtet werden.
- Für die fulminante Colitis ulcerosa, die stationär behandelt werden soll, stehen bei fehlendem Steroidansprechen die Substanzen Infliximab oder Cyclosporin A/Tacrolimus zur Verfügung.
- Bei jeder medikamentösen Therapieeskalation mit Immunmodulatoren, Biologika und Small Molecules sollte die Möglichkeit einer Proktokolektomie mit ileoanaler Pouchanastomose mit dem Patienten diskutiert werden.
- Eine absolute Operationsindikation stellt der therapierefraktäre Verlauf sowie der Nachweis eines Colitis-Karzinoms oder einer hochgradigen intraepithelialen Neoplasie dar. Pouchchirurgie sollte nur in dafür spezialisierten Zentren mit entsprechender Expertise durchgeführt werden.
Wer Interesse an den Details der Leitlinie (AWMF-Registriernum-mer: 021-009) hat, kann sie hier herunterladen: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/021-009 oder https://www.dgvs.de/wissen/leitlinien/leitlinien-dgvs/colitis-ulcerosa/