SARS-CoV-2 zählt mittlerweile zu den am besten erforschtenPathogenen überhaupt. Doch das Virus wandelt sich stetig,weshalb Vorhersagen über den weiteren Verlauf der Pandemieschwierig sind. Beim DGIMTalk „Lehren aus Corona“ diskutiertenDGIM-Experten über künftige Virusvarianten, Herdenimmunität,Covid-Therapien und Übersterblichkeit.
Evolution im Zeitraffer – dieses für Viren nicht untypische Verhalten zeigt auch SARS- CoV-2, wie Professor Dr. Jörg Timm, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Düsseldorf betonte. Vom Wildtyp bis zur Delta-Variante „optimierte“ das Virus hauptsächlich die Effektivität seiner Übertragung. Omikron breite sich dagegen vor allem aufgrund seiner Fähigkeit zur Immunflucht aus – immerhin hat mittlerweile ein großer Teil der Bevölkerung durch Impfung oder Infektion eine gewisse Immunität gegen SARS- CoV-2 erworben. „Dieser Immunität können die aktuellen Omikron-Varianten immer effektiver ausweichen“, sagte Timm. Mit welcher Variante es im Herbst eine neue Welle gibt, wollte Timm nicht prognostizieren. Umso wichtiger sei eine globale Surveillance, um frühzeitig auf neue Varianten zu reagieren und möglicherweise die Impfstoffe anpassen zu können.
Denn mit einer Herdenimmunität, die weitere Erkrankungswellen zuverlässig unterdrückt, ist bei SARS- CoV-2 nicht zu rechnen. „Hierfür bräuchten wir ein stabiles Virus und eine langanhaltende Immunität, die auch vor Infektion und Übertragung schützt – beides haben wir bei SARS- CoV-2 nicht“, erläuterte Professor Dr. Tobias Böttler, Immunologe am Universitätsklinikum Freiburg. Gleichwohl verhindere der verbreitete Immunschutz in der Bevölkerung schwere Erkrankungen zunehmend – bereits jetzt sei die Zahl der Neuinfektionen klar von der Zahl der Krankenhauseinweisungen und der Todesfälle entkoppelt. Entscheidend für den Aufbau des entsprechenden Immunschutzes sei die Zahl der Expositionen gegenüber viralen Antigenen. „Nach drei Expositionen – durch Impfung oder Infektion – ist man in der Regel sehr gut geschützt“, sagte Böttler.
Während der Immunschutz in der Bevölkerung zunimmt, sinkt die Zahl der behandlungsbedürftigen (schweren) Covid-19-Erkrankten. „Therapeutika spielen daher in der Allgemeinbevölkerung außerhalb von Risikogruppen keine so große Rolle mehr wie in den ersten Infektionswellen“, sagte PD Dr. Christoph Spinner, Leiter der Infektiologie und Pandemiebeauftragter am Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Die stetigen Veränderungen des Virus sind dabei eine Herausforderung, da manche Präparate gegen die aktuellen Varianten nicht mehr wirken. Wertvolle Hilfe bei der komplexen Behandlungsentscheidung biete ein interaktives Tool auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts (abrufbar unter https://www.dgiin.de/covriin/index.html#/).
Als Schlussredner ging der Mainzer Epidemiologe PD Dr. Daniel Wollschläger zum Thema „Übersterblichkeit“ zunächst auf eine kürzlich publizierte WHO- Auswertung für 2020 und 2021 ein, die für Deutschland zunächst eine sehr hohe, aber fehlerhafte Übersterblichkeit von 116 pro 100.000 Einwohner und Jahr ermittelt habe. Mittlerweile wurde dieser Wert auf etwa 75 korrigiert. „Dennoch sind allgemeine Aussagen zu einem so großen Land wie Deutschland und zu so langen Zeiträumen oft nicht sehr hilfreich“, betonte Wollschläger. Die Infektions- und Sterbezahlen seien während der gesamten Pandemie zeitlich und räumlich sehr heterogen gewesen. Daher lohne für die Beurteilung der Pandemie-Maßnahmen eher ein detaillierter Blick auf kleinere zeitliche und räumliche Einheiten.
Zum Abschluss verlieh Professor Dr. Christoph Sarrazin, der den DGIMTalk moderierte, seiner Hoffnung Ausdruck, bei einem weiteren Talk im kommenden Jahr tatsächlich „Lehren aus Corona“ im Rückblick ziehen zu können – auf eine dann bewältigte Pandemie.
Nächster DGIMTalk: „Klug entscheiden – Pneumologie, Endokrinoloogie, Kardiologie“ am 29.08.2022, 18.00–19.30 Uhr
Experten aus Virologie, Epidemiologie, Infektiologie und Immunologie gaben beim DGIMTalk „Lehren aus Corona“ ihre wissenschaftliche Einschätzung zur aktuellen und zukünftigen Entwicklung der Coronapandemie ab