Den Anfang machte Professor Dr. med. Frank Lammert aus Hannover, der sich dem Thema „Gesundheit und Klima“ widmete und der Frage nachging, welche Verantwortung Internistinnen und Internisten in diesem relevanten Bereich übernehmen können. „Wir wissen heute bis ins molekulare Detail, wie Immunprozesse, Metabolismus und neuroendokrines System zusammenwirken und wie sie von außen durch Lärm, Luftverschmutzung, Hitze, Ernährung oder Bewegung beeinflusst werden“, sagte Lammert, der auch Sprecher der AG Gesundheit und Klima der DGIM ist.
„Die Frage ist nun, wie wir von dort aus zum Handeln kommen.“ An Erkenntnissen und Vorschlägen mangele es nicht – von der individuellen Gesundheitsvorsorge mit den wichtigen Stellschrauben Ernährung und Bewegung bis hin zum (Arzt-)Beruf, wo unter anderem mit dem Verzicht auf überflüssige Diagnostik und einem zweckmäßigeren Einsatz von Arzneimitteln gepunktet werden könne.
Die positiven Effekte für Mensch und Klima seien dabei in hohem Maße synergistisch. Wer Wege mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurücklege, tue der Umwelt und sich Gutes, und eine Planetary Health Diet – pflanzenbasierte Mischkost mit wenig Fleisch – verbinde die Vorteile einer gesunden Ernährung mit geringeren Treibhausgasemissionen.
Nicht zuletzt adressierte Lammert auch die medizinische Forschung. So wie Praxen und Kliniken sich zunehmend mithilfe von CO2-Rechnern daran machten, ressourcenschonender zu arbeiten, gebe es auch in der Forschung Tools, um der Verschwendung entgegenzuwirken – Stichwort „Trial sequential analysis“. „Hier sind die Fachgesellschaften gefragt, klinisch zu definieren, wo noch Forschung notwendig ist“, so Lammert. In das Schließen echter Wissenslücken könne und müsse mehr investiert werden, Forschung für die Mülltonne dagegen gelte es zu vermeiden.
Einen Blick in die digitale Zukunft wagte der Marburger Nephrologe und KI-Experte Professor Dr. med. Ivica Grgic. Auf dem Kongress war Grgic zusammen mit Professor Dr. Martin Hirsch für das Handson-Areal „DGIM Futur“ hauptverantwortlich, das sich als wahrer Publikumsmagnet erwies. Dort konnten sich die Besucher etwa von einer KI-unterstützten virtuellen Ärztin strukturiert anamnestisch befragen lassen, während spezielle Kameras zugleich Parameter wie Atem- oder Pulsfrequenz erfassten und sämtliche Daten zu einem „Gesamtbild“ integrierten – ein Szenario, das beispielsweise bei der Ersteinschätzung und Triage in der Notaufnahme zum Einsatz kommen könnte.
„Es ist absehbar, dass KI in fast alle medizinischen Arbeitsprozesse integriert werden wird“, so Grgics Hypothese. Das Spektrum denkbarer Anwendungen reiche von der Unterstützung bei der klinischen Entscheidungsfindung und Bildauswertung über die Gesundheitsüberwachung durch mit Sensoren ausgestatteten Wearables, die Analyse der erwartbar zunehmenden Daten in der elektronischen Patientenakte, Dokumentationsassistenz durch Spracherkennung und Synthese bis hin zur Ressourcen- und Terminplanung.
Hierdurch ergäben sich Chancen für einen Zuwachs an Geschwindigkeit, Produktivität und Qualität sowie zur Reduktion von medizinischen Fehlern etwa durch menschliche Überlastung und Übermüdung. Auch die stetige Zunahme medizinischen Wissens, dessen schiere Menge längst das vom Menschen rational Erfassbare überschritten habe, mache die Einbindung von KI über kurz oder lang zu einer sinnvollen Notwendigkeit. Gerade im sensiblen medizinischen Bereich begegnen nicht wenige Menschen der zunehmenden Digitalisierung mit Skepsis oder gar Angst. Ethische, sicherheitsrelevante und datenschutzrechtliche Aspekte müssten daher fortlaufend überprüft sowie „Leitplanken“ definiert und transparent kommuniziert werden, so Grgic.
Dass große Datenmengen nur mithilfe von KI zu bewältigen sind, ist für Professor Dr. Lena Illert aus München längst Alltag. Die Onkologin und Expertin für molekulare Tumorboards legte in ihrem Vortrag zur Präzisionsmedizin dar, was bereits heute möglich ist, aber auch welche Herausforderungen noch zu meistern sind. In der personalisierten Tumormedizin sind multidisziplinär besetzte molekulare Tumorboards schon fest etabliert, seit 2022 gibt es für sie auch ein Zertifizierungsverfahren.
„Die molekularen Tumorboards an Comprehensive Cancer Centern zusammen bearbeiten in Deutschland rund 11.000 Krebsfälle pro Jahr – mit stark steigender Tendenz“, berichtete Illert. Die Arbeit umfasse dabei die personalisierte molekulare Diagnostik, die Integration und Visualisierung der gewonnenen Daten, deren Diskussion und münde letztlich in Behandlungsempfehlungen. Diese werde sich künftig immer weniger an einzelnen Mutationen orientieren als vielmehr an molekularen Signaturen. Der Fokus liege dabei auf Tumoren, die auf gängige Therapieverfahren nicht ansprechen oder dagegen resistent geworden sind, seltenen Krebsarten sowie jungen Patienten.
Sowohl bei der Finanzierung – die Kassen übernehmen bislang nur die diagnostische Leistung (und auch diese nur teilweise) – als auch bei der Umsetzung der Therapieempfehlungen sieht Illert Verbesserungsbedarf. Zwar gelangten die molekularen Tumorboards in rund zwei Drittel der Fälle zu konkreten Empfehlungen, die dann aber nur zu einem Drittel tatsächlich umgesetzt würden. Oft fehle es an der Priorisierung der Beschlüsse, dem hohen Aufwand der Off-label-Antragsstellung, teilweise übernähmen die Versicherungen die Kosten nicht oder es sprächen medizinische Gründe gegen die Therapieeinleitung.
Mit einem Hinweis in Richtung aller onkologisch tätigen Kolleginnen und Kollegen schloss Illert ihren Beitrag: Die von ihr in Freiburg initiierte Suchmaschine QuickQueck.de gebe einen raschen Überblick über alle aktuell rekrutierenden onkologischen Studien an teilnehmenden Zentren in Deutschland. „Innerhalb von 30 Sekunden wissen Sie, ob Ihr Patient die Einschlusskriterien für die Studie erfüllt.“
Zum Schluss übergab der scheidende DGIM-Vorsitzende Neubauer das Wort an seinen Nachfolger Professor Dr. med. Jan Galle, der bereits während des Kongresses offiziell ins Amt eingeführt worden war. Mit dem DGIM-Vorsitz hat der in Lüdenscheid tätige Nephrologe auch die Aufgabe übernommen, den 131. Internistenkongress im kommenden Jahr zu organisieren. „Die ersten Konzepte dafür sind bereits vor zweieinhalb Jahren entstanden“, sagte Galle. Also noch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Das habe Einfluss auf die Wahl des Kongressmottos gehabt: „Resilienz – sich und andere stärken“.
Das Motto habe angesichts von Kriegen und Klimakrise in der Zwischenzeit leider noch an Aktualität gewonnen. Auf dem Kongress wird es unter den Stichworten „Selbstschutz“, „Mitarbeiterstärkung“ und „Therapie und Überleben in Krisen“ mit Leben gefüllt werden. Als weitere thematische Schwerpunkte stehen „Klima und Gesundheit“ sowie der wichtige Bereich der Interdisziplinarität auf dem Programm.
Auch wird es wieder die bewährten Formate der interaktiven Falldiskussion, Refresher-Symposien und Tutorien geben. Fest eingeplant ist auch eine Neuauflage von DGIM Futur. Voller Enthusiasmus beschrieb Galle die bevorstehende heiße Phase der Kongressvorbereitung: „Das ist eine kreative Aufgabe, die mir riesigen Spaß macht!“
Der Abschluss des DGIMTalks gebührte Professor Dr. med. Andreas Neubauer, der dies für einen Dank an die Referierenden nutzte: „Ihre Beiträge haben noch einmal die Essentials des Kongresses widergespiegelt und machen Lust auf mehr. Ich bin zuversichtlich, dass wir die gute Stimmung, die wir während des Internistenkongresses 2024 in Wiesbaden genießen durften, ins kommende Jahr mitnehmen und dann wieder eine höchst interessante Tagung erleben werden“, so der Marburger Hämatoonkologe.
Hier geht es zur Aufzeichnung: